Oft unterschätzt – Expertin: Doch, der ältere Freund ist ein Problem

Rowena Goebel
Rowena Goebel

Basel,

Sie 17, er 30: Solche Beziehungen sind zwar legal. Oft wird jedoch unterschätzt, wie problematisch sie sind, warnt eine Expertin – und fordert mehr Aufklärung.

Alter
Legal, aber für die jüngere Person schädlich: Beziehungen zwischen Teenagern ab 16 Jahren und Erwachsenen. (Symbolbild) - pixabay

Das Wichtigste in Kürze

  • Viele Teenagerinnen schwärmen für ältere Männer.
  • Eine Soziologin fordert mehr Aufklärung über die Gefahren solcher Beziehungen.
  • Legal sind sie nämlich, sobald die jüngere Person 16 ist – doch trotzdem schädlich.
  • Denn: «Eine solche Beziehung findet nicht auf Augenhöhe statt», betont die Expertin.

Eine Party mit Alkohol und Musik in einer ländlichen Region im Kanton Bern. An der Bar stehen Amateur-Hockeyspieler – sie haben das Fest organisiert, um Geld für ihren Verein zu verdienen.

Um die Bar herum schleichen mehrere Teenie-Meitli. Gleich mehrmals starten sie Flirtversuche.

«Hast du Snapchat?», fragt eine Teenagerin und lacht einen Hockeyspieler hinter der Bar mit ihrer Zahnspange an. Sie trägt ein Bändeli, das zeigt, dass sie nur Bier, aber keine Spirituosen trinken darf. Sie ist also 16 oder 17.

«Nicht für dich», meint er. Und wundert sich – sieht das Mädchen nicht, dass er über zehn Jahre älter ist?

Am selben Abend passiert es gleich noch einmal. Eine 19-Jährige will die Nummer des Hockeyspielers. Wieder lehnt er ab.

Hast du dich mit 18 erwachsener gefühlt, als du rückblickend warst?

«Warum nicht?», fragt die Teenagerin. «Erstens bin ich fast 30 und zweitens bin ich vergeben», erklärt er.

Jetzt schaltet sich die Kollegin der Jugendlichen ein: «19 und 29 ist doch kein schlimmer Altersunterschied!», poltert sie.

Meitli finden es «cool», älteren Freund zu haben

Die Szene, die sich dieses Jahr im Frühling abgespielt hat, ist kein Einzelfall.

«Einige Jugendliche finden es cool, einen viel älteren Freund zu haben», sagt Soziologin Livia Boscardin zu Nau.ch. Das stellt sie in ihren Selbstverteidigungskursen für Mädchen, Frauen und genderdiverse Personen fest.

«Sie erhoffen sich davon Reife, Schutz oder einen gewissen Status.»

Lehrer warten Matur-Abschluss von Schülerinnen ab

Die Schuld für diesen Irrglauben möchte sie aber nicht den jungen Frauen geben, wie sie gegenüber Nau.ch betont. Erstens seien es nicht alle, die so denken.

Es gebe auch Jugendliche, die Altersunterschiede «richtig creepy» (Deutsch: «gruselig») finden.

Die Expertin: Livia Boscardin

Livia Boscardin ist Soziologin, psychosoziale Beraterin zu Sexualität und sexueller Gesundheit und Wen-Do-Trainerin im Verein Wen-Do Basel. Dort arbeitet sie oft mit weiblichen Jugendlichen und jungen Frauen zusammen. In Zusammenarbeit mit der Opferhilfe beider Basel unterstützt sie Betroffene häuslicher und sexualisierter Gewalt.

Zweitens sei es «die Verantwortung der älteren Person, Jüngere nicht auszunutzen und solche Beziehungen nicht einzugehen.»

Für viele aber offenbar nicht selbstverständlich.

«Ich höre in unseren Wen-Do-Kursen oft von Erwachsenen, die darauf warten, dass eine Jugendliche 16 wird, um ein Verhältnis anzufangen. Es gibt sogar Lehrpersonen, die abwarten, bis eine Schülerin die Matura abgeschlossen hat.»

