Ohne Verbot verzeichnete Basel eine massive Zunahme von Bettlern aus Osteuropa. Das «Berner Modell» soll Abhilfe schaffen. Doch so einfach ist es nicht.
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Eine Roma-Frau bettelt in der Schweiz um Geld. - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Basel erlebt nach einer Gesetzesänderung einen starken Anstieg von Bettlern aus Osteuropa.
  • Die Politik erhoffte sich Antworten aus Bern, wo das Problem unter Kontrolle ist.
  • Doch die Situation in Bern unterscheidet sich in zwei Punkten deutlich von der in Basel.

«Entschuldigung, hesch mer kli Münz», fragt die Frau in den farbigen Leggins an einem kalten Oktoberabend in Basel meine Begleiterin. Diese schüttelt bedauernd den Kopf. Nicht, weil sie nichts geben will, sondern weil sie kein Kleingeld mehr hat: Während der drei Stangen Bier vor der «KaBar» bei der Kaserne wurden wir insgesamt sechs Mal angesprochen. Seit der vierten Spende ist unser beider Münzfach leer.

Bis zu diesem Sommer kannte der Basler seine Bettler noch. Da war Louis*, meist per Velo unterwegs, der ein Kopfschütteln auch gerne einmal mit Flüchen quittierte. Oder der mürrische Unbekannte vor dem Bahnhof-Eingang. Dort sass er ans Parkverbotsschild gelehnt und stritt sich regelmässig und lautstark mit Urs, dem bärtigen Surprise-Aushängeschild. Auch die Leggins-Frau ist im Kleinbasel eine alte Bekannte.

Politischer Hickhack

Doch seit Juli haben Louis und Co. Gesellschaft erhalten. Viel Gesellschaft. Mit der Aufhebung des Bettelverbots per 1. Juli wurde in Basel plötzlich eine spürbare Zunahme von Bettlern registriert. Die meisten kommen aus Osteuropa und machten die Gesetzesänderung am Rheinknie schnell zum Politikum. Der Grosse Rat hat mittlerweile eine Motion an die Regierung überwiesen, welche eine erneute Wiedereinführung des Bettelverbots fordert.

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Die Bettler hatten sich in Basel unter anderem im Pavillon des De-Vette-Parks häuslich eingerichtet. - Nau.ch

Für die Basler SVP kommt das Thema kurz vor den Wahlen zum denkbar besten Zeitpunkt. Grossrat Joël Thüring lässt keine Gelegenheit aus, die Basler daran zu erinnern, dass es Rot-Grün war, die das Bettelverbot vors Volk gebracht hatten.

Auch bei den Linken ist man sich eigentlich einig, dass sich etwas ändern muss. Man versuchte aber, eine Rückkehr zum Bettelverbot zu verhindern. Stattdessen nimmt das links-grüne Lager dabei die Polizei ins Visier. «Es handelt sich um ein Vollzugsproblem», sagt SP-Nationalrat Beat Jans im «Regionaljournal». «Die Polizei macht zu wenig.»

Sicherheitsdirektor Baschi Dürr (FDP) wehrt sich vehement gegen diesen Vorwurf. Seiner Polizei seien die Hände gebunden, erklärte er mehrfach. Seit der Gesetzesänderung muss die Polizei «bandenmässiges» Betteln nachweisen, um jemanden wegzuweisen. Doch das sei in der Praxis schwierig bis unmöglich.

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Baschi Dürr hat den Sprung in den Nationalrat nicht geschafft. - Keystone

Politiker verschiedener Lager schielten deshalb nach Bern. Die Bundesstadt kennt kein Bettelverbot. Trotzdem wird man dort kaum um Geld gefragt. GLP-Grossrätin Esther Keller will deshalb durch einen Vorstoss die Basler Polizei dazu bringen, das «Berner Modell» zu prüfen, bevor man das Verbot wieder einführt. Doch die Situation in Bern unterscheidet sich in zwei Punkten wesentlich von jener in Basel.

