In einem Buch verarbeitet der Baselbieter Lehrer und frühere Journalist diesen Einschnitt in sein Leben – mit viel Humor.
Patrick Moser
«In einem zweigeteilten Körper»: Patrick Moser. - zVg

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Baselbieter Lehrer Patrick Moser erlitt einen Schlaganfall.
  • In seinem Buch «Absturz auf den Wallenberg» verarbeitet er die Hirnverletzung.
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Man sieht Patrick Moser den Schlaganfall nicht an. Er sei halt in seiner Bewegungskapazität eingeschränkt und esse wohl zu viel Süsses, deshalb habe er seither zugenommen. Sagt er und kippt drei Löffel Zucker in den Tee.

«Dem Tod von der Schippe Gesprungene bringen einen unversiegbaren Heisshunger zurück aus der Zwischenwelt mit ins Diesseits.

Am schlimmsten sind diejenigen, die einen Hirnschlag hatten, weil die Regeneration des Proteinklumpens in unserem Kopf unglaublich viel Energie absorbiert.» Das schreibt Moser in seinem Buch «Absturz auf den Wallenberg».

Darin berichtet er über seinen Schlaganfall und den Aufenthalt im Spital und in der Reha.

Moser ist einer von 26'000 Menschen in der Schweiz, die jedes Jahr eine Hirnverletzung erleiden. Die häufigsten Ursachen sind wie bei Moser Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma, Hirntumor und andere Erkrankungen.

130'000 Personen im Land müssen mit den Folgen leben. Diese zeigen sich bei den einen als Körperbehinderung, Sinnesbeeinträchtigung oder Sprachverlust. Andere sind hingegen in ihrem kognitiven Leistungsvermögen eingeschränkt oder haben eine Lernschwäche. Es können auch psychische Leiden auftreten.

Lockere Reportage

«Absturz auf den Wallenberg» liest sich wie eine extensive Reportage. Moser, früher Journalist, beschreibt akribisch, was mit ihm medizinisch passiert ist. Er musste nichts nachrecherchieren, denn als Patient hat er das medizinische und therapeutische Personal hartnäckig ausgefragt. Und in einem Blog vieles festgehalten.

Mosers Geschichte macht betroffen. Er war erst 47, als es passierte. Trotzdem erwischt sich die Leserin oft beim Schmunzeln. Der Humor des Autors tritt deutlich zutage; in den Kapitel-Titeln, oder wenn er sich über sich selbst lustig macht. Über sein Essverhalten – er habe fast die ganze Spitalkarte rauf und runter bestellt und alle verfügbaren Gänge genommen –, seine «Zombie-Schritte». Oder wie er den Moment des Transports vom Spital in die Reha mit einem Selfie festhalten wollte, weil er sich, im Rollstuhl und mit Corona-Schutzmaske im Gesicht, wie der Serienkiller Hannibal Lecter vorkam.

Patrick Moser im Rollstuhl
Trotz allem den Humor nicht verloren: Patrick Moser. - zVg

Manchmal steckt der Humor zwischen den Zeilen, insbesondere wenn er das Personal, die Mitpatienten oder den Klinikalltag beschreibt. Auch der lockere Stil macht das Buch sehr unterhaltsam. Er habe kein literarisches Werk vollbringen wollen, sagt Moser.

Stimme zurückerobert

Doch war er wirklich so positiv drauf? «Es ist offenbar eine meiner Stärken, mich gut in neuen Situationen zurechtzufinden», erklärt Moser. Er versuche, stets das Beste herauszuholen. Humor sei dabei eine wichtige Kraft-Ressource. Genau wie seine Frau und seine vier Söhne.

Auch wenn man es ihm eben nicht ansieht – Moser ist nicht mehr der Alte. Er sagt, «es ist komisch, in einem zweigeteilten Körper zu leben». Seine rechte Körperhälfte ist schmerz- und temperaturunempfindlich – eines von mehreren Symptomen, die der Schlaganfall hinterlassen hat.

Zu schaffen macht ihm vor allem aber die Erschöpfung. Nach dem Gespräch wird er sich hinlegen müssen. Wie auch nach jedem Schulvormittag. Moser arbeitet zu 40 Prozent als Primarlehrer, zu 60 Prozent wird er IV beziehen müssen.

Nach wie vor geht er zur Logopädin. Denn vor dem Hirnschlag war Singen «mein wichtigstes Hobby». Er war die Stimme des Folk-Duos Lion Minds. Heute, nach langem und hartem Training, schafft er es wieder, rund eine halbe Stunde lang zu singen.

Ziel erreicht

Vor dem Schlaganfall machte Moser nicht nur Musik, sondern zeichnete, fotografierte, schrieb Kolumnen. Heute fehlt ihm dazu die Energie. Er wollte aber wieder kreativ sein. Also kam der Entschluss, ein Buch zu schreiben. Als Journalist hatte er ab und zu mit dieser Idee gespielt, doch in seinem «früheren» Leben war kein Platz dafür.

Nun hatte er Zeit. Als die Glücksgefühle, nach zwei Monaten Spital und Klinik wieder daheim in Anwil zu sein und arbeiten zu können, etwas nachliessen, begann eine Frage an ihm zu nagen: «Was war eigentlich mit mir geschehen?»

Er entschied, dies aufzuschreiben. Einerseits wäre das gut für die Psychohygiene, andererseits würde es ihm aufzeigen, wie es im Leben weitergehe, dachte er. Im Vorwort nennt er noch mehr Gründe: Unter anderem schrieb er das Buch für Familie und Freunde.

Anders leben

Wie ist es aber mit diesem Wallenberg, der in abgeänderten Bergsteiger-Zitaten ganz am Schluss des Buchs doch noch massiv vor ihm aufragt? «Ich muss mit ihm leben, hoffe aber, er verliert mit der Zeit an Macht und Höhe», sagt Moser.

Der Namensgeber für das Wallenberg-Syndroms ist allerdings kein Berg, sondern ein Arzt. Ganz der Journalist, erklärt Moser dies im «Intermezzo» im hinteren Teil des Buchs.

Dort hat Moser auch seinen Lebenslauf beschrieben. Eigentlich unnötig. Denn als Leserin hat man schon längst den Eindruck, ihn gut zu kennen. Man spürt seine Gabe, Leute in schwierigen Situationen aufzumuntern.

Moser sagt, die Krankheit habe ihn verändert: «Vorher war ich ein sehr ungeduldiger Mensch. Alles musste immer schnell gehen. Jetzt stoppe ich vermehrt und schaue genau hin.» Er versuche, anders zu leben, für seine Mitmenschen mehr Verständnis aufzubringen und toleranter zu sein.

Ein nächstes Buch würde sich aber nicht um ihn drehen. Ganz gerne würde Moser einen Roman schreiben und darin seine Fantasie ausleben.

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Hinweis: Dieser Artikel von Autorin Andrea Masek wurde zuerst im Basler Newsportal «OnlineReports» publiziert.

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