Livia Boscardin
Livia Boscardin unterrichtet unter anderem Jugendliche und junge Frauen in Selbstverteidigung. - Wen-Do Basel

Und drittens erfinden die Jugendlichen die Idee, dass Altersunterschiede romantisch sind, nicht selbst. «Toxische Dynamiken, wie beispielsweise krankhafte Eifersucht und Kontrolle, gelten in unserer Gesellschaft als Liebesbeweis.»

Ungleiche Machtverhältnisse würden «romantisiert, ja richtiggehend glorifiziert. Solche Vorstellungen sind stark durch Popkultur, Medien und soziale Netzwerke geprägt.»

«Würde dich lieber tot sehen als ohne mich» – was Teenies als Liebe verkauft wird

Promi-Paare mit grossen Altersunterschieden gibt es beispielsweise zuhauf: Till Lindemann (62) und Joelle Jaracz (21), der Wendler (53) und Laura (25), oder Emmanuel (47) und Brigitte Macron (72).

Letztere sind übrigens die Ausnahme. Bei Paaren mit Altersunterschied ist der Mann deutlich öfter älter als die Frau. Das zeigen Zahlen des Bundesamts für Statistik aus dem Jahr 2023.

Doch nicht nur in der Promiwelt gibt es publikumswirksame Beispiele für ungleiche Machtverhältnisse in Beziehungen.

Viele Jugendbücher, die sich vor allem an weibliche Teenager richten, verkaufen toxische Beziehungen als romantisch.

Es fallen Aussagen wie «Ich würde dich lieber tot sehen als ohne mich» – ein Zitat aus «Twilight». Bella (17), die Hauptfigur der Buchreihe, ist satte 87 Jahre jünger als ihr Vampir-Lover Edward.

Boscardin fasst zusammen: «Was fehlt, ist eine klare Sprache für das, was es oft ist: eine Beziehung mit ungleichen Machtverhältnissen, die junge Frauen in ihrer Selbstbestimmung massiv einschränken kann.»

Darum ist der ältere Freund ein Problem

Zurück zum Beispiel vom Dorffest: Angenommen, ein 29-Jähriger geht auf die Flirtversuche einer 17-Jährigen ein und die beiden werden ein Paar.

Sie befinden sich in völlig unterschiedlichen Lebensphasen. Sie ist wahrscheinlich in der Lehre, wohnt bei ihren Eltern und hatte vielleicht noch gar nie einen Freund.

Welche Altersunterschiede sind beim Dating okay, wenn es um Teenager ab 16 Jahren geht?

Er ist dagegen wohl längst ausgezogen, hat seine Ausbildung vor Jahren abgeschlossen. Er konnte Geld sparen und hatte vielleicht schon mehrere Beziehungen.

Lebenserfahrung, emotionale Reife und finanzielle Unabhängigkeit sind bei solchen Paaren also meist ganz andere.

«Das schafft ein erhebliches Machtungleichgewicht. Das Risiko für Machtmissbrauch ist eindeutig erhöht», sagt Boscardin.

Gewalt-Risiko erhöht

Konkret: «In solchen Beziehungen sind emotionale oder finanzielle Abhängigkeit der jüngeren Person häufig.»

Studien zeigen, dass das Risiko für psychische Gewalt, Kontrolle oder auch sexualisierte Gewalt in solchen Konstellationen steigt.

Auch wenn das sogenannte «Schutzalter» in der Schweiz bei 16 Jahren liege, sei das allein kein ethischer Massstab.

«Eine Person mit 30 weiss um ihre Wirkung, ihren Einfluss und ihre Machtposition gegenüber einer 17-Jährigen. Eine solche Beziehung findet nicht auf Augenhöhe statt.»

Trotzdem: «Gesellschaftlich fehlt oft das Problembewusstsein, solange eine Beziehung ‹freiwillig› wirkt. Dabei ist das Machtgefälle strukturell eingebaut.»

