Tierhalterin von Ramiswil SO «zeigt keine Einsicht»
120 Hunde sind tot: Die Situation in Ramiswil zeigt, wie schnell sich gute Absichten zur Katastrophe wandeln können. Das ist kein Einzelfall.

Das Wichtigste in Kürze
- Auf einem Hof in Ramiswil SO fand das Veterinäramt rund 120 vernachlässigte Hunde.
- Laut einer Tierschützerin grenzten die Zustände an Tierhortung, ein Messie-Verhalten.
- Eigentlich widersprüchlich: Die Halterin wollte den Tieren helfen. Kein Einzelfall.
Es ist einer der grössten Tier-Vernachlässigungs-Skandale der Schweiz: Rund 120 Hunde hat das Solothurner Veterinäramt auf einem Hof in Ramiswil einschläfern müssen. Gegen die Tierhalterin wurde Anzeige wegen Verstosses gegen das Tierschutzgesetz erstattet.
Wie Nau.ch weiss, handelt es sich bei der Besitzerin der Tiere um eine bekannte Schweizer Gesundheitsexpertin.
Brisant: Sie hatte Tieren Berichten zufolge eigentlich helfen wollen – einige hatte sie selbst einmal gerettet.
Inzwischen ist im Dorf und unter Tierschützern jedoch nicht mehr von Tierschutz, sondern von möglichem Messie-Verhalten die Rede.
Von der Tierschützerin zur Tierhalterin, die Hunde derart vernachlässigt, dass sie eingeschläfert werden müssen – wie kann das passieren?
«Gute Absicht war wohl mal bei jeder Person vorhanden»
Die Tierschutz-Organisation Anihelp Tierhilfe ist bereits seit längerer Zeit in den Fall Ramiswil involviert. Für Präsidentin Cynthia Güntensperger sind Entwicklungen wie diese nicht überraschend.
«Die gute Absicht war wohl mal bei jeder Person vorhanden», sagt sie zu Nau.ch. Manchmal arte es auch aus, wenn die Menschen Tierschutz betreiben.
«Über 100 Tiere zu halten, grenzt aus meiner Sicht an Animal-Hording», betont sie. Also Tierhortung – laut der Messie-Hilfe Schweiz ein «krankhaftes Sammeln und Halten von Tieren». Ein Messie-Verhalten.
So viele Tiere könne man nur mit vielen Angestellten versorgen, stellt Güntensperger von der Anihelp Tierhilfe klar. Das fehlte der Tierhalterin von Ramiswil.
Kontakt mit Halterin von Ramiswil «war sehr schwierig»
Ramiswil ist einer der schwersten Fälle, mit denen die Tierschutzorganisation bisher zu tun hatte. Sie hat inzwischen Bilder von den Zuständen auf dem Hof veröffentlicht, die ein Mitarbeiter aufgenommen hatte.
Hinzu kommt: Obwohl die Halterin den Tieren eigentlich helfen wollte, ging sie trotz der desolaten Zustände auf dem Hof in die Defensive.

«Der Kontakt war sehr schwierig und sie zeigt keine Einsicht», sagt Güntensperger.
Das erstaunt Johannes von Arx nicht. Der 82-Jährige engagiert sich seit über 20 Jahren für Menschen mit Messie-Syndrom und ist selbst betroffen. Er sammelt aber Informationen, Zeitungen und andere Gegenstände, nicht Tiere.
Messie-Betroffener: «Du realisierst erst nicht, dass du ein Problem hast»
Er erklärt gegenüber Nau.ch: «Bei Messie-Verhalten ist es gleich wie bei Alkoholsucht und vielen anderen Krankheiten. Du realisierst erst nicht, dass du ein Problem hast – man verdrängt es.»
Das sei auch bei ihm selbst so gewesen. Sein Messie-Verhalten fing harmlos an, wie er sagt. Als junger Mann begann er, Radios zu bauen und Zubehör dazu zu sammeln.
«Das war einfach ein Hobby, ich bastelte gerne und die Dinge hatten auch einen Wert. Darum behielt ich sie», erzählt er.

