Im Januar hatten Jenischenorganisationen den Bund zur Anerkennung des «kulturellen Genozids» an den Jenischen aufgefordert. Dieser prüft nun die Anerkennung.
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Jenische Kinder, Geschwister einer Korbflechter-Familie, aufgenommen vor ihrem Wohnwagen. Undatierte Aufnahme aus den 1940er-Jahren aus der Schweiz. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Im Januar hatten sich Jenischenorganisationen in einem offenen Brief an den Bund gewandt.
  • Darin forderten sie die Anerkennung eines «kulturellen Genozids» an den Jenischen.
  • Die Ergebnisse der Prüfung werden voraussichtlich im Laufe dieses Jahres bekanntgegeben.
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Die Bundesverwaltung prüft, ob die Verfolgung der Jenischen und Sinti in der Schweiz als «kultureller Genozid» anerkannt werden kann. Gegenüber dem «Beobachter» sagte ein Sprecher des Innendepartements, dass die Anerkennung derzeit geprüft werde. «Das Resultat dieser Abklärungen wird voraussichtlich im laufenden Jahr vorliegen», so der Sprecher.

Im offenen Brief an Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider vom 8. Januar postulierte die Gemeinschaft der Jenischen und Sinti: «Der kulturelle Genozid hat das jenische Volk auf Jahrzehnte beschädigt. Der Bundesrat muss den Schritt zur Benennung der Tat als ‹kulturellen Genozid› machen.»

Drei Jenischenorganisationen forderten die Innenministerin auf, die Jenischenverfolgung in der Schweiz als Völkermord anzuerkennen. Sie verlangen die klare Bekenntnis: «Es war ein kultureller Genozid.»

Ethnische Säuberungen durch das «Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse»

In den Jahren 1926 bis 1972 hatte die halbstaatliche Organisation Pro Juventute im Rahmen der Aktion «Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse» Hunderte Minderjährige von ihren Eltern getrennt. Ziel war es, die Jenischen zu zwangsassimilieren, was durch Kindeswegnahmen, Sterilisationen und Inhaftierungen versucht wurde.

Die Jenischenorganisationen kritisieren nun, dass das genozidale Ausmass der Verfolgung nie zum Ausdruck gebracht worden sei. «Das Vorgehen der Pro Juventute umfasst möglicherweise einen Angriff auf eine Gruppe, mit der Absicht, sie kulturell auszulöschen», erklärt die Professorin für Straf- und Strafprozessrecht an der Universität Neuenburg, Nadja Capus, in einem früheren Interview im «Beobachter». «Man wollte die Jenischen nicht physisch zerstören, sondern die Eigenheiten der Völkergruppe unterbinden», unter anderem durch Kindeswegnahmen.

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Jenische Kinder auf einer Leiter, 22. Mai 1987. - keystone

«Laut Konventionstext der Uno handelt es sich auch dann um einen Völkermord, wenn man ‹Kinder der Gruppe gewaltsam in eine andere Gruppe überführt oder überführen lässt›. Also genau das, was im Fall der Kinder der Landstrasse passiert ist.» Professorin Capus hält fest, dass das Vorgehen der Pro Juventute den Tatbestand des kulturellen Völkermords erfülle: «Es zählt die Absicht, mit den Kindeswegnahmen die jenische Lebensweise auszulöschen.»

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