Flo Eichenberger: So geht es weiter mit dem Berner Sous Soul
Nach 14 Jahren Pause hat das legendäre Kulturlokal in Bern wieder geöffnet. Mitinitiant Flo Eichenberger über das Wiedererwachen der Unvernunft.

Das Wichtigste in Kürze
- Flo Eichenberger ist Mitinitiant und Motor des neuen Berner Kulturlokals Sous Soul.
- Das legendäre Lokal musste einst wegen lärmempfindlichen Nachbarn schliessen.
- Einer dieser Nachbarinnen ist im neuen Lokal eine Bühne gewidmet.
- Der BärnerBär hat Flo Eichenberger zum Interview getroffen.
BärnerBär: Flo Eichenberger, wie fühlt es sich an, das Sous Soul nach 14 Jahren wieder zum Leben zu erwecken?
Flo Eichenberger: Genau richtig. Auch wenn das gar nicht geplant war. Das Theater am Käfigturm musste schliessen und unser erster Impuls war, dass wir den Raum für Kultur bewahren wollen. Daraus wurde schnell ein grösseres Vorhaben: Ganz oder gar nicht, wir übernehmen das Lokal. Meine Kinder erinnern mich immer wieder daran, im Moment zu leben und das Wesentliche zu sehen. Mit der Übernahme bot sich die Chance, etwas Neues aufzubauen. Frei von alten Strukturen, aber mit einer klaren Vision für Kunst, Kultur und Begegnung.
BärnerBär: Du hast dafür deine Leitungsposition in einer sozialen Institution aufgegeben. War das ein vernünftiger Entscheid?
Flo Eichenberger: Monetär wohl kaum. Für mein Gefühl aber auf jeden Fall. Ich wollte noch einmal ganz in die Kultur eintauchen, mit all ihrer Unplanbarkeit. Und ja, vielleicht ist das genau der Punkt: Wir dürfen alle wieder ein bisschen unvernünftiger sein. Mutig, neugierig, offen für das, was entsteht, wenn man nicht alles durchrechnet.
In einer Welt, die immer aggressiver und spalterischer wird, können wir in unserem Mikrokosmos Liebe und Offenheit entgegensetzen. In Form von Kunst und Kultur, offen und zugänglich für alle. Es ist ein Privileg, Menschen hier zu empfangen. Und klar, es ist eine Herausforderung, organisatorisch und finanziell. Aber die Freude, die wir erleben, wiegt alles auf.

BärnerBär: Ihr habt im April mit einer dreitägigen Eröffnungssause gestartet. Was war euch dabei wichtig?
Flo Eichenberger: Wir wollten zeigen, was alles möglich ist. Nicht mit einer grossen Show, sondern mit Vielfalt. Drei Tage, dreissig Acts aus Musik, Theater, Literatur, Tanz, Comedy. Diese Dichte war gewollt, um zu zeigen: Hier darf alles passieren. Es war ein Vorgeschmack auf das, was noch kommt.

BärnerBär: Die Eröffnung liegt nun ein halbes Jahr zurück. Wie funktioniert euer Konzept über die Sparten hinweg?
Flo Eichenberger: Das Kulturprogramm darf bei uns flüssiger sein, weniger Schubladen, mehr Austausch. Musik, bildnerische Kunst, Theater, Performance, Gespräche, das darf alles ineinander übergehen. Wenn während einer Ausstellung plötzlich jemand tanzt oder eine Band spontan dazustösst, ist das genau richtig.
Wir wollen, dass sich die Künste gegenseitig inspirieren. Kultur ist kein fertiges Produkt, sondern ein Prozess. Einmal, nachts um halb eins, fiel mitten im Elektro-Set das Licht wie auch der Sound aus. Plötzlich stand da Evgenia Asanova, eine russische Opernsängerin, und sang fünf Minuten unverstärkt Operette auf der kleinen Steg-Bühne. Das war pure Magie. Solche Momente zeigen, was passiert, wenn man Kontrolle loslässt.

