Der Berner Mattelift bewegt – braucht es einen zweiten?
Der Berner Mattelift hat eine spannende Geschichte, die der junge Berner Historiker Stefan Weber nun aufgearbeitet hat.

Das Wichtigste in Kürze
- Der Berner Mattelift hat eine spannende Geschichte.
- Diese wurde nun vom Historiker Stefan Weber aufgearbeitet.
- Neu aufgekommen in den vergangenen Jahren ist zudem die Idee eines zweiten Liftes.
Ende des 19. Jahrhunderts war das Berner Mattequartier unten an der Aare von Armut und miserablen hygienischen Bedingungen geprägt. Die Matte gehörte «zu den schlimmsten Elendsvierteln Berns.
Besonders problematisch gestaltete sich der überholte spätmittelalterliche Baubestand, welcher die Ausbreitung von Krankheiten und Seuchen begünstigte». Dies schreibt Stefan Weber in seiner Masterarbeit am Historischen Institut der Universität Bern.
«Besonders bedenklich waren die Abortverhältnisse», so Weber weiter. «96 Prozent der Haushaltungen waren auf mangelhafte Aborte angewiesen. Weitere Übelstände zeigten sich etwa darin, dass 74,4 Prozent der Wohnungen über keinen Anschluss an die Wasserleitung verfügten.»

Wer in solchen Verhältnissen leben musste, wurde stigmatisiert: Die Leute in der oberen Stadt schauten auf die Mattebewohnerinnen und -Bewohner hinunter, und die Stadtverwaltung vernachlässigte das Quartier.
Wer in der Matte lebte und am Leben in der oberen Stadt teilhaben wollte, musste unendlich lange und düster hinaufsteigen.
Aufwertung dank Mattelift
«Bisher fehlte eine historische Aufarbeitung des Mattelifts», sagt Historiker Weber dazu. Er hat sie nun wissenschaftlich vollzogen (und dafür an der Uni Bern die Bestnote erhalten).
Der Direktor der Berner-Oberland-Bahnen, Ingenieur Emil Strub, reichte 1893 ein Konzessionsgesuch für einen elektrisch betriebenen Personenlift auf die Münsterplattform ein.
Ein «Avantgarde-Projekt», so Stefan Weber: Es sah «den ersten vollständig elektrisch betriebenen öffentlichen Personenlift der Schweiz» vor. Strub plante einen weiteren Lift flussabwärts, der auf die Nydeggbrücke hätte führen sollen.
Zur Unterstützung der Idee formierte sich 1894 ein Initiativkomitee. Unter anderem engagierten sich Politiker sowohl des sozialdemokratischen als auch des bürgerlichen Lagers.
Vorbild war die Marzilibahn, die seit 1885 vom Bundeshaus aus die aarenahen Quartiere Marzili und Dalmazi erschloss. Dank der Anbindung an das Stadtzentrum wandelten sich diese von marginalisierten Stadtteilen zu attraktiven Wohngebieten.
Doch dem Projekt erwuchs Opposition. Die Plattform vor dem Münster war eine elegante, verkehrsfreie Terrasse mit barocken Eckpavillons. Dort flanierte die bessere Berner Gesellschaft.
Das Münster selber, erbaut im 15. Jahrhundert, hatte soeben den obersten, achteckigen Teil seines Turmes und den Helm bekommen.

Der Titel von Stefan Webers Masterarbeit fasst die Problematik zusammen: «Verkehrserleichterung oder Verschandelung der Münsterplattform? Die Erstellung des Mattelifts 1888–1897. Ein Personenlift im Spannungsverhältnis zwischen Fortschritt und Widerstand.»
Das Ringen um den Aufzug war von polemischen Leserbriefen und hitzigen Pressedebatten begleitet.

So schrieb ein Einsender im «Berner Tagblatt» 1896, dass durch den Liftbau «die prächtige Anlage entstellt und schwer geschädigt würde».
Der Verschönerungsverein der Stadt Bern und der Verkehrsverein, Berns erste Tourismusorganisation, verfassten eine gemeinsame Eingabe an die Stadtregierung. Darin behaupteten sie, die «weltberühmte Münsterterrasse, eine der schönsten Promenaden» werde unwiederbringlich verunstaltet.
Klassische Ressentiments gegen Mattebewohner
Hinter ästhetischen Argumenten schimmerten oft Ressentiments gegen die Bewohner des Armutsquartiers durch.
Das Initiativkomitee hielt dem in einem Beitrag, publiziert am 28. März im «Berner Tagblatt», folgendes entgegen: «Es ist ferner die Befürchtung ausgesprochen worden, die vom Aufzug herrührende Cirkulation der Mattenbewohner auf der Plattform könnte die sich dort ergehenden Bürger aus der obern Stadt stören, oder mit andern Worten gesagt, die letztern könnten dadurch mit den erstern in nicht gewünschte Berührung kommen. Es liegt in dieser Auffassung eine gewisse Geringschätzung, ja eine Beleidigung an die Adresse der Mattenbevölkerung.»
Am 10. April 1896 erfolgte die Gründung der «Elektrische Personenaufzug Matte-Plattform AG».
Die Gemeinde Bern verweigerte ihre Unterstützung, und das Projekt musste dem Eidgenössischen Eisenbahndepartement unterstellt werden.
Die Finanzierung wackelte; Genehmigungen mussten hart erkämpft werden. Das Berliner Unternehmen Siemens & Halske wurde schliesslich mit der Ausführung betraut. Die Montage war abenteuerlich und von praktischen Herausforderungen geprägt.
Kommt ein zweiter Mattelift?
Am 22. April 1897 war es so weit: Zwei Kabinen hingen gegenläufig an Drahtseilen und transportierten die ersten Fahrgäste.
Die Fahrt dauerte wenige Sekunden, kostete zehn Rappen und wurde von Angestellten begleitet. Mit 60'000 Passagieren im ersten Jahr übertraf der Mattelift alle Erwartungen.
Inzwischen ist er rundum akzeptiert. Bis heute sind mehr als 25 Millionen Menschen befördert worden. Bernerinnen und Berner nennen den Lift liebevoll «Senkeltram».

Das Quartier selber wurde zu weiten Teilen neu gebaut. Etappenweise wurden zwischen 1916 und 1958 ganze Srassenzüge wie die Badgasse und Gerberngasse abgerissen und durch Neubauten ersetzt.
Die Idee eines zweiten Liftes ist in den vergangenen Jahren neu aufgenommen worden. Der Architekt Walter Hunziker hat das Projekt eines Aussenliftes von der Nydeggbrücke entlang dem Pfeiler hinunter in die Matte präsentiert.
Dieser besässe eine verglaste Kabine und wäre vollständig demontierbar. Der Denkmalschutz hat jedoch Bedenken und hat eine zweite Variante ausarbeiten lassen.
Dieser Lift wäre in den Brückenpfeiler integriert und praktisch unsichtbar. Entscheidungen stehen bevor.