Ex-Mitarbeiter erklärt, was im Zürcher ÖV schiefläuft
Viele Tramfahrer seien durch lange Dienstschichten und unregelmässige Arbeitszeiten erschöpft, kritisiert ein Chauffeur. Die VBZ wollen Verbesserungen prüfen.
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Das Wichtigste in Kürze
- Ein Ex-Angestellter der VBZ kritisiert Überstunden, lange Pausen und zu kurze Wendezeiten.
- Die Gewerkschaft VPOD fordert bessere Arbeitszeiten und eine 35-Stunden-Woche.
- Die VBZ wollen Verbesserungen prüfen und verweisen auf erste Fortschritte.
Was Unfälle anbelangt, war 2024 für die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) ein schwarzes Jahr. Sechs Personen kamen bei Unglücken mit Trams ums Leben – so viele wie nie in der jüngeren Vergangenheit.
Gleichzeitig stieg die Gesamtzahl der Kollisionen mit Fahrzeugen auf 853 an, 120 mehr als im Vorjahr.
Laut Beobachtung der VBZ sind Hektik im Verkehrsalltag und Ablenkung bei den Verkehrsteilnehmenden – etwa Fussgängern – gestiegen. «Sie schauen aufs Handy oder hören Musik mit Kopfhörern, die die Aussengeräusche unterdrücken», sagte eine Sprecherin kürzlich zu Nau.ch.
Zudem gehe oft vergessen, dass Trams immer Vortritt haben und aufgrund ihres langen Bremsweges nicht einfach abbremsen können.
Zu lange Pausen, zu kurze Wendezeiten
Mittlerweile hat sich ein ehemaliger VBZ-Mitarbeiter an die Redaktion gewandt. Er erklärt, warum es seiner Meinung nach immer häufiger kracht.
Für Chauffeur Dieter K.* ist klar: Die Probleme sind vor allem hausgemacht.
Besonders kritisiert er die hohe Arbeitsbelastung, die sich aus der Schichtarbeit mit ihren unregelmässigen Einsatzzeiten ergibt.
«Die Startzeiten schwanken innerhalb derselben Woche teilweise um bis zu vier Stunden», sagt K. Dies mache es unmöglich, einen stabilen Schlafrhythmus zu entwickeln.
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Erschwerend hinzu komme die Länge der Arbeitstage.
K. schildert Dienste, die um 5 Uhr morgens beginnen und mit langen Pausen unterbrochen sind. Feierabend gebe es dann trotz frühem Start oft erst nach 16 Uhr.
«Die Pausen dauern teilweise bis zu 3,5 Stunden. Diese Zeit kann man nicht sinnvoll für Familie oder Freizeit nutzen, da ein Grossteil der Fahrer ausserhalb von Zürich wohnt.» Auch sei es während dieser Pausen schwer, sich zu entspannen oder gar zu schlafen.
Belastend seien auch die Überstunden und Extradienste, die sich laut K. seit Jahren häuften.
«Früher hiess es: maximal drei Extradienste im Monat. Jetzt sind es oft schon drei bis sechs. Ich selbst hatte im Dezember, obwohl ich eine Woche krank war, sieben Extradienste», erzählt er.
Zu kurz seien auch die Wendezeiten an den Endhaltestellen, insbesondere auf Linien wie der 8: «Da hat man kaum Zeit, um zur Toilette zu gehen, geschweige denn, sich kurz zu erholen.»
Auch die monotone Streckenführung macht K. zufolge vielen Fahrern zu schaffen. Gerade in Tempo-30-Zonen führe das langsame Fahren zu Ermüdung. «Das laugt aus, ob man ausgeschlafen ist oder nicht.»
Laut K. habe die Belegschaft bereits mehrfach Konzepte zur Verbesserung der Situation eingereicht. Beispielsweise Vorschläge für kürzere Pausen oder angepasste Dienstpläne.
«Diese wurden jedoch ohne Prüfung abgelehnt», kritisiert er. Stattdessen habe die VBZ lieber eine teure Schlafstudie finanziert, die aus seiner Sicht nicht die wahren Ursachen bekämpfe.
Gewerkschaft VPOD fordert 35-Stunden-Woche
Die Erfahrungen von Dieter K. decken sich in wesentlichen Punkten mit den Einschätzungen von Duri Beer. Er ist Regionalsekretär der Gewerkschaft VPOD Zürich.
«Die Schichtleute brauchen kompaktere Dienste, weniger Präsenzzeit und kürzere Pausen», fordert Beer. «Damit sie sich über Nacht genügend erholen und frisch zur Arbeit erscheinen können.»
Der Gewerkschafter bestätigt K.s Aussage, wonach die meisten VBZ-Mitarbeitenden nicht in der Stadt Zürich wohnen. Sie seien deshalb gezwungen, ihre «Zimmerstunde» auswärts zu verbringen – echte Erholung sei so kaum möglich.
«Kurz und gut: die Arbeitsbelastung ist für viele zu hoch. Darum braucht es im Schichtdienst eine 35-Stunden-Woche.»
Beer sieht die VBZ und den Stadtrat klar in der Pflicht. Diese hätten es bislang versäumt, dem Kanton die Zunahme von Verkehrsdichte und Arbeitsbelastung der letzten Jahre in Rechnung zu stellen. Stattdessen habe man Kursausfälle in Kauf genommen.
«Investitionen ins Personal kosten etwas», sagt er. «Aber der Return on Investment sind reduzierte Krankheitstage und motivierte Fahrerinnen und Fahrer.»
VBZ prüft Verbesserungen
Auch die VBZ sehen die Schichtarbeit mit ihren unregelmässigen Arbeitszeiten als Herausforderung.
Daher werde «kontinuierlich» geprüft, wo Verbesserungen für die Fahrerinnen und Fahrer möglich seien, erklärt Sprecherin Judith Setz. Etwa indem einzelne Dienstteile attraktiver gestaltet oder Teilzeitmodelle berücksichtigt würden.
«Seit dem Fahrplanwechsel 2024 dauert erstmalig keine Dienstschicht mehr länger als 13 Stunden. Und nur noch sechs Prozent der Dienste hat eine Pause von mehr als drei Stunden», sagt Setz. Dies ermögliche längere (Nacht-)Ruhezeiten. An der weiteren Reduzierung werde gearbeitet.
Setz betont zudem stolz, dass es seit 2023 an allen Pausenorten Ess- und Aufenthaltsgelegenheiten gebe.
Abschliessend verweist sie auf die «präventive Gesundheitsförderung» der Verkehrsbetriebe. So könnten VBZ-Chauffeurinnen und -Chauffeure von «Angeboten in Bereichen wie Physiotherapie und Herzgesundheit» profitieren.
Und damit nicht genug: Linieninstruktoren, Fahrbegleiter und Ausbildner würden gezielt in Ergonomie geschult. Zudem gibts für Führungskräfte ein spezielles Resilienz-Training.
*Name geändert