BärnerBär: Wie reagiert das Publikum auf dieses Konzept der Offenheit?
Flo Eichenberger: Ich bin positiv überrascht. Sowohl davon, wer alles den Weg zu uns findet, als auch, wie unterschiedlich die Menschen zusammenkommen. Wer einmal da war, ist meist begeistert und fühlt sich wohl. Besonders die Jüngeren haben mich beeindruckt: Sie feiern ausgelassen, respektvoll, friedlich. Das ist wunderschön zu sehen. Mein Wunsch ist, dass diese Neugier bleibt. Dass sich die Leute trauen, sich einzulassen, aktiv oder einfach beobachtend. So entsteht Begegnung auf Augenhöhe. Draussen ist die Welt laut und kann überfordern, hier passiert höchstens eine kleine, charmante Verrücktheit. Und ich glaube, das tut uns allen gut.

BärnerBär: Apropos charmante Verrücktheit: Frau Müller, damals mitverantwortlich für die Schliessung des alten Clubs, hat jetzt sogar eine kleine Bühne im Foyer. Was hat es damit auf sich?
Flo Eichenberger: Das ist natürlich ein Augenzwinkern an unsere Geschichte. 2011 musste das erste Sous Soul an der Junkerngasse schliessen, weil sich eine Anwohnerin namens Müller über Lärm beschwert hatte. Natürlich spielten auch politische Faktoren der Stadt Bern mit und ich will Frau Müller gar nicht zu viele Vorwürfe machen. Die kleine Frou-Müller-Bühne haben wir eingerichtet, weil alle das Recht auf eine Meinung haben, so wie Frau Müller. Sie ist Teil unserer Geschichte. Die Frage ist nur: Wie gehen wir damit um?
Wir nehmen Kritik ernst, aber begegnen ihr mit Humor. Und wer selbst etwas loswerden will, darf das gerne tun: Auf unserem Club-eigenen «Praschaueri»-Steg dürfen alle ihre Meinung herausposaunen. Bisher hat’s allerdings noch niemand gewagt (lacht).
BärnerBär: Du bist Mitinitiant und einer der Motoren des neuen Sous Soul. Wie siehst du deine Rolle in diesem ganzen Kosmos?
Flo Eichenberger: Ich sehe mich nicht als klassischen Clubleiter, eher als Gastgeber, der Räume öffnet und Menschen miteinander verbindet. Natürlich habe ich eine zentrale Rolle im Projekt, weil viele Fäden bei mir zusammenlaufen. Aber das Sous Soul lebt vom Kollektiv, nicht von einer einzelnen Person.
Ich bringe meine Erfahrung aus Kulturmanagement und Eventorganisation ein, doch entscheidend ist die gemeinsame Energie. Ich versuche, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich Menschen gesehen und inspiriert fühlen. Ich liebe es, Abende zu gestalten, die sich entwickeln dürfen. Ohne Drehbuch, aber mit viel Herzblut.

BärnerBär: Und wie funktioniert dieses Kollektiv hinter den Kulissen?
Flo Eichenberger: Unser Kollektiv ist sehr divers – und genau das macht es spannend. Manche sind organisiert und strukturiert, andere chaotisch und impulsiv. Aber alle teilen dieselbe Leidenschaft für Kunst, Kultur und Begegnung. Einige reissen Ideen an, andere ziehen sie durch. Zusammen bringen wir das Projekt voran. Der Raum gehört allen, die Lust haben, mitzuwirken. Jede spontane Idee ist willkommen – das Sous Soul ist ein Gemeinschaftswerk.
BärnerBär: Ein Blick nach vorn: Wie geht’s weiter mit dem Sous Soul?
Flo Eichenberger: Wir wollen weiter wachsen – nicht im kommerziellen, sondern im kulturellen Sinn. Das Sous Soul soll ein Ort bleiben, an dem Dinge passieren dürfen, bevor sie geplant sind. Wir möchten Formate schaffen, die Menschen zusammenbringen, überraschen und inspirieren. Ein schönes Beispiel dafür ist die «Soirée 197»: Jede der 197 Nationen, die in der Schweiz vertreten sind, soll bei uns einmal einen Abend gestalten dürfen. Mit Musik, Essen, Geschichten, allem, was dazugehört.
Wir planen ausserdem regelmässige Talks, Lesungen, Performances und spontane Begegnungen zwischen den Künsten. Das Wichtigste ist, dass der Raum lebendig bleibt. Wir wollen keine Routine, sondern Bewegung, Offenheit, Neugier. Das Experiment geht weiter, gemeinsam mit all den Menschen, die Lust haben, sich darauf einzulassen. Denn genau das ist es, was das Sous Soul ausmacht: eine kleine, mutige Portion Unvernunft, die uns alle wieder ein bisschen freier macht.








