Lernende am Limit: Firmen kämpfen mit psychisch belasteter Jugend

Simon Ulrich
Simon Ulrich

Bern,

Immer mehr Lernende starten labil in die Lehre – vor allem in harten Branchen. Die Post, Migros & Co. reagieren mit Krisentelefon und Extra-Coaching.

Lehrlinge
Betriebe beobachten eine wachsende Sensibilität und Unsicherheit bei Jugendlichen. (Symbolbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Lernende gelten heute als sensibler, unselbstständiger und stärker belastet.
  • Betriebe beobachten psychische Vorbelastungen und steigenden Betreuungsbedarf.
  • Besonders gefordert sind Berufsbildner in körperlich fordernden Branchen.

Lernende sind zunehmend sensibler, unselbstständiger und anfälliger für psychische Belastungen: Dies beobachtet Stefan Curiger, Leiter der betrieblichen Bildung am Thurgauer Amt für Berufsbildung.

«Körperlichen und emotionalen Stress können die heutigen Jugendlichen nicht mehr gleich gut bewältigen», sagte Curiger kürzlich der «Thurgauer Zeitung».

Das führe besonders in Berufen mit körperlich intensiver Arbeit und unregelmässigen Arbeitszeiten zu Herausforderungen für die Betriebe. Namentlich im Detailhandel, in der Logistik und im Bauwesen.

Ein Blick in die drei Branchen zeigt: Die Einschätzung deckt sich weitgehend mit den Erfahrungen grosser Ausbildungsbetriebe.

Detailhandel: Psychische Vorbelastung und neue Erwartungen

«Wir stellen ebenfalls fest, dass Jugendliche zunehmend psychisch vorbelastet in die Ausbildung starten», sagt Migros-Sprecher Andy Zesiger. Dies könne zu einem erhöhten Bedarf an Betreuung und Unterstützung führen.

Themen wie regelmässiges Feedback, Orientierung und persönliche Wertschätzung hätten für Lernende heute einen besonders hohen Stellenwert, ergänzt Aldi Suisse.

Zugleich übernehme die Gen Z gerne Verantwortung und lege «grossen Wert darauf, wie etwas gemacht wird und nicht nur was».

Eine individuelle Betreuung und die Förderung von Eigenverantwortung seien daher wichtige Grundsätze in der Ausbildung der Jugendlichen, betonen die Detailhändler.

Bauwesen: Grössere Unterschiede zwischen den Lernenden

Der Bauriese Implenia wiederum beobachtet eine «zunehmende Streuung»: Neben top-motivierten Jugendlichen gebe es auch solche mit mehr Schwierigkeiten.

Dadurch sei es aufwändiger geworden, sie auf ein einheitliches Leistungsniveau zu bringen, erklärt Sprecherin Eva Heimrich: «Unsere Berufsbildnerinnen und Berufsbildner benötigen daher sicher mehr Fingerspitzengefühl als früher.»

Dass Jugendliche heute mehr über psychische Probleme sprechen, sei aber nicht per se schlecht: Diese könnten so früher erkannt und angegangen werden, sagt Heimrich. Entscheidend sei es, Lernende individuell abzuholen und ihnen klare Perspektiven aufzuzeigen.

Post: Hohe Zufriedenheit trotz Belastungen

Auch die Post stellt fest, dass Jugendliche stärker unter Druck stehen als frühere Generationen. «Diese Entwicklung nehmen wir sehr ernst», betont Sprecher Patrick Stöpper. Die Gesundheit der Lernenden habe deshalb höchste Priorität.

Betreut werden sie eng von Berufsbildenden, ergänzt durch interne Beratungsangebote – bis hin zu Hotline und Krisentelefon.

Hattest du schon einmal ein psychisches Problem?

Gleichzeitig verweist die Post auf eine hohe Zufriedenheit: Viele Lernende möchten nach der Ausbildung im Unternehmen bleiben, über 60 Prozent tun dies auch tatsächlich.

Mehr Hilfesuche, veränderte Wahrnehmung

Ob das mentale Wohlbefinden von Jugendlichen heute schlechter ist als vor zehn Jahren, bleibt indes umstritten. Zwar ist die Zahl psychiatrischer Behandlungen bei jungen Menschen nachweislich gestiegen.

Gleichzeitig lasse sich laut den verfügbaren Daten nicht klar sagen, dass psychische Störungen bei Jugendlichen tatsächlich häufiger geworden sind: Das schreiben die Autorinnen und Autoren der im vergangenen Juni veröffentlichten Workmed-Studie.

Vielmehr hätten sich «die Wahrnehmung und der Umgang mit psychischen Problemen in der Gesellschaft stark verändert».

Kommentare

User #3149 (nicht angemeldet)

Bin pensioniert und weiss alles besser

User #3748 (nicht angemeldet)

Psychisch belastet, das sagt doch nichts aus. Womit und wodurch sind sie belastet?

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