Bern: «Haus der Religionen ist eine einmalige Oase»
Das Haus der Religionen vermittelt zwischen Religionen und Kulturen. Einzigartig in Europa, öffnet es auch bei der «Nacht der Religionen» seine Türen.

Seit elf Jahren bringt das Haus der Religionen Menschen verschiedener Glaubensrichtungen zusammen und bietet kulturelle Angebote an Berns Europaplatz.
Auch bei der Nacht der Religionen spielt das eine zentrale Rolle: Laila Sheikh und Johannes Matyassy wissen, was das Haus zu einer Einzigartigkeit in Europa macht.
Es ist ein Abend mit besonderer Stimmung: Wenn einmal im Jahr an der Nacht der Religionen Kirchen, Moscheen, die Synagoge und viele weitere religiöse Vereine ihre Türen für Interessierte öffnen, tut sich ein Reichtum an Lichterglanz, Klängen und Farben auf.
Man kann an einer Meditation teilnehmen, über Heiliges und Weltliches diskutieren, mittanzen, mitfeiern, mitsingen – oder einfach Geschmäcker zahlreicher Küchen entdecken. Mit Tram und Bahn pendeln die Menschen von einem Zwischenhalt zum anderen.
«Es geht darum, sich auf Neues und Bekanntes offen einzulassen», fasst es Johannes Matyassy, Präsident des Vereins Haus der Religionen, zusammen.
Der Glasbau am Europaplatz beherbergt seit 2014 fünf Religionsgemeinschaften, insgesamt tragen acht das Haus.
An der Nacht der Religionen (siehe Kasten) bilden die Religionen Tandems: So denkt die jüdische Gemeinde gemeinsam mit Hindus bei Podiumsgespräch und Tempeltanz über das Motto «Zusammenhalten» nach. Buddhistinnen und Buddhisten, Christinnen und Christen bringen Buddhas Worte und Bergpredigt in Dialog.
Auch der gemeinsame Schlusspunkt wird dieses Jahr im Haus der Religionen stattfinden. Zusammen mit Matyassy freut sich auch Laila Sheikh auf Tausende Besuchende, besonders weil die Nacht keine museale Bewunderung einfordert, sondern handfest und interaktiv wird. Egal ob man religiös, atheistisch oder agnostisch unterwegs ist.
«Man kommt in einen Raum und ist einfach willkommen, darf eintauchen. Die Nacht der Religionen ist wirklich zu einer festen Grösse im dunklen November in Bern geworden. Es geht darum, gemeinsam etwas zu machen», so Sheikh, die seit Sommer Geschäftsleiterin des Hauses der Religionen ist.
Auch nach den berühmten 100 ersten Tagen im Amt begeistert die Aufgabe sie täglich neu.
INFO
Die Nacht der Religionen, organisiert von der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen Region Bern, lädt dazu ein, verschiedene Glaubensrichtungen und Weltanschauungen innerhalb eines vielfältigen Programmes kennenzulernen.
Die 17. Ausgabe findet am 15. November ab 18.30 Uhr statt. Insgesamt wirken 27 Religionsgemeinschaften und Organisationen mit.
Das Motto «Zusammenhalten» betont sowohl das individuelle Innehalten als auch das kollektive Zusammenhalten in der Gesellschaft.
Ihr ganzer Job sei «sehr hands on, mit vielen Überraschungen», lacht die ehemalige Diplomatin. Das Kernteam besteht aus 14 Personen aus 14 Nationen. Dazu kommen gut 100 freie Mitarbeitende und Freiwillige. Das Haus trägt auch den Titel «Dialog der Kulturen».
Gerade in Zeiten der Polarisierung sei ein solcher Ort bedeutsam, findet Sheikh.
«Die meisten Leute kommen mit Fragen hierher, nicht mit Wissen, wie es geht. Und das finde ich das Einmalige an diesem Haus. Hier geht es nie darum, jemanden von seinen eigenen Ideen zu überzeugen, sondern sich auszutauschen, voneinander zu lernen. Dieses Haus bietet eine einmalige Oase, wo das wertfrei geschehen kann.»
Die Geschäftsleiterin erzählt beispielsweise von jungen Menschen, die zwischen zwei oder gar drei Kulturen und religiösen Traditionen aufwachsen. Da kommen Fragen nach Identität, Zugehörigkeit und Vermittlung auf.
«Wir füllen hier eine wichtige Lücke», ist Sheikh sicher. Um diese Zugewandtheit auszudrücken, leben Musliminnen und Muslime, Christinnen und Christen, Buddhistinnen und Buddhisten, Hindus und Alevitinnen und Aleviten ihren Glauben im Haus der Religionen sehr offen und nach aussen hin sichtbar.
Besonders die tamilische Gemeinschaft ist mit Feiern und Prozessionen auf dem Vorplatz bunt präsent.
Ganzjährig werden im Haus Führungen, Workshops, Weiterbildungen und Veranstaltungen angeboten. Mehr als 300 Gruppen besuchen die Institution jährlich, darunter Jugendliche, Gesundheitspersonal oder Polizeianwärterinnen und Polizeianwärter.
Dabei geht es um Basiswissen, Sensibilisierung bis hin zu Kleiderfragen und Ethik.
Auf den Rundgängen entdecken die Teilnehmenden strengen Monotheismus wie im Islam genauso wie die vielen Gottheiten im Hinduismus. Sogar Touristen kommen manchmal vorbei, weil sie vom Haus gehört haben.
