So erlebe ich meinen Beruf als Berner Rettungssanitäter

Jürg Morf
Jürg Morf

Bern,

Ein Traumberuf oder eher nichts für mich? Wie arbeiten die Menschen hinter der Nummer 144 – und wie gehen Rettungssanitäter mit belastenden Situationen um?

Notfall Rettung
Thomas Wiser ist gelernter Möbelschreiner und seit Oktober 2004 Rettungssanitäter. - Dan Zaugg

Das Wichtigste in Kürze

  • Thomas Wiser arbeitet seit Oktober 2004 bei der Rettungssanität.
  • «Mir gefällt in meinem Beruf die Abwechslung und das Unerwartete», sagt Wiser.
  • Der 48-Jährige über Erfolgserlebnisse und traurige Schicksale.

«Es war eigentlich nicht mein Traumberuf, ich kam eher per Zufall zum Rettungsdienst.» Vor über zwanzig Jahren suchte Thomas Wiser, gelernter Möbelschreiner, eine neue Stelle in seinem angestammten Beruf.

Als ihm eine Bekannte erzählte, dass sie eben die Ausbildung zur Rettungssanitäterin begonnen habe, befasste er sich erstmals mit einem Berufswechsel.

«Ich bewarb mich beim heutigen Rettungsdienst Bern, absolvierte die Ausbildung und lernte dort auch gleich meine heutige Partnerin kennen. Auch nach über zwei Jahrzehnten bin ich immer noch sehr gerne Rettungssanitäter.»

21'764 Einsätze im letzten Jahr

Rund um die Uhr stehen die diplomierten Rettungssanitäter unter der Nummer 144 für Notfälle, Unfälle und Patiententransporte bereit. Im letzten Jahr rückte der Rettungsdienst im Durchschnitt täglich 60-mal aus und leistete total 21'764 Einsätze.

Rettungssanitäter
Eine gewisse Stressresistenz ist für Rettungssanitäter bei den täglichen Einsätzen von Vorteil. - Dan Zaugg

Wir möchten von Wiser wissen, was ihm an seinem Job gefällt. «Ich weiss am Morgen nicht, was mich erwartet, die Abwechslung, auch das Unerwartete gefällt mir. Man sollte gut mit Menschen umgehen können – auch in heiklen Momenten.»

Ein ruhiges Gemüt und eine gewisse Stressresistenz seien bestimmt von Vorteil.

«Am Einsatzort ist entscheidend, dass wir schnell herausfinden, was der Person in Not fehlt. Wir analysieren die Situation, beurteilen Atmung und Kreislauf und leiten bei Bedarf Sofortmassnahmen ein. Zur genauen Diagnose und Weiterbehandlung fahren wir die Patienten ins Spital.»

Wenn ein Transport in eine Notfallstation nicht indiziert sei, komme es auch mal vor, dass man Patienten in eine Notfallpraxis transportieren müsse. Das könne eine kleine Wunde sein, die genäht werden müsse oder ein grippaler Infekt, der abzuklären sei.

Dr. Google oft wenig hilfreich

Warum, fragen wir Wiser, ruft jemand bei Grippesymptomen gleich den Rettungsdienst? «Viele Leute googeln bei Schwindelgefühlen oder kleinen Schmerzen im Internet und finden schnell für jedes Symptom eine passende Krankheit. Diese digitalen Selbstdiagnosen sind oft verwirrlich und verunsichern mehr als sie helfen. Aber auch solche vermeidbaren Einsätze gehören zu unserem Job.»

Wir kennen es alle: Wenn ein Rettungswagen in unserer Nähe anhält, beschleicht uns ein mulmiges Gefühl und wir fragen uns, was passiert und wer betroffen ist? Wiser meint, dass die Mehrheit, rund drei Viertel seiner Einsätze, nach Aussen wenig spektakulär sind.

