Bald weniger Zivis: Kitas fürchten um Personal
Das Parlament will den Zivildienst weniger attraktiv machen. Kita-Leiterinnen bereitet dies Sorgen.

Das Wichtigste in Kürze
- Der Zivildienst steht wegen Anpassungen des Parlaments auf der Kippe.
- Kitas droht deswegen ein verschärfter Personalmangel.
- SVP-Nationalrat Benjamin Fischer kritisiert hingegen die «staatliche Zwangsarbeit».
Zivis sind in Schweizer Kitas gefragt. Rund 115'000 Diensttage haben Zivildienstler 2014 im Bereich «Kinder» geleistet. Die Arbeit in sozialen Institutionen wie Kitas und schulergänzenden Tagesstrukturen ist beliebt.
Mit über 80 Prozent geleisteten Diensttagen machen diese Bereiche laut dem Bundesamt für Zivildienst den Löwenanteil aus. Kitas müssen nun aber um ihre Zivis fürchten.
Grund dafür ist das geänderte Zivildienstgesetz, das der Nationalrat kürzlich angenommen hat.
Akuter Mangel verschärfe sich
Künftig soll der Wechsel vom Militär- zum Zivildienst schwieriger werden. Mit der Wiedereinführung der Gewissensprüfung und mehr Diensttagen will der Nationalrat den Zivi-Einsatz weniger attraktiv machen. Ziel ist, die Anzahl Zulassungen zum beliebten Zivildienst um 40 Prozent zu senken.
Zudem hat das Parlament eine Sicherheitsdienstpflicht beschlossen. Demnach werden Zivildienst und Zivilschutz zu einem Katastrophenschutz zusammengelegt.
Als «fatalen Doppelschlag gegen den Zivildienst» bezeichnet der Branchenverband Kibesuisse in einer Medienmitteilung die Entscheide. Ohne die Einsätze der Zivis verschärfe sich der akute Fachkräfte- und Personalmangel in der Branche weiter, warnt der Verband.
Der Einsatz von Zivis trägt laut Kibesuisse dazu bei, die negativen Folgen des Personalmangels in der Branche abzumildern. «Ohne sie würden sich die Organisationen in einer noch kritischeren und angespannteren Lage befinden.»
Kita zählt auf Zivi-Handwerk
Kita-Leiterinnen zeigen sich besorgt. «Ohne Zivildienstleistende würde sich die personelle Situation in der Branche weiter verschärfen», sagt Manuela Surenmann. Sie ist Leiterin der Kinderkrippe Albisrieden in Zürich. In ihrer Kinderkrippe ist jeweils ein Zivildienstleistender für sechs Monate im Einsatz.
«Der Zivildienstleistende unterstützt laut Surenmann die Begleitung und Betreuung der Kinder im Alltag. Auch sei er für Werkstattarbeiten zuständig. «Zum Beispiel repariert er eine Murmelbahn, wischt den Garten oder räumt den Gartenschrank auf.»
Viele Kitas können nicht genügend Lehrstellen anbieten. Praktikantinnen und Praktikanten wurden in der Folge als billige Arbeitskräfte ausgenutzt. Kibesuisse empfiehlt deshalb, Praktikantinnen und Praktikanten nur im Rahmen eines Berufsvorbereitungsjahres einzusetzen.
«Zivildienstleistende sind auch aus diesem Grund für uns eine wichtige Unterstützung », sagt Surenmann.
«Können auch mal ‹Stopp› sagen»
«Wir sind froh, haben wir unsere Zivis», sagt die Leiterin einer Kinderkrippe in der Stadt Zürich, die anonym bleiben will.
Zurzeit arbeitet ein Zivi in der Krippe. «Er unterstützt das Team als vollwertiges Mitglied», sagt die Leiterin. «Ohne ihn würde es an allen Ecken und Enden fehlen.»
