Unabhängigkeit - aber wie? Schottische Regierungspartei diskutiert
Die schottische Unabhängigkeitsbewegung zerfleischt sich in einer Debatte um den richtigen Pfad zur Loslösung von Grossbritannien.

Das Wichtigste in Kürze
- Die schottische Unabhängigkeitsbewegung droht an internen Uneinigkeiten zu scheitern.
- Die SNP befindet sich seit dem Rücktritt Sturgeons auf Identitätssuche.
- Regierungschef Humza Yousafs radikaler Plan zur Loslösung Londons stösst auf Gegenwind.
Zwar legte Regierungschef Humza Yousaf auf einem Sonderparteitag seiner Schottischen Nationalpartei (SNP) einen Plan vor. Doch Aktivisten ausserhalb der SNP kritisierten das Vorhaben, die nächste britische Parlamentswahl zum De-facto-Referendum zu erklären, als unausgegoren.
Yousafs Idee dreht sich um die nächste Abstimmung der SNP, welche im Herbst stattfindet. Holt sie dort die Mehrheit der schottischen Mandate für das britische Parlament, soll dies als Votum für die Unabhängigkeit gelten.

«Falls die SNP diese Wahl gewinnt, dann hat das Volk gesprochen», sagte Yousaf in der Stadt Dundee. Am Sonntag bekräftigte er in der BBC, er wolle dann umgehend Verhandlungen mit der britischen Regierung aufnehmen. Das Ziel: Entweder überträgt London dem Regionalparlament in Edinburgh das Recht, eine neue Volksabstimmung einzuberufen, oder entlässt Schottland direkt in die Unabhängigkeit.
Wohl ein langer Weg
Doch was einfach klingt, hat einen ziemlichen Haken. Denn sowohl der konservative Premierminister Rishi Sunak als auch sein Herausforderer Keir Starmer, lehnen eine Abspaltung ab.
Das Recht ist auf ihrer Seite: Im Dezember 2022 entschied der britische Oberste Gerichtshof, dass London einem Referendum zwingend zustimmen muss. Bei einer ersten Abstimmung 2014 hatte eine Mehrheit der Schotten für die Union votiert. Das war aber vor dem Brexit, den wiederum die meisten Menschen im nördlichsten britischen Landesteil ablehnen.

Yousaf greift nun eine Idee seiner Vorgängerin Nicola Sturgeon auf, als deren Vertrauter er gilt. Eine Stimme für die SNP solle eine Stimme für die Unabhängigkeit sein. Das müsse «in der ersten Zeile auf der ersten Seite» des SNP-Wahlprogramms stehen. Im eigenen Lager stösst Yousaf damit aber auf Gegenwind.
Ohne die Unterstützung anderer «Yes»-Kräfte sei ein Erfolg unmöglich, rügte Neale Hanvey von der Partei Alba. Die Organisation All Under One Banner kritisierte die Pläne als unkonkret. Nötig seien nicht Verhandlungen, sondern die klare Aussage, dass eine Mehrheit bei der Wahl tatsächlich die Loslösung bedeute.
Sara Salyers von der Bewegung Salvo sagte der Zeitung «National»: «Uns sind die Optionen und die Zeit ausgegangen.» Die SNP zaudere – und verliere deshalb Wähler.
Sturgeon-Abtritt stürzt SNP in Krise
Tatsächlich fiel die SNP zuletzt in Umfragen erstmals seit vielen Jahren hinter Labour zurück. Nach dem Rücktritt von Sturgeon, dem Gesicht der Unabhängigkeitskampagne, stürzte die als unschlagbar geltende Regierungspartei ins Chaos. Zuerst zerrieben sich die Mitglieder in der Debatte um Sturgeons Nachfolge, dann eskalierte eine Finanzaffäre um mutmasslich zweckentfremdete Spendengelder. Auch Sturgeon wurde vorübergehend zur Befragung festgenommen.

Politisch ist die Unabhängigkeitsbewegung geschwächt. Tatsächlich ist der Wunsch nach einer Loslösung durchaus verbreitet. Am Samstag marschierten etwa 6000 Menschen zum Ort der Schlacht von Bannockburn: Dort hatte 1314 der schottische Anführer Robert the Bruce die Engländer vernichtend geschlagen. Es war ein entscheidender Sieg auf dem Weg zur Unabhängigkeit.
Basis wird unruhig
Umfragen zeigen zudem eine konstante Zustimmung von 48 Prozent, unabhängig von Sturgeons Rücktritt. Das analysierte der prominente Wahlforscher John Curtice für die BBC.
Doch das zeigt auch: Ein Momentum gibt es nicht, Yousaf hat viel Arbeit vor sich. An der Basis aber steigt die Unruhe.
Der einstige Parteivize Jim Fairlie fragte, ob die SNP wohl bereit sei zum zivilen Ungehorsam. Oder gar dazu, die Zusammenarbeit mit London zu verweigern. «Wir werden es sehen. Aber ich bezweifele es», sagte Fairlie.