Rettungssanitäter
Zu über 21'000 Einsätzen rückten die Rettungssanitäter im letzten Jahr aus. - Dan Zaugg

«Oft fahren wir zu Leuten nach Hause, zu älteren, gebrechlichen Menschen, die medizinische Hilfe benötigen. Dann gibt es Einsätze bei medizinischen Problemen unterwegs, wenn jemand beim Lä­dele in der Stadt, auf einem Spaziergang oder sonst wo Hilfe braucht.»

Der Rettungs-Profi weiss, dass Verkehrsunfälle im Verhältnis weniger häufiger vorkommen und nur einen kleinen einstelligen Prozentsatz der Gesamteinsätze ausmachen. Richtig schwere Unfälle seien noch seltener.

Wiser erklärt: «Die Fahrzeuge sind heute so sicher gebaut, dass Betroffene häufig sogar nach massiven Kollisionen unverletzt oder nur mit leichten Blessuren aussteigen.»

Erfolgserlebnisse und traurige Schicksale

Gibt es Rettungen, die ihn speziell prägten? «Vor rund zehn Jahren konnten wir ein zweijähriges Mädchen aus der eiskalten Aare retten. Heute wissen wir, dass es keinen Folgeschäden erlitten hat. Eigentlich ein Wunder! Denn die Kleine rollte, im Kinderwagen angeschnallt, kopfüber in die Aare, weil seine Aufsichtsperson einen Schwächeanfall erlitt. Hilflos im Wagen hängend trieb das Kind über zwei Kilometer aareabwärts und befand sich 13 Minuten vollständig unter Wasser.

Ein Velofahrer entdeckte den Kinderwagen im Wasser und alarmierte geistesgegenwärtig die Polizei. Zum Glück wurden sofort alle verfügbaren Patrouillen und Rettungsdienste aufgeboten.

Ein Polizist entdeckte den Wagen beim Schwellenmätteli und sprang angekleidet ins Wasser. Nur so konnte er den Wagen mit dem Mädchen ans Ufer ziehen. Die Kleine hatte mehrere Schutzengel. Es wird vermutet, dass die eiskalte Aare das Mädchen vor dem sicheren Tod bewahrte.»

Rettung Ambulance
Hochdramatische und medienwirksame Rettungseinsätze sind im Arbeitsalltag von Thomas Wiser die Ausnahme. - Dan Zaugg

Solch hochdramatische und medienwirksame Rettungseinsätze sind aber Ausnahmefälle. Öfter gehen Wiser die leisen, aber alltäglichen Schicksale nahe. «Wir erleben immer wieder traurige Momente, etwa mit alten Ehepaaren. Wenn wir eine Person ins Spital bringen müssen, bleibt die andere oft verzweifelt zu Hause zurück.

Viele Paare befürchten, dass der Partner oder die Partnerin nicht mehr nach Hause kommt, obwohl sie sich einst versprachen, immer zusammenzubleiben und füreinander zu sorgen.»

Verarbeitung zu Hause und im Team

Wie gehen der erfahrene Wiser und sein Team allgemein mit emotional belastenden Situationen um?

«Vor Ort müssen wir konzentriert unsere Arbeit machen, sind im Tunnel. Für grosse Emotionen bleibt gar keine Zeit. Erst, wenn der Patient im Spital ist, gibt es Platz für Gefühle. Ich habe das Glück, dass meine Partnerin den gleichen Job macht, so können wir bei Bedarf daheim alles in aller Ruhe verarbeiten.»

Hast du schon einmal den Rettungsdienst in Anspruch genommen?

Wiser ist trotz dieser privilegierten Situation überzeugt, dass das Team bei der Auf- und Verarbeitung zentral ist. «Wir reden in der Runde oft über Erlebtes und können so gemeinsam einordnen und verarbeiten. Bei Bedarf steht uns auch ein externer Psychologe zur Verfügung.»

***

Über Thomas Wiser

Thomas Wiser, Jahrgang 1977, ist gelernter Möbelschreiner und seit Oktober 2004 Rettungssanitäter. Er wohnt mit seiner Partnerin und ihren gemeinsamen Kindern in Schlosswil. In seiner Freizeit ist er gerne aktiv unterwegs und treibt regelmässig Sport im Plaisir-Bereich.

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