Erziehen Eltern ihre Kinder für den öffentlichen Raum nicht gut genug oder braucht es mehr Toleranz?
Kinder
Mit Kindern in ein Restaurant zu gehen, ist nicht immer einfach. (Symbolbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Wie Kinder sich in der Öffentlichkeit verhalten sollen, ist ein umstrittenes Thema.
  • Viele Orte in der Schweiz sind nicht sehr kinderfreundlich – das belastet Eltern.
  • Der öffentliche Raum soll laut Erziehungswissenschaft kindergerecht gestaltet werden.
Ad

Als Martha B.* sich im Tibits in Basel hinsetzt, hört sie ein entsetztes Aufatmen neben sich. «Fast draufgetreten», murmelt die Rentnerin, die neben ihr durchgeht.

Die Nau.ch-Leserin schaut nach – und erschrickt. Mitten im Gang krabbelt ein Kleinkind, das nicht älter als ein Jahr sein kann.

Der Vater des Kindes sitzt derweil tiefenentspannt am Tisch und liest die Zeitung. Während Marthas Besuch im Tibits beobachtet sie noch unzählige Gäste, die «fast drüber stolpern». Nie sagt der Vater was oder schützt sein Kind im Restaurant.

Kinder
In öffentlichen Räumen müssen Eltern Verantwortung für ihre Kinder übernehmen. (Symbolbild)
Kinder
Gerade in Restaurants sollte auf die anderen Gäste Rücksicht genommen werden. (Symbolbild)
Kinder
Aber Kinder brauchen auch Freiraum, Verständnis und Respekt. (Symbolbild)

«Warum lässt der Vater sein Kind einfach so im Gang krabbeln? Das ist doch supergefährlich und doof für alle anderen Gäste!», nervt sich Martha.

Ihr falle auch auf, dass Eltern ihre Kinder im Zug nicht zurechtweisen. Zum Beispiel wenn die Kinder durch das Zugabteil rennen, schreien oder herumturnen. «Bin ich intolerant oder ist es rücksichtslos und gefährlich von den Eltern?», fragt sie. Schliesslich könnten sich die Kleinen ja auch verletzen, etwa wenn der Zug abrupt hält.

Das sagen Eltern

Kim R.* (33) ist die Mutter eines sechs Monate alten Kindes. Bisher hat sie noch nicht viele Erfahrungen mit dem Baby in der Öffentlichkeit gemacht, sieht die Lage aber differenziert.

Prinzipiell sei ihr die Erziehung der Kinder im öffentlichen Raum sehr wichtig, da vieles mit Anstand verbunden sei. Sie nerve es selbst, wenn Kinder durch den Zug oder im Restaurant rennen.

Für Kim geht es nicht, wenn Kinder toben. Aber: «Eltern können das Schreien ihrer Kinder nicht immer beeinflussen.» Wenn Elternteile mit einem tobenden Kind in einem Bus unterwegs sind, seien sie selbst im Stress. «Man weiss ja, wie schreiende Kinder im ÖV angeschaut werden.»

Ähnlich sieht es Ronja F.* (39), die zwei Töchter im Alter von zwei und fünf hat. «Alle Eltern, die ich kenne, sind darauf bedacht, dass sich die Kinder benehmen. Weil man als Mutter oder Vater in der Öffentlichkeit schon so stark beobachtet und beurteilt wird.»

Kinder hätten in der Öffentlichkeit zwar mehr Freiheiten als früher, dennoch gibt es laut Ronja Hürden. «Die Schweiz ist nicht mega kinderfreundlich, was zum Beispiel Restaurants anbelangt.»

Viele Mütter und Väter würden sich mit ihren Kindern deshalb gar nicht in Restaurants oder Cafés trauen – aus Angst, doof angemacht zu werden. «Stichwort Mom-Shaming», so Ronja.

Das sagt die Expertin

Laut Catrin Heite haben Kinder im Verlauf der Geschichte immer weniger Platz im öffentlichen Raum bekommen. Sie ist Professorin für Sozialpädagogik am Institut der Erziehungswissenschaft an der Uni Zürich. Nun gibt es spezialisierte Räume für Kinder: «Schule, Hort oder Krippe, die einem Betreuungs-, Erziehungs- und Bildungsauftrag nachgehen.»

Gibt es genug Platz für Kinder in der Öffentlichkeit?

In der von der Nau.ch-Leserin geschilderten Tibits-Situation erkennt sie nicht mangelnde Erziehung, sondern ein Sicherheitsrisiko für das krabbelnde Baby. «Eltern haben hier ihre Aufsichtspflicht nicht ganz im Blick und schützen ihr Kind nicht hinreichend.» Das Problem liegt für Heite eher bei der mangelnden Fürsorge für das Kind als dem Raum, den es einnimmt.

Es gehe darum, «Kindern erzieherisch die Regeln des öffentlichen Zusammenlebens zu vermitteln – dass wir eben nicht im Zugabteil überall herumklettern – und zugleich den öffentlichen Raum kindgerecht zu gestalten».

Eine Krabbelecke im Restaurant oder ein Kinderabteil im Zug seien Beispiele für Orte, wo sich Kinder sicher bewegen könnten.

* Namen von der Redaktion geändert.

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

MutterStressAngstVater