Passagier begeistert mit Sitzplatz-Verzicht im vollen Zug

Bettina Zanni
Bettina Zanni

Bern,

Ein junger Mann verteidigt den Sitzplatz seiner Begleiterin im Zug hartnäckig. Am Ende fristet er die einstündige Fahrt von Bern nach Zürich stehend – mit Mühe.

Zug
Der Passagier ging am Ende im vollen Zug leer aus und musste stehend arbeiten. - Nau.ch

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Intercity-Zug von Zürich nach Bern ist überfüllt.
  • Es stehen so viele Passagiere im Mittelgang, dass es zu einem Stau kommt.
  • Ein Passagier beeindruckt mit einem sozialen Akt.

Ein Passagier nach dem anderen kassiert eine Absage. «Nein, leider ist hier nicht frei. Ich besetze für jemanden, der gleich kommt». Dies teilt ein junger Basler am laufenden Band mit.

Kein Wunder: Er besetzt mit seinem Rucksack in einem Vierer-Zugabteil einen Platz.

Ein älteres Touristenpaar im Abteil daneben meckert. Der Mann sitzt mit verschränkten Armen da und schüttelt immer wieder den Kopf. Seine Frau stimmt säuerlich zu. Der vollgestopfte Zug im Pendler-Land Schweiz passt ihnen ganz und gar nicht in den Kram.

Derweil kämpfen sich weitere Passagiere durch den Mittelgang des Intercity-Zugs von Bern in Richtung St. Gallen. Sie alle haben es auf den Rucksack-Platz abgesehen.

«Komme ja gar nicht mehr raus»

Auch ein Rentnerinnengrüppchen kriegt eine Absage. Die trotz allem gut gelaunten Damen bilden eine Traube vor dem Abteil. «Ich wäre jetzt wieder ausgestiegen, aber ich komme ja gar nicht mehr raus», sagt eine von ihnen. Tatsächlich ist die Kolonne im Gang inzwischen so lang geworden, dass ein Stau entstanden ist.

Als der Zug anrollt, kämpft sich eine junge Frau durch den Gang zum besetzten Platz. Von einigen der stehenden Passagiere erntet sie erwartungsvolle Blicke. Doch: Der besetzte Platz gehört tatsächlich ihr. «Es tut mir leid, aber ich hatte einen Unfall und kann nicht stehen», sagt sie genervt.

Musstest du die Zugfahrt schon mal ohne Sitzplatz verbringen?

Inzwischen ist der Rucksack weg und die junge Frau neben ihrem Begleiter auf dem Platz. Die Rentnerinnen und einige junge Passagiere gucken die Frau auf dem letzten freien Sitz im Waggon immer noch erwartungsvoll an. So, als wollten sie ihr nicht abnehmen, nicht stehen zu können.

Stehend im Zug arbeiten

Irgendwann wird es dem Basler, der den Platz besetzte, zu bunt. «Ich stehe auf, Sie können sich setzen», sagt er zu einer Dame des Rentnergrüppchens. Die Dame bedankt sich vielmals, was er mit einem charmanten «sehr gerne» erwidert.

Dabei hätte auch der Basler den Sitzplatz nötig gehabt. Nun fristet er die einstündige Zugfahrt bis Zürich stehend – und kämpft sich so mühsam durch Arbeitsunterlagen.

Ob sitzend oder stehend: Der begeisterte Blick für den sozialen Akt ist sämtlichen Passagieren in der Nähe gemeinsam.

Verspätung bei Unterhalt als Grund

Die SBB bestätigt den Passagierstau im Zug vom letzten Mittwoch. «Aufgrund einer Verspätung beim Unterhalt war eine Verstärkung dieses Zugs nicht wie geplant möglich», sagt Mediensprecherin Carmen Hefti zu Nau.ch. «Wodurch der Zug nur einteilig statt zweiteilig, 200 Meter statt 400 Meter, verkehrte.»

Die SBB sagt, sie sei sich bewusst, dass dies für die Gäste zu Unannehmlichkeiten führen könne, sagt Hefti. Darum informiere sie jeweils umgehend.

Entsprechende Hinweise seien im Fahrplan, in der SBB Mobile App und am Perron ersichtlich gewesen. «Sodass Reisende bei Bedarf und nach Möglichkeit eine andere Verbindung wählen konnten.»

Tagsüber fahren zwischen Bern und Zürich HB in der Regel vier direkte Züge pro Stunde. Dazu gibt es weitere Verbindungen, bei denen umsteigen nötig ist.

Stehen trotz Ticket

Finden Passagiere in den direkten Zügen keinen Platz mehr, ist längeres Stehen am Stück angesagt. Das Bahnunternehmen möchte sich für die entstandenen Unannehmlichkeiten im Intercity nach St. Gallen entschuldigen.

Will oder kann eine Person nicht lange im Zug stehen, kann sie aber nicht die SBB in die Pflicht nehmen.

Carmen Hefti verweist nochmals auf die Hinweise im Fahrplan. Damit sollten die Kundinnen und Kunden individuell entscheiden können, ob sie das Risiko eines Stehplatzes in Kauf nehmen. «Oder auf eine andere Verbindung ausweichen möchten.»

Denn: Reisende in den Zügen der SBB haben keinen generellen Anspruch auf einen Sitzplatz. In der Schweiz gilt für Reisende mit gültigem Ticket lediglich die Transportpflicht.

«Gegenseitige Rücksichtnahme»

Plätze für Reisende mit eingeschränkter Mobilität kennzeichnet die SBB mit einem entsprechenden Aufkleber.

Doch ist es in Ordnung, mit einem Rucksack den Platz für andere Personen zu besetzen?

«Wir zählen auf den gesunden Menschenverstand, gegenseitige Rücksichtnahme und Eigenverantwortung unserer Fahrgäste, damit Sitzplätze freigegeben werden», sagt Carmen Hefti.

Dass dies in der Regel gut funktioniere, dürften sie tagtäglich erleben.

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Kommentare

User #1530 (nicht angemeldet)

Leider hat sich der Anstand , seit Corona , verabschiedet und ersetzt durch Egoismus. Und zwar durch alle Altersschichten.

User #2188 (nicht angemeldet)

für die Youngster-Schreiberlinge von nau ist das natürlich eine Sensation. Sie haben nie gelernt Rücksicht zu nehmen. Wir standen sofort auf, sobald ein alter Mensch das Abteil betrat und machten Platz für diese Person. Da war es selbstverständlich, von den Eltern so vermittelt.

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