Kirche hat trotz sinkender Zahlen «etwas zu bieten»

Nicola Aerschmann
Nicola Aerschmann

Bern,

Immer weniger Menschen sind Mitglieder einer religiösen Gemeinschaft. Dennoch hat die Kirche nach wie vor eine gesellschaftliche Bedeutung.

Religion Schweiz
Die Anzahl Menschen, die einer religiösen Gemeinschaft angehören, nimmt in der Schweiz ab. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Religiöse Gemeinschaften kämpfen mit einem Rückgang der Mitgliederzahlen.
  • Kirchenvertreter sehen den Trend gelassen – man müsse als Kirche eine neue Rolle finden.
  • Eine Expertin betont: Die Religion hat immer noch eine Funktion für die Gesellschaft.

Die Religion verliert in der Gesellschaft an Stellenwert. Das unterstreichen neue Zahlen des Bundesamtes für Statistik. Demnach besuchen immer weniger Menschen religiöse Veranstaltungen. Auch der Glaube an Gott ist laut den Daten weniger verbreitet.

Gleichzeitig beginnt die Präambel der Bundesverfassung mit den Worten «Im Namen Gottes des Allmächtigen!». Das zeigt, dass das Schweizer System unter anderem auf religiösen Werten beruht. Weshalb kommt es also zu diesem Bedeutungsverlust der Religion?

Religiosität auch ohne Zugehörigkeit zu Gemeinschaft möglich

Religionswissenschaftlerin Eva Baumann-Neuhaus vom Schweizerischen Pastoralsoziologischen Institut in St. Gallen erklärt mit Blick auf die Zahlen des Bundesamts für Statistik: «Wir leben in einer individualisierten Gesellschaft, in der das Individuum sein Leben selbstbestimmt und selbstverantwortlich gestalten kann und muss.» Auch die Religion sei deshalb zur Entscheidungssache des Individuums geworden.

Eva Baumann-Neuhaus
Religionswissenschaftlerin Eva Baumann-Neuhaus. - zVg

Gleichzeitig sind die BFS-Zahlen kein Beleg dafür, dass aus der Kirche ausgetretene oder kirchlich distanzierte Menschen unreligiös oder nicht spirituell sind. «Religiöse oder spirituelle Orientierung ist nicht mehr zwingend an Zugehörigkeit gebunden», so Baumann-Neuhaus gegenüber Nau.ch.

Man kann als Person also auch religiös sein, ohne einer bestimmten Gemeinschaft anzugehören. Die Daten des BFS zeigen demnach, dass die Institution Kirche an Bedeutung verliert, so Baumann-Neuhaus. «Sie sagen aber zu wenig über die individualisierten Formen von Religiosität, beziehungsweise Spiritualität jenseits von Kirchen, Moscheen und Synagogen.»

«Rad kann nicht zurückgedreht werden»

Solche gesellschaftlichen Trends zu bremsen, sei jedenfalls schwierig, sagt die Religionsexpertin weiter. «Ein Rezept, das die Menschen zurück in die Kirchen bringt, gibt es nicht, denn das Rad kann nicht zurückgedreht werden.»

Gesellschaft
Die Gesellschaft wird individualisierter – das wirkt sich auch auf die Zahlen der religiösen Gemeinschaften aus. - keystone

Letztlich brauche es eine Art Perspektivenwechsel der Kirche, sagt Expertin Baumann-Neuhaus. Beispielsweise müsse sie sich jungen Menschen anpassen, die sich nicht dauerhaft binden wollen.

Diese Menschen müssten sich stattdessen wohl über einzelne Events gewinnen lassen. Die klassischen kirchlichen Angebote reichen diesbezüglich kaum.

Dennoch hält Baumann-Neuhaus fest: «Die Kirchen haben auch etwas zu bieten, gerade in Zeiten multipler Krisen. Als Sinnstifterin, als Gemeinschaft und als soziale Akteurin.»

Bischöfe: Trend «herausfordernd», aber nicht «besorgniserregend»

«Der gesellschaftliche Trend der Säkularisierung und Individualisierung lässt sich nicht aufhalten», sagt auch die Schweizerische Bischofskonferenz (SBK). Es gehe stattdessen darum, dass die katholische Kirche lerne, «lebendig und überzeugend Kirche zu sein».

Der Trend der zunehmenden Kirchendistanzierung sei auch nicht «besorgniserregend», sondern «herausfordernd». Die SBK erklärt: «Er wäre nur dann besorgniserregend, wenn es der Kirche vor allem um den Erhalt einer vergehenden Form des Katholizismus ginge.»

