«Plötzlich pfiff es in meinen Ohren – dachte, ich werde verrückt»
Die Journalistin Jeanette Kuster erlebte die Perimenopause völlig unvorbereitet. Helfen konnte ihr niemand, also half sie sich selbst. Und klärt jetzt auf.

Das Wichtigste in Kürze
- Viele Frauen wissen nicht, dass die Perimenopause schon in den Dreissigern beginnen kann.
- Selbst Ärztinnen und Ärzte sind in ihrer Ausbildung oft kaum darauf vorbereitet.
- Jeanette Kuster erzählt, wie es in ihren Ohren plötzlich pfiff.
«Plötzlich pfiff es in meinen Ohren – tagelang. Ich dachte zuerst, ich werde verrückt.»
So beschreibt Journalistin Jeanette Kuster eines ihrer schlimmsten Erlebnisse in der Perimenopause Anfangs 40. Dazu kamen Schlafprobleme, Gereiztheit, totale Erschöpfung.
Ärzte wussten nicht weiter, Freundinnen auch nicht. «Alle reden nur von Menopause und Hitzewallungen. Aber dass die Jahre davor schon so heftig sein können, wusste niemand.»
Hilfe fand sie nirgends – also schrieb sie ihre Erfahrungen auf
Aus dieser Hilflosigkeit begann Kuster zu schreiben und Fachleute zu befragen. Daraus enstand das Buch «Mittendrin. Die Perimenopause meistern». Darin verbindet sie ihre eigenen Erfahrungen mit medizinischem Fachwissen und den Geschichten vieler betroffener Frauen.
Jeanette Kuster steckte also mitten in der Perimenopause: einer Phase, von der die meisten Frauen noch nie gehört haben.
Dabei handelt es sich um die Übergangsphase vor der Menopause. Der Körper bereitet sich so auf das Ende der fruchtbaren Jahre vor. Mit verschiedensten Symptomen.
Im Gespräch mit Nau.ch erzählt sie, warum der Begriff bis heute ein Tabu ist. Und was sich ändern muss, damit Frauen endlich ernst genommen werden.
Nau.ch: Frau Kuster, wann war der Moment, in dem Sie wussten: Ich muss dieses Buch schreiben?
Jeanette Kuster: Als ich gemerkt habe, dass nicht nur ich keine Ahnung hatte, sondern auch meine Freundinnen und Kolleginnen. Niemand wusste, dass es die Perimenopause überhaupt gibt.
Alle kannten nur die Menopause, Hitzewallungen – und das war’s. Gleichzeitig habe ich gesehen, dass Frauen in dieser Phase oft nicht ernst genommen werden, selbst von Ärzten. Da war klar: Ich muss etwas ändern.
Nau.ch: Sie beschreiben sehr offen Ihre eigene Verzweiflung. Wie schwer war es, so persönlich zu schreiben?
Jeanette Kuster: Das ging erstaunlich gut. Vom Mamablog war ich schon gewohnt, über heikle Themen zu schreiben. Für mich ist Schreiben eine Art Ventil. Wenn mich etwas beschäftigt, muss ich es rauslassen.
«Die meisten wissen nicht, dass es bis zu 70 Symptome geben kann»
Nau.ch: Warum wird über die Perimenopause so wenig gesprochen, auch in der Medizin?
Jeanette Kuster: In der Gesellschaft gilt es als Tabu, weil es ums Älterwerden und um unangenehme Symptome geht: Schlafprobleme, Blasenbeschwerden, psychische Veränderungen. In der medizinischen Ausbildung war die Perimenopause lange nur eine Randnotiz. Erst jetzt wird das langsam geändert.
Nau.ch: Welche Wissenslücken sind am grössten?
Jeanette Kuster: Die meisten wissen nicht, dass es bis zu 70 Symptome geben kann. Oder dass die Perimenopause schon in den Dreissigern beginnen kann.
Viele denken: «Das kommt erst mit 50.» Das stimmt meist nicht.
Geschichte von Andrea, der niemand helfen konnte
Nau.ch: Was hat Sie bei den Expertengesprächen am meisten überrascht?
Jeanette Kuster: Dass die Perimenopause so lange kein Thema in der Ausbildung war. Und wie viele Symptome tatsächlich dazugehören, bis hin zu Tinnitus.
Nau.ch: Gab es eine Geschichte, die Sie besonders berührt hat?
Jeanette Kuster: Andrea zum Beispiel, kam schon mit Mitte 30 in die Perimenopause, weil ihr ein Eierstock entfernt wurde. Sie litt jahrelang, ohne dass jemand helfen konnte. Ärzte sagten nur:
«Solange Sie noch 40 Prozent arbeiten können, geht es ja.» Das hat mich sehr beschäftigt.
«Auch Firmen müssen das Thema ernst nehmen»
Nau.ch: Wie gross ist der Handlungsbedarf in Unternehmen?
Jeanette Kuster: Sehr gross. Irgendwann betrifft es jede Frau. Wenn auch nicht jede gleich stark. Schlafprobleme, psychische Belastungen, Hitzewallungen: all das wirkt sich auf die Arbeit aus.
Firmen müssten das Thema ernst nehmen, flexible Lösungen anbieten oder Anlaufstellen schaffen.
«Schulfreund schrieb, hätte ich das vorher gewusst, wäre die Ehe nicht zerbrochen»
Nau.ch: Welche Rolle spielen Männer, Partner, Kollegen, Vorgesetzte?
Jeanette Kuster: Eine riesige. Ein Schulfreund schrieb mir, er hätte mein Buch zwei Jahre früher gebraucht, vielleicht wäre dann seine Ehe nicht zerbrochen. Wenn niemand weiss, was los ist, leiden Beziehungen. Männer müssen informiert sein, um Verständnis aufzubringen.
Nau.ch: Welche Strategien haben Ihnen persönlich geholfen?
Jeanette Kuster: Bei mir waren es Hormone: Östrogen, Progesteron und auch Testosteron. Das hat viel verändert. Daneben ein geregelter Schlafrhythmus, Tageslicht am Morgen, Magnesium, Yoga.
Es braucht meist eine Kombination.
«Frauen sollen mit mehr Wissen zum Arzt gehen können»
Nau.ch: Was wünschen Sie sich, dass Frauen nach der Lektüre mitnehmen?
Jeanette Kuster: Dass sie sich gesehen und verstanden fühlen. Und dass sie mit mehr Wissen zum Arzt gehen können, um gezielt Hilfe einzufordern.
Nau.ch: Und was wünschen Sie sich, dass Männer mitnehmen?
Jeanette Kuster: Dass sie begreifen, wie einschneidend diese Lebensphase sein kann. Und dass Unterstützung den Unterschied machen kann.
Nau.ch: Planen Sie schon ein neues Projekt?
Jeanette Kuster: Ja, ich habe eine Ausbildung als Menopause-Coach gemacht und möchte Workshops anbieten. Ein weiteres Buch kann ich mir irgendwann gut vorstellen.