Ist eine Durchseuchung im Kampf gegen das Coronavirus überhaupt vertretbar? Laut Ethikerin Ruth Baumann-Hölzle ja – unter gewissen Bedingungen.
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Ein Mann wird auf das Coronavirus getestet. - keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Mit der schnellen Omikron-Ausbreitung wurde eine Durchseuchung der Bevölkerung zum Thema.
  • Diese sei laut Ethikerin Ruth Baumann-Hölzle in bestimmten Fällen vertretbar.

Immer mehr Menschen stecken sich in der Schweiz mit dem Coronavirus an. Die Omikron-Variante ist landesweit auf dem Vormarsch, der Bundesrat appelliert immer wieder an die Eigenverantwortung der Bevölkerung.

Nun reduziert die Landesregierung die Dauer der Quarantäne und Isolation auf fünf Tage. Für alle, die sich in den letzten vier Monaten haben impfen lassen, fällt die Kontaktquarantäne gar ganz weg.

Sollte die Quarantänedauer abgeschafft werden?

Verfolgt der Bundesrat bei der Bekämpfung des Coronavirus eine Durchseuchungsstrategie? Bundespräsident Cassis streitet das an der Pressekonferenz am Mittwoch ab – sagt jedoch: Der Bundesrat könne eine Durchseuchung nur bremsen, aber nicht aufhalten.

Durchseuchung eine Frage der Ethik

Eine Durchseuchung würde gleich mehrere Fragen aufwerfen. Was passiert zum Beispiel mit ungeimpften Personen und Risikopatienten? Im Durchseuchungsszenario wären sie weniger oder kaum noch geschützt.

Ist eine Durchseuchung mit entsprechenden Folgen ethisch also noch vertretbar?

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Immer mehr Menschen stecken sich in der Schweiz mit dem Coronavirus an.
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Testlabore könnten bald ihre Kapazitätsgrenzen erreichen.
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Kommt es in der Schweiz zur Durchseuchung?
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Derzeit ist gut ein Viertel der Schweizer Bevölkerung dreifach gegen das Coronavirus geimpft.

Ruth Baumann-Hölzle, Ethikerin und Institutsleiterin der Stiftung Dialog Ethik, sagt auf Anfrage von Nau.ch: Ja – «sofern es sich nicht um eine schwerwiegende Erkrankung handelt. Es ist immer eine Frage der Verhältnismässigkeit und auch der nachgewiesenen Wirksamkeit der jeweiligen Schutzmassnahmen.»

Impfung gegen das Coronavirus musste möglich sein

Ist die Erkrankung hingegen schwerwiegend, müssten laut Baumann-Hölzle verschiedene Kriterien erfüllt worden sein: «Alle Impfwilligen müssen die Möglichkeit gehabt haben, sich impfen lassen zu können. Die Impfungen müssten ausreichend wirksam sein, und die Spitalkapazitäten müssen ausreichen.»

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Die Zürcher Ethikerin Ruth Baumann-Hölzle ist Institutsleiterin der Stiftung Dialog Ethik. - zvg

Der abnehmende Schutz für Ungeimpfte sei in einem solchen Szenario vertretbar. Baumann-Hölzle erklärt: «Sie mussten in der Lage gewesen sein, freiwillig eine informierte Entscheidung für oder gegen die Impfung treffen zu können.»

Ethische und moralische Fragen

Obwohl eine Durchseuchung aus ethischer Sicht also möglich ist, wirft eine solche Strategie auch moralische Fragen auf.

Laut Ruth Baumann-Hölzle kann zwischen «der Pflicht des Staates, Menschen vor schwerwiegenden Erkrankungen zu schützen» auf der einen Seite und «der Freiheit zur eigenständigen Risikoabwägung» auf der anderen Seite ein ethisches Dilemma entstehen.

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Aus ethischer Sicht könnte eine Durchseuchung unter Erfüllung bestimmter Konditionen vertretbar sein. - keystone

Aus moralischer Sicht würden Probleme aber erst auftreten, wenn das Risiko für eine schwerwiegende Erkrankung sehr hoch ist, keine informierte Entscheidung für oder gegen vorhandene Massnahmen getroffen werden konnte und die Impfungen nicht wirksam wären.

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