Die Bischöfe seien sich jedoch bewusst, dass es nicht um die Rettung des Alten gehe. Stattdessen gehe es darum, wie der Glaube der Kirche gegenüber der heutigen Gesellschaft gelebt werden könne. «Hierzu ist die Kirche zu einer neuen Sprache sowie zu einer tieferen Sensibilität für die Fragen, Sorgen und Hoffnungen der Menschen aufgerufen.»

Gehörst du einer religiösen Gemeinschaft an?

Diese Sensibilität soll den Menschen eine Hilfestellung bieten. Dies, wenn sie in der heutigen Zeit der Individualisierung überfordert seien.

«Die Botschaft des Christentums ist auch heute sehr aktuell. Wir müssen jedoch besser lernen, sie so zu bezeugen, dass sie die Menschen wirklich erreicht und ihre Herzen berührt.»

Als Beispiel nennt die SBK den synodalen Weg. Das heisst: Die gesamte Gemeinde soll an der Entscheidungsfindung teilnehmen – sowohl Laien als auch Geistliche.

«Veränderung akzeptieren und eine neue Rolle finden»

Auch die Römisch-Katholische Zentralkonferenz (RKZ) nennt die Individualisierung als Erklärung für die sinkenden Zahlen. Generalsekretär Urs Brosi hält fest, dass die Abnahme vor allem von Generation zu Generation geschieht. Nicht unbedingt innerhalb eines Lebens einer Person.

«Noch ist die katholische Kirche mit einem Anteil von 30 Prozent der Gesamtbevölkerung eine sehr grosse Institution. Aber klar, die Tendenz ist rückläufig», so Brosi weiter.

Es bringe nichts, wegen des Verlusts von Grösse und Relevanz zu trauern. «Wir müssen die Veränderung akzeptieren und eine neue Rolle in der Gesellschaft finden.»

Bleibt die Frage, was der Gesellschaft ohne eine starke Kirche fehlt.

Ohne «Gott» haben es Autokraten einfacher

Brosi von der RKZ hält es für möglich, dass es einen Zusammenhang zwischen der Abnahme der Religiosität und den zunehmend autoritären Systemen gibt.

«Die Anerkennung von Menschenrechten als supranationale, ja gar vorpositive oder naturrechtliche Normen setzt nach meiner Überzeugung eine den Menschen übergeordnete Autorität ‹Gott› voraus.»

Donald Trump
Autoritäre Tendenzen wie unter Donald Trump könnten durch die abnehmende Religiosität möglicherweise gefördert werden. - dpa

Wenn diese Autorität nicht mehr akzeptiert werde, sei es für Autokraten einfacher, Gesetze in ihrem Sinne zu definieren.

Expertin: Religion hat gesellschaftliche Funktion

Laut Baumann-Neuhaus hat die Kirche gesellschaftlich immer noch eine Funktion. «Studien belegen, dass der zivilgesellschaftliche Beitrag religiöser Gemeinschaften nach wie vor hoch ist», so die Expertin.

«Auch bestätigen Studien in Europa, dass insbesondere die aktive religiöse Teilhabe einen positiven Einfluss auf das Vertrauen in Mitmenschen hat.» Das sei eine grundlegende Basis für das Zusammenleben, die Solidarität und das Gefühl der Zugehörigkeit.

Religion
Religion hat in der Gesellschaft nach wie vor eine wichtige Funktion. - keystone

Gerade in einer individualisierten Gesellschaft können religiöse Gemeinschaften zudem Sinnstiftung und Orientierung bieten. Vor allem in Krisen können sie Trost Spenden, Gemeinschaft anbieten oder Menschen empowern, so Baumann-Neuhaus. «Doch gerade junge Menschen haben oft keinen Zugang mehr zu solchen Gemeinschaften.»

Gleichzeitig müssen demokratische oder gesellschaftliche Werte nicht zwingend religiös begründet sein. «Auch säkulare Gesellschaften basieren auf universalistischen Werten wie die Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit», so Baumann-Neuhaus.

«Christliche Werte geniessen nach wie vor hohes Ansehen»

«Viele christliche Werte geniessen in unserer Gesellschaft nach wie vor hohes Ansehen», sagt derweil die Bischofskonferenz. Sie würden von vielen geteilt, auch wenn ihnen die christlichen Wurzeln nicht mehr bekannt seien.

Wichtig sei es, die Grundlagen der christlichen Werte im kulturellen Gedächtnis zu verankern. So können auch Menschen, die nicht glauben, bestimmte Werte für sich annehmen und leben.

Kommentare

User #6749 (nicht angemeldet)

Eine Expertin betont: Die Religion hat immer noch eine Funktion für die Gesellschaft. Nö. Die Kirchen benötigen zu biel Platz

User #5429 (nicht angemeldet)

Pfarrer Chidi ist mein Bro und ich folge ihm blind.

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