Viele unterschätzen also, wie problematisch solche Altersunterschiede sind.

Das sagt das Gesetz

Sexuelle Handlungen zwischen Teenagern ab 16 Jahren und Erwachsenen sind in der Schweiz gesetzlich erlaubt. Es gilt Schutzalter 16 – das heisst: Ist jemand jünger als 16, dürfen seine Sexualpartnerinnen oder -partner nicht mehr als drei Jahre älter sein. Die ältere der beiden Personen ist verantwortlich dafür, dass das Gesetz eingehalten wird.

Zusätzlich gilt: Ausbildner, Lehrer, Vorgesetzte oder andere Menschen, zu denen ein Jugendlicher oder eine Jugendliche in einem Abhängigkeitsverhältnis steht, dürfen keine sexuelle Beziehung zu Personen unter 18 Jahren eingehen.

Quelle: www.147.ch

Es seien patriarchale Beziehungsmuster, in denen «ältere Männer ihre Position nutzen, um Kontrolle auszuüben – unter dem Deckmantel von Liebe».

Expertin fordert Eltern und Schulen zu Aufklärung auf

Doch wie können Jugendliche vor solchen Beziehungen bewahrt werden?

«Das Wichtigste: Erwachsene müssen verstehen, dass sie die Verantwortung haben, Jugendliche nicht auszunutzen und solche Beziehungen nicht einzugehen.»

Boscardin appelliert aber auch an die Eltern: «Erwachsene sollten Jugendlichen gleichgestellte, gesunde Beziehungen vorleben.»

Wurdest du in der Schule über Beziehungen mit ungleichen Machtverhältnissen aufgeklärt?

Und sie fordert, dass sowohl Eltern als auch Schulen präventiv über die Gefahren solcher Altersunterschiede aufklären. «Jugendliche müssen informiert werden, damit sie selbstbestimmt und reflektiert handeln können.»

Konkret: «Es ist zentral, dass Jugendliche nicht nur über Körperfunktionen und Schwangerschaftsverhütung aufgeklärt werden. Sondern auch über Warnzeichen, manipulative Dynamiken und Machtverhältnisse in Beziehungen.»

Aufklärung
Für die Expertin ist klar: Kinder und Jugendliche sollte im Unterricht auch über Machtverhältnisse in Beziehungen aufgeklärt werden. (Symbolbild) - keystone

Um dies sachgerecht tun zu können, müssten sich Eltern und Lehrpersonen selbst weiterbilden. Sonst sieht Boscardin das Risiko, dass sie «unbewusst veraltete oder romantisierende Vorstellungen weitergeben».

Es sei wichtig, Grauzonen wie legale Beziehungen mit ungleichen Machtverhältnissen zu benennen – und anzuerkennen, warum sie problematisch sind.

Lehrerverband betont Verantwortung der Eltern

Beat A. Schwendimann vom Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer LCH betont gegenüber Nau.ch, der Verband nehme die Problematik ernst. «Insbesondere im Hinblick auf mögliche Machtungleichgewichte in Beziehungen mit grossen Altersunterschieden.»

Dem LHC würden keine Informationen dazu vorliegen, ob das Thema überall in der Schweiz im Aufklärungsunterricht angesprochen wird.

Es gebe aber Fachstellen, die den Schulen Unterrichtsmaterialien zum Thema Machtverhältnisse zur Verfügung stellen. Aufklärung zu Grooming und Altersverstellungen auf Social Media sind zudem Teil des Lehrplans 21.

Der LCH betont ausserdem, dass auch die Eltern bei der Präventionsarbeit eine Verantwortung haben.

Kommentare

User #1803 (nicht angemeldet)

Eine Expertin warnt vor legalen Beziehungen. Es gilt die Rechtsstaatlichkeit.

User #310 (nicht angemeldet)

…später kann der Altersunterschied dann sehr harmonisch ausfallen!!

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