Details und Erfahrung

Ein erstes, aber entscheidendes Detail ist die Durchsetzung des Campierverbots. Während die Behörden in Bern nachts rigoros die Leute aus den Parks vertreiben, sei in Basel «das Nächtigen unter freiem Himmel nicht explizit verboten», erklärte Baschi Dürr kürzlich der «Basler Zeitung». Der Vollzug des Gesetzes über die Nutzung des öffentlichen Raums liege ausserdem beim Tiefbauamt beziehungsweise der Allmendverwaltung.

Dort war man lange am Abwägen. Erst seit dem 21. Oktober greift die Stadtgärtnerei durch: Tagsüber sollen die Parks der Öffentlichkeit zugänglich sein, die Bettler müssen ihr Hab und Gut an einem anderen Ort lagern.

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Das Tiefbauamt kann die Bettler nur tagsüber vom Campieren vor dem Bahnhof abhalten. - Nau.ch

Diese Zuständigkeitsdiskussionen sind bezeichnend für den zweiten zentralen Unterschied zwischen Bern und Basel: Die Bundesstadt hat ganz einfach schon wesentlich mehr Erfahrung mit den Bettlern und hatte darum auch viel mehr Zeit, Lösungen zu finden und Abläufe zu optimieren. Alle involvierten Institutionen sind mittlerweile eingespielt. Sogar der Bund mischt mit. Aber auch in Bern war aller Anfang schwer.

Ein langer Weg

Die Berner Behörden registrierten erstmals ab 2002 mit der erweiterten Personenfreizügigkeit eine Zunahme von ausländischen Bettlergruppen. «Darunter stellten wir viele allein reisende, minderjährige Personen fest, darum wurden wir aktiv», erzählt Alexander Ott, Leiter des Polizeiinspektorats der Stadt Bern.

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Die Berner Polizei begann, die Bettler intensiv zu beobachten und kontrollieren. - Keystone

Die Fremdenpolizei lancierte eine aufwendige, verdeckte Überwachung der bettelnden Personengruppen. «Die Aktion war zu Beginn mit sehr viel Aufwand verbunden und es brauchte viel Geduld, um das System zu verstehen», erinnert sich Ott.

Schlussendlich gelang es den Behörden aber, eine Struktur zu erkennen. «Man konnte klar drei Gruppen identifizieren: Die Bettler auf der Strasse, die Läufer, welche ihnen das Erbettelte abnahmen und die Hintermänner, welche das Geld von den Läufern einkassierten und die Personen wiederum koordinierten und überwachten.»

Mehr Einblick in die Ermittlungsergebnisse gibt es nicht. Dass hinter dem Betteln eine organisierte, ausbeuterische Struktur steckt, sei aber kein Mythos, ist Ott überzeugt. 2008 wurde darum das Projekt «Agora» ins Leben gerufen. Die Berner Fremdenpolizei begann, die Bettler aus Osteuropa intensiv zu kontrollieren, zu befragen und auch wegzuweisen. «Im Fokus hatten wir dabei sowohl den Opferschutz wie auch die Täterverfolgung», so Ott.

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Zwei Bettler trotzen dem Berner Winter. - Keystone

Gleichzeitig vernetzte man sich stark mit anderen Behörden, wie dem Staatssekretariat für Migration, dem fedpol oder den Auslandvertretungen der Herkunftsländer, um Täter rückzuführen.

«​Auch der Aufruf an die Bevölkerung, kein Geld mehr zu geben, hat Wirkung gezeigt.» Mit diesem kontinuierlichen Vorgehen machte man die Bundeshauptstadt bei den organisierten Banden im Hintergrund immer unbeliebter, glaubt Ott. Die Bettler aus Osteuropa wurden weniger und weniger.

Warten auf die Bescherung

In Basel hoffte man erst noch darauf, dass sich das Problem von alleine löst. Die drei Monate und die einhergehende Aufenthaltsbewilligung ist für die Personen, welche schon im Juli kamen, mittlerweile abgelaufen.

Auf einem Spaziergang von der Mittleren Brücke zum Bahnhof zählen wir noch 18 osteuropäisch aussehende Bettler. Die Basler Polizei geht sogar von rund 50 Personen aus. Zu viel, findet Baschi Dürr, und verspricht, dass die Regierung die Wiedereinführung des Verbots «schnellstmöglich» behandeln wird.

*Name geändert.

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