Der Neubau der Tramstrecke über das Bruderholz liegt beim Bundesverwaltungsgericht und ist damit blockiert. Die BVB warnen vor dem Zustand der Infrastruktur.
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«Fait-accompli-Politik»: Streit um Tramstrecken-Neubau auf dem Bruderholz. - OnlineReports.ch / Christof Wamister

Das Wichtigste in Kürze

  • Im Basler Bruderholz wollen die BVB die Traminfrastruktur sanieren.
  • Dagegen gibt es jedoch Widerstand aus dem Quartier. Das Projekt ist «blockiert».
  • Die Verkehrsbetriebe halten die Arbeiten für dringend notwendig.
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Wenn Verkehrsplaner Haltestellen streichen oder verlegen wollen, droht Ungemach. Die Basler Verkehrsbetriebe (BVB), der Basler Regierungsrat und der Grosse Rat haben wohl die Sensibilität des Geschäfts mit dem länglichen Namen «Anpassung der Traminfrastruktur auf der Achse der Tramlinien 15 und 16 auf dem Bruderholz im Zuge von Sanierungsmassnahmen» unterschätzt. Seit bald sechs Jahren ist es blockiert.

«Blockiert» ist vielleicht nicht ganz der richtige Ausdruck, denn seit dem Grossratsbeschluss von 2018 wurde daran bis zur Ausführungsreife gearbeitet.

Und seit September 2023 liegt die Plangenehmigung des Bundesamtes für Verkehr (BAV) vor. Diese ist nötig, weil es sich um Schienenverkehr handelt.

Doch dagegen rekurrierten mehrere Einsprecher beim Bundesverwaltungsgericht, darunter der federführende Neutrale Quartierverein (NQV) Bruderholz.

Was vom politischen Basel lange als Quartier-Groteske betrachtet wurde, ist plötzlich ernst geworden.

BVB: Ungeplante Arbeiten

Die BVB haben nun quasi einen Notfallplan hervorgeholt, denn sie rechnen mit einem Gerichtsurteil nicht vor November 2024 und allenfalls mit einem Weiterzug an das Bundesgericht. Conrad Jauslin, Präsident des NQV, wollte sich diesbezüglich noch nicht festlegen.

«Dringend nötige Instandhaltungs-Massnahmen» müssen laut BVB-Sprecher Benjamin Schmid vom März bis zum Herbst ausgeführt werden. Erste Schleifarbeiten sind bereits erfolgt. Würde sich die juristische Auseinandersetzung über das nächste Jahr hinausziehen, müssten «grössere ungeplante Gleisersatzarbeiten» ausgeführt werden. Die BVB schliessen für diesen Fall einen Bus-Ersatzverkehr nicht aus.

Planungs-Monstrum

Auf dem Bruderholz findet sich trotzdem kaum jemand, der das vom Bund genehmigte Projekt gut findet. Dass die Schienen und das Gleisbett total erneuert werden müssen, ist ein technisches Faktum. Was zum Krach führte, ist die Anwendung des (eidgenössischen) Behindertengleichstellungs-Gesetzes (BeHiG), das sich in Basel zum planungs-bürokratischen Monstrum entwickelt hat. Bei Strassen- und Gleisarbeiten müssen die Haltekanten auf eine Höhe von 27 Zentimetern gebaut werden, damit Gehbehinderte und Rollstuhlfahrer ohne Zwischenraum und Höhenunterschiede einsteigen können.

Das ist ein berechtigtes Anliegen, aber für die Velofahrerinnen und Velofahrer schuf man mit den neuen Haltestellen unangenehme bis gefährliche Engpässe, was die grossrätliche Verkehrskommission zu umfangreichen Erwägungen und Anträgen veranlasste. Die erwähnte Kantenhöhe ist auch für Fussgänger, die eine Haltestelle an der «falschen» Stelle durchqueren, nicht ganz ungefährlich.

Dieser Velo-Aspekt spielt auf dem Bruderholz keine Rolle, denn das Tram wird auf einer separaten Trasse geführt, in der Bruderholzallee mit Rasenbelag.

Ein anderer technischer Sachzwang ist entscheidend: BeHiG-konforme Haltestellen können nur auf geraden Strecken gebaut werden, denn bei einer Krümmung stimmt das Spaltmass, der Abstand zwischen Tramtüre und Haltekante, nicht mehr. Deshalb müssen auf dem Bruderholz drei Haltestellen an verschobener Stelle neu gebaut werden.

«Dorfplatz» ignoriert

Empörung hat vor allem ausgelöst, dass die traditionelle Endstation Bruderholz um 70 Meter verschoben und deshalb die Haltestelle Airolostrasse aufgehoben wird.

Zwischen der neuen Haltestelle Bruderholz und der nächsten Station Studio Basel (das Radiostudio gibt es dort nicht mehr) würden dann 380 Meter liegen. Die Behörden erachten dies als zumutbar.

Doch die jetzige Haltestelle Airolostrasse liege an einem Ort, der für die Fussgänger aus den oberen Teilquartieren ideal sei, meinen viele Quartierbewohner.

