Handy statt Kind: Sind diese Plakate elternfeindlich?

Karin Aebischer
Karin Aebischer

Greifensee,

Eine Frau schaut aufs Handy – daneben ihr Kind. Geht gar nicht oder nun mal Alltagsrealität? Eine Kampagne soll Eltern aufrütteln. Doch sie eckt auch an.

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«Ein Blick sagt mehr als 100 Likes», so der Spruch der Kampagne zu diesem Foto mit der Mutter, die auf dem Spielplatz auf ihr Handy schaut. - Instagram/go_offline_4

Das Wichtigste in Kürze

  • Eltern am Handy: Auf dem Spielplatz, im Wohnzimmer mit dem Kind, am Esstisch.
  • Eine Zürcher Offline-Kampagne provoziert mit Alltags-Situationen.
  • Experten sehen die Botschaft auch kritisch: Kollektive Empörung auszulösen, bringe nichts.

Das Kind schaukelt und blickt die Mutter an. Diese schaut aufs Handy. Der Vater sitzt mit seiner Tochter am Mittagstisch – diese starrt ins Tablet. Das Baby brabbelt am Boden auf der Kuscheldecke, während der Vater daneben nur Augen für seinen Handybildschirm hat.

Drei Szenen, die aus der Realität stammen könnten. Die aber auch prominente Plakate der aktuellen Offline-Kampagne von mehreren Schulen und Gemeinden des Kantons Zürich sind.

Die Initiative richtet sich an Eltern und Betreuungspersonen und fordert eine medienfreie Kindheit in den ersten Lebensjahren. Initiiert wurde sie von der Stadt Uster ZH.

Die Kampagne polarisiert. Auf der Berufs-Plattform Linkedin erhält der Post zur Lancierung viel Lob.

«Wunderbar. Das ist so nötig. Mich schmerzt es, wenn ich Eltern sehe, die mit dem Kinderwagen unterwegs sind und nur in ihr Handy starren, während das Kind sie anschaut und Kontakt aufnehmen möchte», schreibt eine NPO-Managerin.

Unterstützung erhält die Kampagne auch von Physiopaed, der Vereinigung der Kinderphysiotherapeutinnen und -therapeuten in der Schweiz. «Jede Minute, die nicht vor den Bildschirmen verbracht wird, ist eine weitere wertvolle Minute für bewegtes und spielerisches Entdecken und Lernen.»

Doch es gibt auch andere Stimmen.

«Befördert elternfeindliches Klima»

Die Journalistin Sarah Pfäffli kritisiert auf Linkedin den belehrenden Tonfall der Kampagne, die total auf Schuldgefühle abziele.

Ihre Befürchtung sei, dass sie den Familien damit einen Bärendienst tue. «Weil solche Bilder und Videos auch ein elternfeindliches Klima weiter befördern.»

Zudem seien Slogans wie «Kinder brauchen nicht viel. Nur unsere Aufmerksamkeit» ein Hohn.

Dafür erhält sie viele Likes. «Voll bei dir. Vor allem stimmt es auch nicht, dass Eltern ihren Kindern weniger Aufmerksamkeit schenken, im Gegenteil, sie verbringen mehr aktive Zeit mit ihnen», schreibt Danica Zurbriggen Lehner, Hochschuldozentin und Prix-Courage-Nominierte.

Alexandra Tschan, Kommunikationschefin von Valora, hält fest: «Abgesehen davon konnte das Kind vielleicht auf dem Spielplatz spielen, während die Mutter rasch die grösseren Kinderschuhe bestellte – statt wie früher im Kinderwagen durch die Stadt geschoben zu werden, nur um nach vier verschiedenen Läden endlich die passende Grösse zu finden.»

Anders hat es Simon Hutmacher von der Kommunikation der Zurich Versicherung empfunden: «Lustig, mich persönlich als Vater hat die Kampagne nicht getriggert, sondern eher bestärkt. Kann also ganz unterschiedlich ankommen», so sein Kommentar.

Es braucht Dialog auf Augenhöhe

Helfen nun solche Sujets, das eigene Verhalten zu reflektieren?

Kathrin Buholzer ist Mutter zweier erwachsener Kinder und hat während zwölf Jahren ihren Elternplanet-Blog und ihre Community auf Facebook mit 60'000 Followern geführt und bespielt.

Sie hat in dieser Zeit viele Gespräche mit Eltern geführt und weiss, wie diese am besten zu erreichen sind. «Mit einem Dialog auf Augenhöhe. Es hilft, sich mit ihnen zu verbünden, um etwas zu erreichen», so Buholzer, die heute wieder als Lehrerin tätig ist.

Medien
Zeitlimits für digitale Medien: Bei Kindern zwischen 6 und 12 Jahren geben die meisten Eltern klare Regeln vor. - dpa

Sie will nicht mit dem Finger auf die Zürcher Offline-Kampagne zeigen und sieht die gute Intention dahinter, sagt sie im Gespräch mit Nau.ch. «Wenn es darum geht, Aufmerksamkeit zu erzeugen und das Thema in das Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit zu rufen, ist das Ziel erreicht.»

Doch es fehle etwas das Fingerspitzengefühl. Die Frage stelle sich, ob man damit noch etwas anderes anstossen könne als kollektive Empörung, so Kathrin Buholzer. Denn diese brauche es nicht.

Aus Marketing-Sicht steht fest: «Empörung kann Reichweite bringen – gerade auf Social Media», sagt Marketing-Experte Felix Murbach.

Findest du die Kampagne gelungen?

