SRF killt seine Kommentare für neue Plattform
Um sich an aktuellen Debatten zu beteiligen, müssen die User von SRF News neu bei einer landesweiten SRG-Plattform kommentieren. Was Experten davon halten.

Das Wichtigste in Kürze
- SRF ersetzt seine Kommentarspalten durch die Dialogplattform «Dialog».
- Die Plattform ermöglicht Debatten in fünf Sprachen – ohne Hasskommentare.
- Experten sind sich uneinig über Sinn und Potenzial der neuen SRG-Plattform.
Seit Anfang Juli gibt es auf der Newsplattform von SRF keine Kommentarspalten unter den Artikeln mehr. Stattdessen sollen die Debatten auf der eigens dafür eingerichteten SRG-Plattform «Dialog» weitergeführt werden.
Diese wurde bereits 2023 ins Leben gerufen – zunächst in einer Probephase. Nun sollen auch alle User von SRF in den Dialog treten.
Die Plattform gleicht einem sozialen Netzwerk. Wer sich registriert, kann über aktuelle Themen debattieren.
Aktuelle Debatten sind etwa: «Haben Sie vor, amerikanische Produkte zu boykottieren?» Oder: «Sind E-Autos nur gut fürs Gewissen oder auch gut für die Umwelt?»
User von SRF sollen über Sprachgrenzen hinaus debattieren
Das Besondere an der Plattform: Kommentiert werden kann ich jeder Landessprache – sogar Rätoromanisch.
Zudem können auch englischsprachige Posts verfasst werden. Die Künstliche Intelligenz (KI) übersetzt die Debatteneinträge dann in die jeweilige Sprache des Nutzers.
In der Regel gibt die Redaktion die Fragen vor. Doch Nutzerinnen und Nutzer können Vorschläge machen.
Die SRG erklärt gegenüber Nau.ch: Mit der Plattform wolle man «Brücken über die Sprachgrenzen bauen und einen Diskussionsraum für die ganze Schweiz schaffen».
«Ohne Sprachbarrieren sowie mit Anstand und Respekt» sollen die Argumente ausgetauscht werden.
«Die Debatten werden von einem fünfsprachigen Redaktionsteam moderiert. Jeder Kommentar wird von einem Menschen gelesen und überprüft. Bei der Übersetzung in die anderen Sprachen setzen wir KI ein», erklärt Sprecherin Gianna Blum.
Experte versteht nicht, warum SRF Kommentarspalte killt
Heisst also: Das Service-Public-Angebot soll die Schweiz näher zusammenbringen. Hasskommentare – wie auf Plattformen wie X, Instagram und Co. – soll es auf «Dialog» keine geben.
Doch die Plattform, die die Kommentarspalte von SRF ersetzen soll, sorgt auch für Fragezeichen. Sozialwissenschaftler Marko Kovic sagt zu Nau.ch: «Ich verstehe die Plattform ‹Dialog› nicht.»

Er erklärt: «Die klassische Kommentarfunktion bei Artikeln erlaubt es, die Meinung zu einem konkreten publizistischen Beitrag zu äussern.» Bei «Dialog» fänden die Diskussionen jedoch davon losgelöst statt.
Denn: Der Kontext – etwa in Form eines Artikels von SRF – wird nicht mitgeliefert.
«Der Sinn dieser Plattform erschliesst sich mir nicht», so Kovic.
Durch die KI-Übersetzung könne sie den landesweiten Austausch zwar durchaus fördern, so Kovic. Aber: «Die praktische Frage ist, wie viele Menschen diese Plattform wirklich nutzen.»
Die SRG liefert dafür folgende Antwort: «Seit dem Start im August 2023 haben sich gut 37'000 User bei unserem Debattenangebot registriert», sagt Sprecherin Gianna Blum. «Sie haben gut 46'000 Kommentare geschrieben.»
Dabei stamme die Beteiligung aus allen vier Sprachregionen – jeweils entsprechend ihrer Grösse ist der Anteil.
Politik-Experte: «Kann wertvollen Beitrag zur Diskussionskultur leisten»
Der Zürcher Politologie-Professor Fabrizio Gilardi forscht zur Debattenkultur im Netz. Er selbst ist kein Nutzer von «Dialog», findet die Plattform aber grundsätzlich eine gute Idee.
Er urteilt bei Nau.ch: «Sie ist eine Ergänzung zu anderen Plattformen und sticht durch ihre kleinere Themenauswahl und starken Moderation hervor. ‹Dialog› verfolgt einen eigenen Ansatz und ist kein Duplikat.»

Kann dadurch die Debattenkultur nachhaltig verbessert werden?
Gilardi mahnt: «Man darf nicht zu hohe Erwartungen an diese Plattform haben. Nur deswegen verbessert sich die Debattenkultur nicht plötzlich automatisch.»
Aber: «Sie kann zumindest einen kleinen und wertvollen Beitrag zur Diskussionskultur leisten.» Auch könnten so Menschen abgeholt werden, die die polarisierende und unsachliche Kultur auf anderen Plattformen abschreckt.
Klar sei: «Die starke Moderation führt zu weniger problematischen Inhalten. Allerdings hat auch die Selbstselektion ihren Beitrag.»
Heisst: Nur wer diesen sachlichen Dialog auch schätzt, wird sich auf der Plattform registrieren – Pöbler lassen es gleich bleiben.
SRG macht Kosten für «Dialog» nicht publik
Hinter «Dialog» steckt ein insgesamt zehnköpfiges Team aus Journalistinnen, Community-Managern und IT-Entwicklern. Diese seien jedoch nicht ausschliesslich für die Plattform tätig.
«Daher ist es nicht möglich, separate Zahlen für den Betrieb des Angebots auszuweisen», sagt Gianna Blum.
Das heisst: Die SRG weiss nicht, wie viel sie ihr Angebot kostet. Der Betrieb basiere aber auf der «effizienten Nutzung bestehender Ressourcen und Strukturen», beteuert die Sprecherin.
Die Plattform soll vorerst bis zu den nächsten eidgenössischen Wahlen 2027 betreiben werden. Ob «Dialog» darüber hinaus bestehen bleibt, steht noch nicht fest.
Klar ist dafür bereits: Zu einer vollständigen Social-Media-Plattform ausgebaut werden soll «Dialog» nicht. «Wir haben keine solchen Pläne», heisst es dazu von der SRG.