Skandal in Österreich. Ein heimlich aufgenommenes Video brachte die gesamte Regierung ins Wanken. War die Publikation des Videos rechtens?
Heinz-Christian Strache
Der damalige Vizekanzler Österreichs Heinz-Christian Strache soll mit einem russischen Oligarchen über möglicherweise illegale Parteispenden gesprochen haben. - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Ein Video bringt die österreichische FPÖ in Bedrängnis.
  • Kritiker monieren, das Video sei ungerechterweise publiziert worden.
  • Der Journalismus-Experte widerspricht dem vehement.

Die ganze Welt blickt auf Österreich. Ein heimlich aufgenommenes Video zeigte, wie Ex-Regierungsmitglieder der FPÖ auf Ibiza feierten. Führende FPÖ-Kader um Heinz-Christian Strache boten einer falschen Oligarchen-Tochter Vorteile für Gegenleistungen an.

Strache schwadroniert etwa davon, das österreichische Boulevard-Blatt «Kronen-Zeitung» zu übernehmen, um der FPÖ zum Wahlerfolg zu verhelfen. Mittlerweile ist die FPÖ aus der Regierung draussen, doch der Streit tobt weiter.

So werden etwa der «Spiegel» oder die «Süddeutsche Zeitung» kritisiert, die zuerst über den Fall berichteten. Vorgeworfen wurde ihnen etwa die Publikation des Videos mit der unklaren Herkunft.

Vinzenz Wyss
Vinzenz Wyss unterrichtet in Winterthur. - Zhaw

Nau hat bei Journalistik-Professor Vinzenz Wyss nachgefragt, ob die Medien richtig gehandelt haben und was der Fall bedeutet.

Nau.ch: Was halten sie von der Rolle des Journalismus im Fall des FPÖ-Skandals?

Vinzenz Wyss: Es ist natürlich irritierend, dass die Herkunft des Materials nicht geklärt ist. Aber die beiden Medien haben die Richtigkeit des Videos geprüft und bei der Güterabwägung zwischen Persönlichkeitsrechten und öffentlichem Interesse das Letztere höher gewichtet.

Nau.ch: Zurecht?

Wyss: Eindeutig, denn es wird zum Beispiel ein Verständnis eines Politikers über Medienfreiheit in einer Demokratie enthüllt, das Grenzen des Anstands überschreitet und etwa bei Wahlentscheidungen relevant sein müsste.

Nau.ch: Dürften denn auch Journalisten Fallen stellen?

Wyss: Man muss den Einzelfall beurteilen. Wenn man jedoch zu brisanten Aussagen im öffentlichen Interesse nicht anders kommt, dann kann auch mal der Einsatz versteckter Kameras legitim sein.

Nau.ch: Werden die Medien nicht zu einem Teil durch die Publikation instrumentalisiert?

Wyss: Gerade bei solchen Skandalen stecken in der Regel nicht-journalistische Interessenvertreter dahinter. Wichtig ist, dass der Publikationsentscheid journalistisch und nicht nach politischer Gesinnung gefällt wird. Es gibt aber bestimmt Grenzen der Instrumentalisierung. Etwa dann, wenn Journalisten Terroristen in die Hände spielen und einfach deren politischen Pamphlete verbreiten. Auch hier ist jeweils eine Güterabwägung vorzunehmen, welche die möglichen Folgen einer Publikation mitberücksichtigt.

Nau.ch: Ist der Fall eine neue Sternstunde für den Journalismus als Vierte Gewalt?

Wyss: Ich habe Mühe mit Superlativen. Für mich ist aber klar, dass in diesem Fall der Journalismus seine kritische Funktion wahrgenommen hat. Jetzt fordern einige Politiker eine Lockerung des Quellenschutzes. Doch das ist tabu, denn sonst würden Bürgerinnen und Bürger nie von solchen entlarvenden Aussagen und Handlungsabsichten erfahren.

Nau.ch: Andere Enthüllungen wie Grand Theft Europe oder die Panama Papers erzeugten weit weniger Aufruhr. Warum?

Wyss: Der Fall Strache hat einen überaus hohen Nachrichtenwert: Die angespannte Situation in der Regierung Österreichs ist schon länger ein Thema in der Öffentlichkeit. Nun wird mit einem Schlag ein Video publik, in dem widerliche Aussagen eindeutig und für jedermann sichtbar Regeln verletzen. Dazu kommen weitere Aspekte wie die schlüpfrige Umgebung und Drogen. Und letztlich stellt sich sofort die Frage nach den politischen Konsequenzen. Mehr Nachrichtenwert geht gar nicht.

*Vinzenz Wyss forscht und lehrt an der Zhaw in Winterthur.

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