Wahlausschluss von geistig Behinderten verletzt Rechtsgleichheit
Menschen mit geistiger Behinderung können in der Schweiz nicht wählen. Dieser Ausschluss entspricht laut Bundesrat nicht mehr den völkerrechtlichen Standards.

Der Ausschluss von geistig Behinderten vom Stimm- und Wahlrecht in der Schweiz entspricht laut dem Bundesrat nicht mehr vollumfänglich den gewandelten völkerrechtlichen Standards und führt zu Spannungen im Bereich der Rechtsgleichheit. Zu diesem Schluss kommt der Bericht «Politische Teilhabe von Schweizerinnen und Schweizern mit einer geistigen Behinderung».
Einerseits könnten Personen vom Stimmrecht ausgeschlossen werden, die einen eigenständigen politischen Entscheid treffen können, hiess es im am Mittwoch veröffentlichten, bundesrätlichen Bericht. Andererseits gebe es Personen, die das Stimm- und Wahlrecht behalten, nachdem sie dauernd urteilsunfähig geworden seien.
16'000 Personen betroffen
In der Praxis seien zudem deutliche Unterschiede von Kanton zu Kanton zu beobachten. Dies führe zu einer Ungleichbehandlung. Von einem solchen Ausschluss sind nach Schätzungen rund 16'000 Schweizerinnen und Schweizer betroffen.
Der Stimmrechtsausschluss stehe auch in einem völkerrechtlichen Spannungsfeld. So verlange etwa die Behindertenrechtskonvention, dass ihre Vertragsstaaten die politischen Rechte von Menschen mit einer Behinderung garantieren.
Änderung nur über Verfassungsänderung möglich
Der Bericht erörtert zwei Handlungsoptionen: die Aufhebung des Stimmrechtsausschlusses und die spezifische Überprüfung der Urteilsunfähigkeit in jedem einzelnen Fall. Stimmrechtsausschlüsse seien nicht a priori unzulässig, teilte der Bundesrat weiter mit. Es bestehe ein legitimes öffentliches Interesse, Personen vom Stimmrecht auszuschliessen, die politische Entscheide nicht verstehen und keinen eigenständigen Willen bilden könnten.

Auf der anderen Seite würden die Rechtsgleichheit und das Verbot von Diskriminierungen gebieten, dass niemandem wegen einer Behinderung Rechte entzogen werden. Eine Änderung der geltenden Regeln könnte laut Bundesrat nur über eine Verfassungsänderung vollzogen werden, hiess es weiter.
Der Bundesrat erfüllt mit dem Bericht das 2021 vom Ständerat angenommene Postulat der damaligen Ständerätin Marina Carobbio Guscetti. Dieses forderte vom Bundesrat eine Auslegeordnung über mögliche Massnahmen, damit Menschen mit einer geistigen Behinderung uneingeschränkt an der Politik teilhaben können.