«Viele möchten in ihrer Heimat auch solch ein Haus haben. Es gibt in Europa zwar einen Verein mehrreligiöser Häuser und weltweite Initiativen, aber keine ist so weit fortgeschritten wie unsere», sagt Sheikh, zu Recht auch etwas stolz auf das Berner Vorreitermodell.
Funktioniert das Miteinander der eingemieteten Gemeinschaften denn oder ist es doch eher ein Nebeneinander?
Matyassy nickt: «Es ist beides. Sehen Sie die Tür dort? Sie führt in die Moschee. Der muslimische Verein entscheidet, wann diese Türe offen ist. Und dasselbe auf der anderen Seite mit dem tamilischen Tempel. Das ist für mich ein wunderschönes Symbol. Einerseits gibt es ein respektvolles Nebeneinander und andererseits ein offenes Miteinander.»
An Veranstaltungen wie der Nacht der Religionen werden alle Türen zum Dialogbereich, dem Zentrum des Hauses, offen sein. Gerade in Krisenzeiten profitieren die Religionsgemeinschaften von diesem Vertrauen.
Nach dem 7. Oktober 2023 solidarisierte sich der muslimische Verein sogleich mit der jüdischen Gemeinde. Die abrahamitischen Religionen organisierten nur wenige Tage später einen Traueranlass für alle Opfer, ein Dialog kam in der Folge zustande.
Für Matyassy eindeutig ein Verdienst des langjährigen Zusammenwirkens im Haus der Religionen, in dem alle Religionsgemeinschaften miteinander sprechen und entscheiden.
Der Verein existiert schon 20 Jahre, im interreligiösen Dialog sieht Sheikh deshalb kaum Grenzen. «Man weiss viel voneinander und alle haben verstanden, dass nie ein Einzelner für die ganze Community stehen kann. Die Religionsgemeinschaften sind ständig in Veränderung begriffen, durchleben verschiedene Generationswechsel.»
Da ergäben sich ähnliche Probleme, die dann miteinander angegangen werden können. Nur eins dürfe man nicht tun: «Der Religion des Gegenübers die Legitimation absprechen», weiss Matyassy.
Nach elf Jahren am Europaplatz hat das Haus auch unruhige Zeiten hinter sich. «Das Projekt stand anfangs mehrmals auf der Kippe», gibt Matyassy ohne Umschweife zu. Nach einer passionierten Pionierphase sei man nun eine stabile Organisation geworden.
Die Stadt Bern gibt Subventionen, ebenso die Kirchen, Stiftungen und man generiert Mieteinnahmen. Die Finanzierung bleibt dennoch eine grosse Herausforderung.
PERSÖNLICH
Laila Sheikh, 54, stammt aus Schmitten FR. Sie arbeitet seit 2023 im Haus der Religionen, 2025 wurde sie Geschäftsleiterin. Zuvor war sie als Diplomatin im EDA tätig, unter anderen als stellvertretende Missionschefin der Schweizer Botschaft in Kenia und Regionalchefin für Internationale Zusammenarbeit am Horn von Afrika sowie in Mosambik.
Johannes Matyassy, 68, stammt aus Bern. Er ist FDP-Politiker und war bis Anfang 2023 Direktor der konsularischen Direktion des EDA sowie stellvertretender Staatssekretär im EDA. Danach wurde er zum Präsidenten des Vereins «Haus der Religionen – Dialog der Kulturen» gewählt.
In Stadt und Quartier komme das Haus gut an, stellen Sheikh und Matyassy fest. Der Standort im Neubauquartier birgt viel Potenzial. Das hauseigene Restaurant Vanakam bietet Mittagstisch und Brunchs an. Schulen, Quartierbüros und Nachbarschaft ziehen mit.
Aber da sei noch Luft nach oben, drücken es die beiden Diplomaten gekonnt aus, die früher für das EDA tätig waren, sich vor der Begegnung im Haus der Religionen aber nicht kannten.
Hilft ihnen dieser Hintergrund bei der Arbeit mit den Religionsgemeinschaften? Matyassy, der sich selbst als «religiösen Durchschnittsmenschen» bezeichnet, nennt Mediation und Lernfähigkeit als Schlüssel.
«Man braucht viel Fingerspitzengefühl. Schon allein die Jahresplanung mit acht Religionsgemeinschaften ist eine Herausforderung», lacht er. Mehr Feiertage als Alltag lassen weniger Platz für gemeinsam planbare Aktivitäten.
Sheikh, die in der Entwicklungszusammenarbeit für die DEZA in Konfliktgebieten tätig war, stellt das zivilgesellschaftliche Engagement ins Zentrum ihrer Arbeit: «Im Ausland habe ich gesehen, wo die Bruchlinien sind. Partizipation, das Aushandeln und Gleichberechtigung sind die Grundvoraussetzungen für eine friedliche Gesellschaft. Hier in der Schweiz ist das auch so, auch wenn wir privilegiert sind. Aber politisch können nur Menschen mit einem Schweizer Pass mitwirken. Aber auch die 30 Prozent ohne möchten zu einem friedlichen und produktiven Miteinander beitragen.»
In ihren Augen ist das Haus ein gutes Rezept gegen Parallelgesellschaften und baut Hemmschwellen zu «fremden» Kulturen ab.