Fast ein Drittel der Kita-Mitarbeitenden verlässt die Branche. Der Job gilt wegen des tiefen Lohns und der grossen Verantwortung als unattraktiv.
Die Krippenleiterin stellt fest, dass Zivis teilweise belastbarer sind als Lernende. Zudem sei deren männliche Autorität manchmal von Vorteil. «Sie können auch mal ‹Stopp› sagen und die Kinder hören zu.»
«Von Realität keine Ahnung»
Die Zürcher Leiterin ist froh, dass sie im August zwei Zivis engagieren kann. «So können wir die Ferien abdecken.» Auch füllen die Zivis weitere Lücken aus.
«Zwei Lernende können wir nicht weiterbeschäftigen, weil sie zu schlechte Schulleistungen vorweisen.» Zudem habe eine Mitarbeiterin gekündigt. «Auf die offene Stelle hat sich noch niemand beworben.»
Die Kita-Leiterin kritisiert die Entscheide des Parlaments. «Man sieht, dass wieder Leute am Werk sind, die von der Realität keine Ahnung haben.» Sie empfiehlt den Politikerinnen und Politikern, «mal einen Tag in einem Kitabetrieb zu arbeiten.» Dann sähen diese, was sie alles leisteten.
«Nicht rosig»
Auch in der Kita Läbihus in Münchenbuchsee BE sind die Zivis ein wichtiger Bestandteil. Aktuell sind dort zwei Zivis angestellt. «Sie sind wichtig und eine grosse Bereicherung im Kita-Alltag», sagt Betriebsleiterin Sabine Donzel.
Neben hauswirtschaftlichen Arbeiten dürften sie auch viele Aufgaben in der Kinderbetreuung übernehmen. Das ausgebildete Personal begleite sie dabei eng. Jedem Zivi sei eine Fachperson fest zugeteilt.
«Die Rahmenbedingungen sind für die Kitas allgemein nicht rosig», sagt Donzel. «Fielen die Zivis weg, hätten wir klar zwei beziehungsweise vier Hände weniger.»
Auch würden männliche Bezugspersonen fehlen. «Wir haben Kinder, die bei alleinerziehenden Müttern aufwachsen. Männliche Vorbilder sind deshalb ein grosser Pluspunkt.»
Trotz höherer Hürden für den Zivildienst glaubt Donzel, weiterhin auf Zivis zählen zu können. Viele Zivis hätten früher als Kinder die Kita selbst besucht. «Sie sind jeweils so überzeugt, ihren Einsatz zu machen, dass sie auch eine Gewissensprüfung nicht davon abhalten könnte.»
«Das war nie die Idee»
Der Ruf der Kitas nach Zivis findet bei SVP-Nationalrat Benjamin Fischer kein Gehör. «Die Situation ist höchst problematisch», sagte er. Kitas hätten ein grundlegendes Problem.
«Es war nie die Idee, dass sich eine ganze Branche mit Zivis über Wasser hält.» Polemisch ausgedrückt handle es sich hier um «staatliche Zwangsarbeit».
Ursprünglich sei der Zivildienst für wenige Männer mit Gewissenskonflikten geschaffen worden, sagt Fischer. «Jetzt hingegen profitieren Branchen, die selber tragbar sein müssten, von Zivis.»
Kitas müssten, wie jeder andere Arbeitgeber auch, selbst für attraktive Arbeitsplätze sorgen. «Etwa Kanalreinigern oder Metzgern mit Nachwuchsproblem käme es auch nicht in den Sinn, Zivis einzustellen.»
«Leute zu Dumping-Preisen anstellen»
Der Bund bezahlt Zivildienstleistenden einen Erwerbsersatz (EO). Nichterwerbstätige erhalten 69 Franken pro Tag.
Auch dies stört Fischer am Kita-Zivildienst. «Es kann doch nicht sein, dass Kitas Leute zu Dumping-Preisen anstellen», sagt er. Vertretbar sei dies nur, wenn der Zivildienst der Sicherheit im Land diene.