Doch irgendwann artete es aus – und aus dem Sammeln wurde ein Horten. «Mir fehlte dieses Urvertrauen in mich selbst und ich suchte Sicherheit in Gegenständen.» Das sei bei fast allen Betroffenen so.
«Erst 2001, als ich erstmals an einer Messie-Selbsthilfegruppe teilnahm, verstand ich: ich habe ein Problem und ich bin nicht allein damit.»
Es dauerte also Jahrzehnte, bis von Arx sich eingestand, dass sein Verhalten nicht gesund war. Er gab den Anstoss für die Gründung des Vereins LessMess, der anderen Betroffenen hilft. Dort engagiert er sich bis heute.
Tierhalterin wird beschimpft – Messie-Experte appelliert an Empathie
Der Fall Ramiswil sorgt für reichlich Empörung im Netz. Der Tierhalterin wird Böses gewünscht.
Doch von Arx findet: «Es ist wichtig, dass man auch in solchen Fällen den Menschen sieht. Ein Mensch, der offensichtlich ein psychisches Leiden hat.»

Mit einer Strafe sei dieser Person nicht geholfen. «Hier braucht es Hilfe, eine Therapie, damit das Verhalten aufgearbeitet wird.»
Denn für ihn ist klar: «Bei Tierhaltung steckt sicher meist eine Art Helfersyndrom dahinter.»
Er selbst kannte eine Betroffene mit 13 Katzen. «Sie hatte Mitleid mit den Tieren, war aber letztendlich überfordert», erzählt er.
Messie-Verhalten ist übrigens fast immer nur Symptom einer tieferliegenden Erkrankung. Laut Less Mess gibt es einerseits das pathologische Horten, bei dem Personen kurz gesagt zu viele Gegenstände sammeln. Oftmals können sie sich kaum von Objekten trennen.
Andererseits gibt es die Vermüllung und die Verwahrlosung. Betroffene sind nicht unbedingt Sammler, sondern können sich nicht (mehr) um sich selbst kümmern.
Dahinter kann zum Beispiel eine Demenz, eine Suchtkrankheit, Depressionen, ADHS oder eine andere Erkrankung stecken.
Tierschützerin fordert psychische Betreuung für Tierhalter
Auch konkret das Tierhalten ist oft ein Symptom psychischer Probleme.
Christine Künzli von der Stiftung für das Tier im Recht fordert darum, dass in Tierhaltungs-Fällen psychologische Beratung beigezogen wird.
Sie erklärt bei Nau.ch: «Ein Teil der Betroffenen sind einsame Menschen, die sich mit den vielen Tieren eine Art soziales Umfeld aufbauen.»

Neben Einsamkeit und Tierrettungs-Vorstellungen gebe es auch jene, die exotische Tiere als Status-Symbol sammeln würden. Oder Züchter, die aus wirtschaftlicher Motivation mit der Tierhaltung beginnen.
«Rückfallrisiko ist gross»
«Was die Animal-Hoarder jedoch alle gemeinsam haben: Irgendwann wächst ihnen die Haltung über den Kopf. Sie sind überfordert und können ihre Tiere nicht mehr tierschutzkonform betreuen», sagt Künzli.
Ob die kantonalen Veterinärämter die betroffenen Halterinnen und Halter auch psychologisch begleiten, weiss sie nicht.

«Wir haben jedoch Einsicht in die Strafverfahren. Hier zeigt sich, dass für die Halterinnen und Halter selten psychologische Betreuung angeordnet wird», sagt die Rechtsanwältin zu Nau.ch.
Dabei wäre das wichtig, denn: «Das Rückfallrisiko ist gross.»
«Tiere zahlen den Preis»
Für Künzli ist zudem klar: «Situationen wie die in Ramiswil werden oft unterschätzt. Wir sind der Meinung, dass die Behörden in vielen Fällen zu lange zu wenig unternehmen.»
Statt Tiere zu beschlagnahmen und ein Tierhalte- oder Zuchtverbot auszusprechen, wenn es Vernachlässigungs-Anzeichen gibt, würden oft zuerst andere Verwaltungsmassnahmen ausgesprochen.
Das Veterinäramt ordnet also beispielsweise regelmässige Tierarztbesuche und Kontrollen durch die Behörden an.
Für die Tierschützerin zu wenig. «Der aktuelle Fall zeigt erneut, wie schnell solche Situationen eskalieren können.»
Sie fasst zusammen: «Die Tiere zahlen den Preis, wenn wir Menschen es nicht auf die Reihe bekommen. Je nach Situation nach jahrelangem Leiden, schlechter Haltung, Krankheit und am Schluss mit dem Tod.»













