Einem Bericht des Weltklimarats zufolge könnten die Gletscher Europas bis 2100 zu 80 Prozent verschwinden. Experten zeigen sich besorgt.
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Massnahmen wie das Auslegen von Fliesmatten hier auf dem Titlis dienen nicht zur Eindämmung des Gletschersterbens. - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Ein Bericht des Weltklimarats stellt Europas Gletschern eine düstere Zukunft in Aussicht.
  • Bis in 80 Jahren könnten sie zu grossen Teilen verschwinden.
  • Ein Experte hält fest: Klimaschutz ist das einzige Mittel gegen das Gletschersterben.

Heute Mittwoch wurde ein neuer Bericht des Weltklimarats veröffentlicht. Die darin aufgeführten Erkenntnisse lassen nicht Aufatmen – im Gegenteil. Die Prognosen sind ernüchternd.

Bis 2100 kann der Meeresspiegel im schlimmsten Fall um bis zu 84 Zentimeter steigen. Und auch um die Zukunft der Gletscher steht es nicht gut: Sie dürften von 2015 bis 2100 zwischen 18 und 36 Prozent ihrer Masse verlieren, in Europa sogar bis zu über 80 Prozent.

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Der sterbende Pizol-Gletscher in Mels SG. - Keystone

Die Zahlen zur Gletscherschmelze bestätigt auch Glaziologe Matthias Huss von der ETH Zürich. Er erklärt: «Es gibt eine Spannbreite der Resultate von einem Verlust von zwei Drittels bis zu einem Verlust von über 90% aufgrund der Unsicherheit in der Klimaentwicklung.»

Die Schätzungen sind davon abhängig, wie schnell die globale Politik schnell griffige Massnahmen zum Klimaschutz implementiert – oder eben nicht.

Für viele Schweizer Gletscher ist der Zug schon abgefahren

Huss stellt klar: Lokale Massnahmen gegen das Gletschersterben greifen langfristig nicht. Etwa am Titlis werden wichtige Gletscherteile im Frühling mit Flies abgedeckt und in kalten Nächten wird Kunstschnee produziert.

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Eine Touristin posiert auf einer Fliesmatte, die zur Abdeckung des Titlis-Gletschers ausgerollt wurde. - Keystone

«Leider werden solche Massnahmen in der Öffentlichkeit oft missverstanden», so der Glaziologe. Was am Titlis gemacht werde, diene nicht dazu, die Gletscher zu retten. Vielmehr ziele es darauf ab, die Skipisten vor Ort zu erhalten, um unerwünschten Aufwand zu reduzieren.

Er erklärt: «Gletscherabdeckungen und Kunstschnee sind effizient, um die Schmelze zu reduzieren. Die Massnahmen sind aber sehr teuer und lassen sich kaum auf grössere Flächen anwenden – und wenn, dann nur mit immensen Kosten und Auswirkungen auf die Umwelt. Mit technologischen Mitteln werden wir die Gletscher der Schweiz also nicht retten können.»

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Eine Schneekanone ist im Einsatz im Skigebiet Titlis oberhalb Engelberg. - Keystone

Das Gletschersterben kann einzig und allein eingedämmt werden, indem das Klima geschützt wird. «Und zwar so schnell wie möglich – für viele Schweizer Gletscher ist der Zug nämlich schon abgefahren. Sie werden so oder so in den nächsten Jahrzehnten verschwinden», so Huss.

Glaziologen geht die Arbeit bald aus

Auch die Schweiz wird das Verschwinden der Gletscher zu spüren bekommen. ETH-Glaziologe Matthias Huss warnt: «Fallen die Gletscher weg, müssen wir vermehrt mit Wasserknappheit rechnen.» Zudem wirke sich ihr Verschwinden wahrscheinlich auch auf die Stromproduktion mit Wasserkraft aus.

Doch damit nicht genug: «Zusätzlich ist zu erwarten, dass es mit dem Gletscherrückgang mehr Naturgefahren im alpinen Raum gibt, so zum Beispiel Gletscher-Seeausbrüche und Bergstürze. Und nicht zuletzt der Meeresspiegelanstieg.» Dieser betreffe die Schweiz zwar nicht direkt – auch seien unsere Gletscher global gesehen nicht wichtig.

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Durch das Gletschersterben kommt es in Zukunft vermehrt zu Felsstürzen (Symbolbild). - Keystone

«Aber wenn es uns nicht gelingt, die grossen Gletscher in den polaren Regionen und die Eisschilde in Grönland und der Antarktis zu retten, sind die Folgen für die Welt gewaltig. Und davor wird sich auch die Schweiz als Binnenland nicht entziehen können.»

Die Prognosen sehen alles andere als rosig aus – müssen die Gletscherforscher etwa bald um ihre Stelle bangen? «Ja, uns wird die Arbeit irgendwann ausgehen. Allerdings werden wir sicher noch ein paar Jahrzehnte lang Gletscher messen können.», schliesst Huss.

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