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Soll verschoben werden: Haltestelle Bruderholz. - OnlineReports.ch / Christof Wamister

Vor allem argumentieren sie damit, dass die Endstation jetzt genau dort liegt, wo sich so etwas wie ein Dorfzentrum mit den im Quartier verbliebenen Geschäften befindet. Mit der Verschiebung werde dieser Zusammenhang ignoriert. Ein Bruderhölzler hat sogar einen Plan gezeichnet, wie sich das Problem lösen liesse, aber die Planer sind nicht darauf eingestiegen.

Die Erneuerung der Tramlinie hat aber auch Auswirkungen auf den Strassenperimeter. Der Querschnitt der Strasse reduziert sich von sechs auf fünf Meter. Dies hätte die Aufhebung von Parkplätzen zur Folge, bekanntlich eine weitere hochsensible Massnahme bei der Verkehrsplanung.

In der Bruderholzallee darf bis jetzt noch mit 50 Kilometern pro Stunde gefahren werden. Das ist ein städtisches Kuriosum. Dass man kaum schneller als 30 fährt, dürfte wohl kein Argument dafür sein, hier keine Tempo-30-Zone einzuführen.

Ginge es nicht einfacher?

NQV-Präsident Conrad Jauslin, selber Bauingenieur, fragt sich, ob es denn überall voll ausgebaute 27-Zentimeter-Haltestellen braucht. Ob man nicht auch mit der sogenannten Kissenlösung operieren könne, bei der die Stelle der Haltekante vor der betreffenden Tramtüre erhöht wird.

Die Behörden, insbesondere das BAV, lehnen dies ab. Er verweist dagegen auf die Haltestelle Jakobsberg (bei der Rudolf-Steiner-Schule), die mit ihrer halbkreisförmigen Gestalt nie behindertengerecht umgebaut werden kann, allenfalls mit den erwähnten Kissen.

Der Streit um das Bruderholztram wirft eine demokratiepolitische Grundsatzfrage auf. Darf man ein solches Projekt gegen den überwiegenden Willen der Quartierbewohner einfach durchziehen? Es gab zwar mehrere Informations-Veranstaltungen mit BVB und Baudepartement.

Doch der NQV kritisiert, dass die Argumente der Quartierbevölkerung übergangen wurden. «Vielmehr wurde stets behauptet, dass es keine alternativen Lösungsansätze gebe», heisst es beim NQV. Diese «Fait-accompli-Politik» sei aus Sicht der Quartierbevölkerung «nicht sauber».

Referendum verpasst?

Die Behörden stellen sich jedoch auf den Standpunkt, dass gegen den Entscheid des Grossen Rates 2018 das Referendum hätte ergriffen werden können. Aufgrund der zuvor mit 1500 Unterschriften eingereichten Petition wäre dies problemlos möglich gewesen.

Da aber im Kantonsparlament die Vorlage mit 59 zu 23 durchging, waren die Erfolgschancen eines Referendums aus Sicht des NQV nicht gegeben. Die Vorlage wurde zudem vorher in der Verkehrskommission ohne Gegenstimmen bei einer Enthaltung gutgeheissen.

Eine zweite Petition des NQV schmetterte die Petitionskommission im vergangenen Jahr ab: Es sei nicht legitim, einen fünf Jahre alten Beschluss des Grossen Rates «durch die Hintertüre» wieder rückgängig zu machen.

Dem Quartierverein und den kritischen Quartierbewohnern blieb daneben nur der Weg über Einsprachen, von denen es unter dem Strich 55 sind, wie dem Bericht des Bundesamts für Verkehr zu entnehmen ist. Einige wurden im Lauf des Verfahrens zurückgezogen, weil Anliegen zum Beispiel zur Position von Leitungsmasten erfüllt wurden. In seinem Kern und Umfang wurde das Projekt aber gutgeheissen und ist nun Gegenstand der rechtlichen Intervention auf zweithöchster Instanz.

Grenzen der Partizipation

Hätte der Knatsch vermieden werden können? Es gibt immerhin den Artikel 55 der Kantonsverfassung. Dieser lautet: «Der Staat bezieht die Quartierbevölkerung in seine Meinungs- und Willensbildung ein, sofern ihre Belange besonders betroffen sind.»

Mittlerweile wurde diese viel diskutierte Mitwirkung in Partizipation umgetauft und ein Partizipationsgesetz erlassen, das aber noch nicht in Kraft ist. Aber auch in diesem heisst es: «Es besteht kein Anspruch auf Berücksichtigung eines Anliegens.»

Der Konflikt zwischen den Quartieranliegen, den Interessen der Basler Behörden und dem Bundesgesetz über die Behindertengleichstellung wäre nicht zu vermeiden gewesen. Und bei einer Referendumsabstimmung wäre laut oder unausgesprochen der Vorwurf im Raum gestanden: Will das sowieso schon privilegierte Bruderholz für seine Tramstationen eine bauliche «Extrawurst»?

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Hinweis: Dieser Artikel wurde zuerst im Basler Newsportal OnlineReports.ch publiziert.

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