«Anschlusslösung»: Werden so Massenentlassungen verschleiert?
Wenn ein Unternehmen Mitarbeitende entlassen muss, ist oft von «Anschlusslösungen» die Rede. In der Realität wird den Angestellten am Ende jedoch oft gekündigt.

Das Wichtigste in Kürze
- Wenn es zu Massenentlassungen kommt, ist immer öfter von «Anschlusslösungen» die Rede.
- Dies verschleiere Kündigungen, findet die Gewerkschaft Unia.
- «Anschlusslösungen» hätten für Unternehmen ökonomische Vorteile, so ein Experte.
Wann immer ein Unternehmen in der Schweiz Stellen streichen muss, geistert ein Wort durch die Medienlandschaft: die «Anschlusslösung».
In Statements suggerieren Unternehmen wie zum Beispiel sich umstrukturierende Detailhändler, für die Mitarbeitenden eine Lösung zu finden.
Die Realität sieht aber anders aus. Die sogenannten «Anschlusslösungen» sind oft weiter vom Wohnort entfernt als bisher. Der Lohn ist tiefer, die Arbeitszeit neu anders oder die Stelle weniger fachspezifisch.
Und so verliert ein Angestellter oder eine Angestellte dennoch den Job, wenn er oder sie die «Anschlusslösung» nicht akzeptiert.
«Verschleierungstaktik für Kündigung»
Das jedenfalls sagt die Unia-Mediensprecherin Natalie Imboden gegenüber Nau.ch. Konkret erklärt sie: «Wir beobachten, dass Massenkündigungen oder grössere Entlassungen hinter schönfärberischen Begriffen versteckt werden sollen.»
So handle es sich bei sogenannten «Anschlusslösungen» häufig um eine «Verschleierungstaktik für Kündigung und Stellenverlust für die Angestellten», so Imboden.
Sozialpläne seien deshalb wichtig. Denn: «Sozialpläne regeln für die Arbeitnehmenden verbindliche Rechte und Ansprüche.»
Dazu würden beispielsweise bezahlte Umschulungen und verlängerte Kündigungsfristen gehören, erklärt Imboden. Aber auch Umzugsentschädigungen oder besondere Regelungen für ältere Arbeitnehmende.
«Keine Sicherheit»
«Wenn kein Sozialplan besteht, hat das Unternehmen grundsätzlich keine Vorgaben, was es anbieten muss. Das ist jeweils Verhandlungssache. Bei einer Kündigung gilt das Obligationenrecht und der Einzelarbeitsvertrag.»
Das Problem dabei, so die Unia-Sprecherin: «Ohne verbindliche Regelung haben die Angestellten keine Sicherheit und keinen Anspruch.»
Sogenannte «Anschlusslösungen» ohne gute Regelungen im Sozialplan seien häufig eher «Scheinlösungen», wobei natürlich der Einzelfall zu beurteilen sei.
Doch wie schwer ist es, eine für Angestellte gute «Anschlusslösung» zu finden?
«Auffangvermögen» der Firma entscheidend
Bruno Staffelbach, Direktor des Centers für Human Resource Management an der Universität Luzern, erklärt: «Es ist schwieriger, je spezialisierter das Qualifikationsprofil der Beschäftigten ist.»

Auch das «Auffangvermögen» der Firma, die Angestellte entlasse, sei entscheidend. Falle dieses kleiner aus, sei eine «Anschlusslösung» schwieriger zu erzielen.
Und auch der Zeitpunkt spiele eine Rolle, so der Professor für Betriebswirtschaftslehre.
«Anschlusslösungen», um verbleibende Mitarbeitende zu motivieren
Eine «Anschlusslösung» sei aber nicht nur für die Beschäftigten da, die ihren Job verlieren. Sie ziele auch auf den Arbeitsmarkt ab, «um die Reputation der Firma als Arbeitgeber zu wahren».
Wichtig seien «Anschlusslösungen» aber auch für Beschäftigte, die in der Firma verbleiben würden, so Staffelbach. Denn es sei deren Motivation, um die man sich sorgen müsse.
Zudem habe «eine Besetzung von Vakanzen mit ‹eigenen› Leuten» ökonomische Vorteile. «Man kennt die Leute, weshalb die Besetzungsrisiken kleiner sind. Und man hat keine oder sehr viel kleinere Rekrutierungskosten.»
Ebenfalls entscheidend, so Staffelbach: «Die Einarbeitung in die Kultur der Firma beziehungsweise in den ‹Geist und Stil des Hauses› entfällt. Weil die ‹eigenen› Leute diese schon kennen.»
Massenentlassungen sind gesetzlich geregelt
Es sei wichtig, herauszustreichen, dass das Finden von «Anschlusslösungen» nicht im rechtsfreien Raum erfolge.
«Die Massenentlassung ist gesetzlich geregelt. Allfällige Sozialpläne dienen der Härtefallvermeidung oder -minderung», erklärt der Betriebswirtschaftsprofessor.
«Zwar gibt es für Sozialpläne keine gesetzliche Pflicht, aber sie können in den Gesamtarbeitsverträgen vorgesehen sein. Sie können freiwillig ausgehandelt oder einseitig aufgestellt werden.»
Entscheidend sei bei «Anschlusslösungen» nicht die «Gleichwertigkeit» eines Angebots. Der zentrale Begriff sei die «Zumutbarkeit».
Unternehmen sind bei Anschlusslösungen frei
Das sieht auch der Schweizerische Gewerbeverband so.
Dieter Kläy, stellvertretender Direktor, erklärt: «Die Unternehmen sind nicht verpflichtet, den Mitarbeitenden ganz bestimmte ‹Anschlusslösungen› zu unterbreiten.»
Aber: «Je nach konkretem Fall kann es Sinn machen, ein entsprechendes Angebot zu unterbreiten. Beispielsweise, wenn man den Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin im Unternehmen behalten will.»
Arbeitgeberverband befürwortet liberales Arbeitsrecht
Das liberale Arbeitsrecht in der Schweiz ermögliche es, freie Stellen mit eigenen Arbeitskräften zu besetzen, so Kläy.

«Der Schweizerische Gewerbeverband befürwortet diese Freiheit ausdrücklich. Im Einzelnen entscheiden die entsprechenden Unternehmen und Abteilungen, wen sie für die Besetzung einer Stelle als geeignet empfinden.»
Gerne hätte Nau.ch auch die Meinung des Arbeitgeberverbandes und von Economiesuisse zu dieser Thematik gehört. Allerdings waren diese nicht zu einer Stellungnahme bereit.