Die Welt ist im Wandel und junge Menschen wollen nicht klingen wie ihre Grosseltern. Wie wird sich das Schweizerdeutsch weiterentwickeln?
Kellnerin
Eine Berner Kellnerin spricht im tiefsten Emmental Gäste mit «Ihne» statt «Euch» an. Das sorgt für Diskussionen. (Symbolbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Eine Berner Kellnerin spricht im Emmental Gäste mit der Zürcher Höflichkeitsform an.
  • Das sorgt für Debatten – eine Bernerin fürchtet, Berndeutsch werde verdrängt.
  • Verschwinden Dialekte, weil wir uns immer mehr vermischen? Zwei Experten erklären.
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«Darf ig Ihne no öpis bringe?» Die Bedienung im tiefsten Emmental spricht Kundinnen und Kunden mit der zürideutschen Höflichkeitsform an. In Bern würde man als Höflichkeitsform eigentlich «Euch» statt «Ihnen» benutzen – also die 2. Person Plural anstatt die 3. Person Plural.

Dass man in einer Berner Beiz so angezürchert wird, gehe gar nicht, findet eine Restaurant-Besucherin. Sie fürchtet, dass das Berndeutsch einfach so verdrängt wird.

Wir sind heute mobiler, viele Berner arbeiten in Zürich, Bündnerinnen in Bern und Zürcher in Basel. Verschwinden deshalb tatsächlich unsere Schweizerdeutsch-Dialekte? Zwei Experten geben Auskunft.

Regionale Dialektgrenzen gehen verloren

«Sprachen verändern sich im Gebrauch ständig», stellt Mundartspezialist Christian Schmid erst einmal klar. Denn: «Sprachen, die nebeneinander existieren, bei uns vor allem Mundart, Hochdeutsch und Englisch, beeinflussen einander.»

Und laut Schmid ist es tatsächlich so: «Kleinregionale Dialektgrenzen gehen verloren, weil wir real und elektronisch sehr mobil sind». Menschen wechseln den Wohnort oder ziehen vom Land in die Stadt.

Christian Schmid
Mundartspezialist Christian Schmid erklärt, dass viele schweizerdeutsche Begriffe von hochdeutschen be- oder verdrängt werden.
Velo
Wie würden Sie diesem Objekt sagen?
Velo
Im «alten» Schweizerdeutsch wäre es ein «Göppel». Morderner sagt man in der Schweiz ein «Velo» oder ein «Bike». Auf Hochdeutsch ein «Fahrrad».
Frau mit Sommersprossen
Wie nennen Sie die kleinen Flecken auf der Haut dieser Frau?
Sommersprossen
Heute ist der hochdeutsche Begriff «Summersprosse» auch in der Schweiz am meisten verbreitet. Im Dialekt gibt es jedoch Alternativen, zum Beispiel «Märzetüpfli», «Märzespringgeli»oder «Loubfläcke».
Schlagrahm
Wie nennen Sie diesen weissen Schaum?
Waffel mit Schlagrahm
Wahrscheinlich sagen Sie «Schlagrahm». Sprechen Sie ein traditionelles Berndeutsch könnten Sie auch «gschwungeni Niidle» sagen.

Man beobachte die Bildung grösserer Regionen mit ähnlicher Mundart, zum Beispiel die Region Bern, Zürich oder Nordostschweiz. Die Entwicklung laufe aber nicht auf eine Einheitsmundart zu.

Sandro Bachmann, Redaktor beim schweizerdeutschen Lexikon «Idiotikon» stimmt dem nur teilweise zu. «Es ist sicherlich so, dass es heute durch die gesteigerte Mobilität eine grössere Durchmischung gibt als noch vor 200 Jahren. Und es ist richtig, dass man gerade in den Städten eine solche eher wahrnimmt.» Gleichzeitig sei die Durchmischung aber kleiner, als viele meinen.

Alte Mundartausdrücke von hochdeutschen verdrängt

Dialekte, die als ländlich und rückständig gelten, hätten in der Regel Mühe, sich zu behaupten, sagt Schmid. «Viele alte Mundartausdrücke werden langsam von hochdeutschen be- und verdrängt.» So wird «schiesse» zu «wärfe», «zmörgele» zu «früehstücke» und «Stäge» zu «Träppe».

Sandro Bachmann
Sandro Bachmann ist Redaktor beim schweizerdeutschen Lexikon «Idiotikon». - idiotikon.ch

Dies beobachtet auch Bachmann. Er ergänzt, dass die Vielfalt an Dialektwörtern gerade dort reduziert werde, wo die Zahl sehr gross ist. «Hier setzen sich in der Regel diejenigen Wörter durch, die in der Standardsprache ein Pendant haben», sagt er gegenüber Nau.ch.

Im Schweizerdeutschen gibt es für das Wort «stolpern» etliche Alternativen, zum Beispiel «stürchle», «stürfle», «stogle» oder «verträffe». Die meisten Sprecherinnen und Sprecher würden heute aber das ans Hochdeutsch angelehnte «stolpere» verwenden.

Schweizerdeutsche Wörter werden negativ angesehen

Ein weiteres Phänomen: «Traditionellerweise lauten Singular und Plural bei vielen Wörtern im Schweizerdeutschen gleich. Aber offenbar wird der Drang nach Unterscheidung zwischen Singular und Plural immer grösser», sagt er gegenüber Nau.ch.

So werden aus «einem Horn/einem Hoore» gleich «zwei Hörner» gemacht. Aus einem Auto werden zwei Autos. Traditionellerweise würde man im Schweizerdeutschen aber eigentlich «zwei Auto» sagen.

Dazu komme, laut Schmid, dass das schweizerdeutsche Wort im Vergleich zum Deutschen oftmals eine negative Färbung habe. «Früher war, wer bei der Bahn arbeitete, ein ‹Bäändler›. Viele sind heute der Meinung, das gehöre sich nicht, und sagen ‹Bahnaagstellte›».

Was sagen Sie?

Und weiter: «Mundarten haben keinen kulturellen Ort wie das Jodeln, Schwingen oder Alphornblasen. Vor allem jüngere Menschen wollen nicht tönen wie ihre Grosseltern.» So hört man aus dem Mund einer jüngeren Person nicht «Du verzellsch Chabis», sondern eher «Du liirisch Bullshit».

Dem stimmt auch Sandro Bachmann zu. Er sagt: «Jugendliche wollen sich immer abgrenzen, indem sie sprachlich kreativ sind und neue Wörter in ihren Wortschatz aufnehmen.»

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