Acker Schweiz: «Tscharni»-Primarschüler warten auf erste Rüebli

Redaktion
Redaktion

Bern,

Woher kommt unser Essen? Wie pflanzt man etwas an? ­Die Organisation Acker Schweiz hilft schweizweit Schulen und Kitas Gärten einzurichten. Auch in Bern.

Acker Schweiz
Auch im Berner Tscharnergut wird fleissig gegraben, gesät und geerntet. - Neel Nowotny

Heute, an einem heissen Junitag, muss gegossen und gegraben werden. Einige Pflanzen sind schon gut gewachsen. Andere Beete liegen noch brach. Die kleinen Erdlöcher sind gut vorbereitet, jetzt können die Setzlinge hinein. Düngen, giessen, Daumen drücken, dass alles gut anwächst.

Hier in Berns Westen kümmern sich Primarschülerinnen und -schüler des Tscharnerguts mit grossem Eifer um ihre Beete.

Seit 2023 läuft hier im Schulgarten das Programm «Gemüse­Ackerdemie» der gemeinnützigen Organisation Acker Schweiz, die sich für mehr Wertschätzung von Natur und Lebensmitteln einsetzt.

Finden Sie es sinnvoll, dass Kinder in der Schule eigenes Gemüse anbauen?

Support mit Beratung und Wissen

Schon 90 Schulen, Kitas und Kindergärten sind schweizweit dabei. Grundvoraussetzung Nummer eins ist ein wenig Platz auf dem Gelände.

Acker Schweiz hilft mit Beratung und Wissen. «Meist lässt sich schon eine Wiese umgraben und in einen tollen Garten verwandeln. Oft finden wir heute ungenutzte Flächen oder können einen stillgelegten Schulgarten wiederbeleben», sagt die Co-Geschäftsleiterin Simone Nägeli.

«Wir begleiten die Klassen immer nur so eng, wie es gerade nötig ist. Ziel ist es, dass Wissen und Techniken irgendwann so gut verankert sind, dass sie allein weitermachen können.»

Schülergärten
Schülergärten - Neel Nowotny

Je mehr Lehrpersonen zwischen Beet und Giesskanne bewandert sind, desto mehr wird das Programm zum Selbstläufer. «Nicht jeder ist ein Naturpädagoge und hat einen eigenen Garten», weiss Nägeli. Deshalb bietet Acker Schweiz Schulungen für Lehrpersonen an.

Kein grosses Budget

Die Lehrpersonen nehmen nicht nur den Spaten in die Hand, suchen einen Ort für Gerätebox und Wassertonne, sondern begeistern auch Schulleitung und Kollegium. «So entsteht ein neuer Lernort, der langfristig und von vielen Klassen genutzt werden kann. Wir finden oft pragmatische Lösungen, die kein grosses Budget benötigen», weiss Nägeli.

Der Garten sollte mindestens 50 Quadratmeter gross sein, damit es für zwei Schulklassen auch genug zu tun gibt.

Jede Woche geht es dann, so wie hier im Tscharnergut, einmal raus in den Garten: «Eine solche Routine ist am besten für Kinder. So sehen sie gleich, was sich im Garten getan hat.»

Mehr Bezug zum Ökosystem

Schon oft hat Nägeli festgestellt, welch eine Veränderung die Kinder durchleben. «Anfangs schauen sie nur und sind mit dem Ort noch nicht vertraut. Nach ein paar Lektionen wissen sie, was man alles in und auf der Erde entdecken kann, wenn man genau hinschaut. Ich erlebe, wie sie jedes Pflänzchen genau betrachten und viel mehr Bezug zum Ökosystem bekommen. Das ist toll.»

Jäten, haken, die Pflanzen auf Schädlinge kontrollieren, zurückbinden. Nach und nach wird der Schulgarten zu «ihrem Garten», auf den die Kinder stolz sind. Bewegen statt still pauken, echte Verantwortung für ein Lebewesen übernehmen, das wachsen und gedeihen soll.

Schülergärten
Schülergärten - Neel Nowotny

Und diese Begeisterung macht an der Schultür nicht Halt. Nägeli lacht und berichtet: «Viele wollen dann zu Hause etwas anpflanzen und können der Familie noch etwas beibringen.»