Das entscheidende Element dieser Kampagne sei ihre Bildsprache, so Murbach zu Nau.ch

Ein Kind sucht Blickkontakt, die Eltern schauen aufs Handy. Damit wecke sie Emotionen und erfülle das zentrale Ziel der Kampagne: Aufmerksamkeit.

Berge aber auch ein Risiko: «Wer das Bild als Denkanstoss versteht, reflektiert das eigene Verhalten. Wer es jedoch als Schuldzuweisung empfindet, fühlt sich kritisiert – und schaltet innerlich ab», sagt Felix Murbach.

Genau an diesem Punkt entscheide sich – aus seiner Sicht –, ob die Kampagne Dialog fördert oder Abwehr auslöst.

Eltern-Rückmeldungen bisher «vielseitig»

Wie die Kampagne ankommt, weiss Patricia Bernet, Primarschulpräsidentin von Uster ZH. Die Rückmeldungen seien bisher «vielseitig» gewesen, erklärt sie gegenüber Nau.ch.

«Es gab Eltern, die die Kampagne begrüssen und sich bestärkt gefühlt haben. Es gab auch Eltern, die sich ertappt gefühlt haben, die aber durch die Kampagne neue Diskussionen geführt und vor allem viel über den eigenen Konsum reflektiert haben. Es gab auch Eltern, denen die Kampagne zu provokativ ist.»

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Die Kampagne soll Eltern stärken, so Patricia Bernet. Nicht alle finden, dass das funktioniert. - dpa

Bisher hätten aber alle, mit denen sie darüber gesprochen habe und zunächst skeptisch waren, zugegeben, dass die Kampagne sensibilisiere und viele Diskussionen angeregt habe. «Das werten wir als einen ersten Erfolg», so Bernet.

Die Kampagne ruhe auf drei Pfeilern: Provokation, Information und Alltagshilfen. «Wir provozieren, um das Problembewusstsein zu schärfen und den öffentlichen Diskurs anzuregen», so Bernet.

Mit den Informationen auf der Webseite wie Medien-Studien sollen sich alle ihr eigenes Bild machen können. Alltagstipps wie «Legen Sie Bildschirmzeiten fest» sollen Eltern stärken.

Verfügbarkeit wird von Arbeitgeber verlangt

Auch Pro Juventute führt Empfehlungen und Tipps für Bildschirmzeiten. Konkret äussern zur Kampagne will sich Lulzana Musliu nicht. Die Leiterin Politik und Medien bei Pro Juventute sagt aber: «Wesentlich erscheint uns bei Kampagnen, dass Eltern nicht verurteilt werden, sondern dass ihre Lebensrealität ernst genommen wird.»

Digitale Geräte und Medien seien heute im Alltag vieler Familien sehr präsent, oft aus beruflichen Gründen oder zur Organisation des Familienlebens.

kinderwagen
«Es nützt nichts, Eltern zu verurteilen, die am Handy sind auf einem Spaziergang, wenn gleichzeitig unsere Arbeitskultur eine ständige Verfügbarkeit von Arbeitnehmenden verlangt», so Pro Juv - keystone

Prävention gelinge dann am besten, wenn diese Realität anerkannt werde und Eltern gleichzeitig konkrete Hilfestellungen erhalten. «Es nützt anders gesagt nichts, Eltern zu verurteilen, die am Handy sind auf einem Spaziergang, wenn gleichzeitig unsere Arbeitskultur eine ständige Verfügbarkeit von Arbeitnehmenden verlangt.»

Nutzen Eltern vor den Augen der Kinder ein Handy – wie die Frau auf dem Spielplatz – empfiehlt Musliu, Kindern transparent zu erklären, was sie tun. Zum Beispiel: «Ich schaue gerade, wann das Grosi mit dem Zug ankommt.»

Hilfreich seien zudem bewusst eingeführte medienfreie Zeiten, etwa beim Essen oder vor dem Schlafengehen, kombiniert mit klaren, flexiblen Abmachungen darüber, wann das Handy genutzt wird.

Nicht immer «wart schnell»

Elternblog-Inhaberin Kathrin Buholzer plädiert beim Thema Mediennutzung mit Kindern ebenfalls für Situationen, bei denen das Handy tabu ist. «Man hat eine Vorbild-Funktion, zum Beispiel am Esstisch.»

Vor einigen Jahren hätte sie Eltern noch zu bewussten Offline-Zeiten geraten. Doch das habe sich geändert. «Es wird zunehmend schwieriger, das umzusetzen. Denn das Handy ist DAS Alltagsinstrument.» Sei es für ÖV-Tickets, Parktickets, die Einkaufsliste, die Uhrzeit, fürs Bezahlen oder für die Wetterprognose.

Hast du bewusst Zeiten, an denen du offline bist?

Stattdessen rät sie Eltern, ihren Kindern immer wieder «wertvolle Zeit» zu schenken. Also regelmässige und bewusste Momente, in denen man präsent ist, reagiert und wirklich zuhört, wenn Kinder etwas fragen, erzählen oder etwas zeigen wollen.

Und nicht immer zu sagen «wart schnell». «So wissen die Kinder, die Eltern sind verlässlich und aufmerksam. Und man ist in ständigem analogem Kontakt mit ihnen.»

Kommentare

User #6296 (nicht angemeldet)

Schaut mal wifile Erwachsene Menschen. Mit dem Händi vor dem Gesicht durch die Straßen laufen. Und im Zug Bus oder Tram Telefonieren. oder einfach nur drauf staren .ist das keine Sucht

User #2856 (nicht angemeldet)

Auch beim spazierengehen, Kinderwagen mit einer Hand stossen, Handy in der anderen Hand.

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