Datenschutz-Experte: «Wir leben bereits in einem Überwachungsstaat»
Die SBB will den Einsatz von Bodycams auf das Zugpersonal ausweiten. Anwalt Martin Steiger hält das für rechtlich heikel – und sicherheitstechnisch fragwürdig.

Das Wichtigste in Kürze
- Die SBB testet Bodycams künftig auch beim Billettkontrollpersonal.
- Ein Experte für Datenschutzrecht warnt vor Eingriffen in die Privatsphäre im ÖV.
- Er bezweifelt den Sicherheitsgewinn durch Bodycams.
Die SBB will Bodycams künftig auch beim Billettkontrollpersonal testen. Denn nach einem Jahr Einsatz bei der Transportpolizei zieht das Unternehmen eine positive Bilanz: Die Kameras hätten Konflikte entschärft und Beweise gesichert.
Laut SBB gingen die Tätlichkeiten gegen Polizistinnen und Polizisten um elf Prozent zurück. Fast die Hälfte der kontrollierten Personen habe deeskalierend reagiert, sobald eine Aufnahme angekündigt wurde.
Seit September vergangenen Jahres wurden Bodycams 687 Mal aktiviert, in 202 Fällen als Beweismittel genutzt.
SBB setzt Bodycams zur Abschreckung und Deeskalation ein
Die SBB betont, Bodycams dienten der Abschreckung und Deeskalation. Die Daten würden auf SBB-Servern in der Schweiz gespeichert und nach 100 Tagen automatisch gelöscht, sofern keine Strafuntersuchung läuft.
Nun soll ein Pilotprojekt prüfen, ob Bodycams auch das Zugpersonal schützen können. Zuvor müssten aber rechtliche und datenschutzrechtliche Fragen geklärt werden.
Doch die Pläne der SBB stossen nicht bei allen auf Begeisterung.
Eingriff in Privatsphäre «besonders intensiv»
Der Zürcher Anwalt Martin Steiger, Experte für digitales Recht und Sprecher der Digitalen Gesellschaft, sieht den geplanten Einsatz kritisch. Neben der benötigten Rechtsgrundlage müsse insbesondere die Verhältnismässigkeit gegeben sein.
Mit Blick auf die bereits vorhandene Videoüberwachung im öffentlichen Verkehr sei jedoch «die Erforderlichkeit und Eignung fraglich».
Steiger hält fest: Bei Bodycams sei der Eingriff in die Privatsphäre der betroffenen Personen im ÖV «besonders intensiv».
«Wir leben bereits in einem Überwachungsstaat»
Da auf kurze Distanz gefilmt und Gespräche aufgenommen würden, müsse hier «die Verhältnismässigkeit besonders streng geprüft werden».
Der Experte warnt auch grundsätzlich vor einem weiteren Ausbau der Überwachung: «Wir leben bereits in einem Überwachungsstaat.»

Gerade im öffentlichen Verkehr würden immer mehr Daten erhoben, etwa durch digitale Tickets. Wer reisen wolle, habe «nicht die freie Wahl», da es keine Alternative ohne Überwachung gebe.
Digital-Rechtsexperte fordert mehr Personal statt Kameras
Zwar erkennt Steiger an, dass Bodycams bei der Beweissicherung helfen können. Doch er zweifelt an ihrem Nutzen für die Sicherheit: «Videoüberwachung verbessert die Sicherheit nicht relevant oder verlagert Straftaten bloss in weniger überwachte Bereiche.»
Sinnvoller wäre aus seiner Sicht, das Personal in riskanten Situationen nicht allein arbeiten zu lassen.
«Eine alkoholisierte und aggressive Person wird sich von noch mehr Videoüberwachung nicht beeinflussen lassen.» Hingegen habe Personal, das zu zweit unterwegs sei, eine erhebliche Wirkung.
Für Steiger ist klar: Aus der bestehenden Videoüberwachung könne nicht geschlossen werden, «dass weitere Videoüberwachung unproblematisch ist». Jede zusätzliche Massnahme müsse besonders kritisch geprüft werden.
Datenschutz-Aufsichtsbehörde des Bunds hat auch Bedenken
Auch die Aufsichtsbehörde des Bundes, der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB), hat Bedenken.
Gegenüber Nau.ch erklärt Sprecherin Katja Zürcher-Mäder: «Unsere Aufsichtsbehörde äusserte datenschutzrechtliche Vorbehalte gegen die erwogene Ausweitung des Bodycam-Einsatzes.»
Der Datenschutzberater der SBB stehe stets im Kontakt mit dem EDÖB – auch bezüglich Bodycams, wie Zürcher-Mäder sagt.

Dabei zeigte sich die Behörde kritisch: «Einerseits ergaben sich unsere Bedenken aus dem Umstand, dass die meisten Wagons heute bereits mit fest installierten Kameras ausgerüstet sind.»
Weite die SBB nun die Videoüberwachung auf Bodycams fürs Zugbegleitungspersonal aus, würde das bedeuten: Das «Spannungsfeld zur datenschutzrechtlichen Vorgabe der Verhältnismässigkeit» würde in «einem noch ausgeprägteren Verhältnis» stehen müssen.
Übersetzt: Die Behörde fürchtet, Bodycams wären aus Sicht des Datenschutzes vielleicht nicht mehr verhältnismässig. Sie könnten also zu viel Überwachung für zu wenig Nutzen bedeuten.
SBB wartet «seit längerem» auf Rechtsgrundlage für Bodycams
Als weiteren Grund für seine Bedenken nennt das EDÖB eine ausstehende Anfrage der SBB beim Bundesamt für Verkehr. Die Bundesbahnen wollen die nötigen Rechtsgrundlagen für einen versuchsweisen Einsatz der Bodycams in die Wege leiten.
Ein Entscheid des Bundesamts für Verkehr fehlt bisher – obwohl die SBB laut EDÖB «seit längerem daran sind».
Der SBB-Datenschutzberater hat dem EDÖB «schriftlich zugesichert, mit der Ausweitung des Bodycam-Einsatzes zuzuwarten, bis hinreichende Rechtsgrundlagen» vorhanden sind.

