Manche Eltern erzählen, dass die Kinder nun offener für verschiedene Lebensmittel sind und nun gerne Salat essen. Und sie achten darauf, dass weniger Lebensmittel weggeschmissen werden. Eine krumme gefleckte Zucchetti schmeckt genauso gut wie eine makellose. «Die Kinder wissen dank dem Gärtnern, wie viel Arbeit darin steckt.»

Mit Lehrplan abgestimmt

Neben der Arbeit auf dem Feld haben die Kinder im Programm auch theoretische Gartenlektionen. Acker Schweiz stellt eine digitale Lernplattform zur Verfügung. Die Inhalte sind mit dem Lernplan 21 abgestimmt und gehören zum Lernziel Bildung für nachhaltige Entwicklung.

Unter dem Namen «AckerRacker» bietet die Organisation noch ein zweites Programm an, das sich an kleinere Kinder richtet.

Den Regenwurm spüren

Die Kitas und Kindergärten schaffen dabei kleine Gärten, die den Kleinsten ein erstes Naturerlebnis vermitteln sollen – ganz spielerisch. «Erde zwischen den Fingern spüren, einen Regenwurm in die Hand nehmen, Tomatensträucher pflanzen», nennt Nägeli Beispiele für das niederschwellige Angebot.

Damit verbunden sind auch Geduld und Entdeckergeist. «Wie lange braucht es, bis man eine Tomate ernten kann? Wie wächst sie? Wie viel Arbeit und Sorgfalt stecken im Anbau? Dieses Wissen fehlt uns derzeit in der Gesellschaft.»

Mensch und Natur

Nach Meinung der Organisation ist eine solche Naturvermittlung essenziell, da die Menschen die Natur zunehmend nur noch als Freizeitraum wahrnehmen. Nicht alle haben Zugang zu Gärten.

«Es findet eine Entkopplung statt», beschreibt es Nägeli. «Unsere Umgebung dient uns nur noch als Naherholungsort. Da wir in einer arbeitsteiligen Welt leben, wissen wir nicht mehr, wie unsere Nahrung angebaut wird und woher sie stammt. Wir verlieren den Bezug.»

Schülergärten
Schülergärten - Neel Nowotny

Die Relevanz der Natur schwindet in der subjektiven Wahrnehmung, wenn man alle Lebensmittel einfach schnell im Laden kaufen kann. «Deshalb möchten wir den Kindern die Naturflächen zurückgeben. So können sie sehen, wie verbunden Mensch und Natur eigentlich sind. Wir sind letztlich von ihr abhängig.»

So haben seit 2017 rund 12 000 Kinder und Jugendliche mit der Unterstützung von Acker Schweiz ihr eigenes Gemüse angebaut.

Belohnung und ein Aha-Erlebnis

Nach drei bis vier Monaten Gartenarbeit werden die Kinder im «Tscharni» das erste Rüebli ernten dürfen. Eine richtige Belohnung und ein Aha-Erlebnis. Früher reif sind Radieschen, Kohlrabi und Salat.

Derzeit können wärmeliebende Tomaten und Kürbisse gepflanzt werden, auf letztere können die Kids sich im Oktober freuen.

So gibt es während des Gartenjahres immer etwas zu tun. Kurz vor dem Winter wird gemulcht.

Ein idealer Aufhänger, um über den Aufbau von Erde und ihre Nährstoffe etwas zu lernen. «Durch Klimawandel und intensive Landwirtschaft geht die wichtige Humusschicht immer weiter verloren. Wer mulcht, kurbelt das Bodenleben an. Das können die Kinder anhand von Proben dann auch sehen», so Nägeli.

Sie wünscht sich, dass in Zukunft jede Kita und Schule einen Ort zum naturnahen Lernen hat. «Ein Schulgarten sollte so selbstverständlich werden, wie eine Turnhalle, der Werkraum oder Computerraum.»

Die Voraussetzungen sind laut Acker Schweiz gut, da viele Schulen gerade umdenken und sich für einen Unterricht einsetzen, der nicht nur im Klassenzimmer stattfindet. Raus in die Natur – ran ans Rüebli.

Kommentare

Weiterlesen

Gemeinde
Handy Schule
16 Interaktionen
Handy im Unterricht

MEHR AUS STADT BERN

YB Frauen
Im Training
SCB YB
Von YB und SCB
Sozialdedektive
Sozialhilfegesetz
studierende
Im Jubiläumsjahr