«Sniper-Touristen» in Bosnien: Rom beschäftigt sich mit dem Fall
Mutmassliche italienische «Kriegstouristen», die in den 90er-Jahren an der Belagerung von Sarajevo teilgenommen haben, sorgen für Aufregung.

Der Skandal um mutmassliche italienische «Kriegstouristen», die in den 1990er-Jahren als Scharfschützen an der Belagerung von Sarajevo teilgenommen und dafür bezahlt haben sollen, Zivilisten zu erschiessen, sorgt in Italien für Aufregung. Der Fall könnte bald die Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni beschäftigen. Die oppositionelle Fünf-Sterne-Bewegung hat eine parlamentarische Anfrage an die Regierung gerichtet, um zu erfahren, ob die in den Archiven der italienischen Geheimdienste vorhandenen Dokumente zur «Sarajevo Safari» zugänglich gemacht werden können.
Italiens früherer Militärgeheimdienst Sismi soll vor etwas mehr als 30 Jahren «entdeckt» haben, dass sogenannte «Wochenend-Scharfschützen», darunter auch Italiener, von Triest aus zu tödlichen «Safari-Reisen» aufbrachen, um in der belagerten bosnischen Stadt Sarajevo zu töten. Sogar Frauen und Kinder waren Ziel dieser Taten. Dem Geheimdienst soll es gelungen sein, die Operation zu stoppen.
Dokumente könnten Identitäten enthüllen
Möglicherweise existieren Dokumente, die die «Identitäten» dieser Mörder, der sogenannten «Touristen-Schützen», beinhalten, berichtete ein ehemaliger bosnischer Geheimdienstagent dem Schriftsteller Ezio Gavazzeni, der vor einigen Monaten eine Anzeige bei der Mailänder Staatsanwaltschaft erstattet hatte, die zur Einleitung einer Untersuchung wegen mehrfachen Mordes aus verwerflichen und grausamen Motiven führte.
Die bosnischen Dienste erfuhren Ende 1993 von diesen «Jagdausflügen». Sie informierten den Militärgeheimdienst Sismi Anfang 1994. Nach drei Monaten erhielten sie die Antwort, dass die Reisen nach Sarajevo gestoppt worden seien. Die Namen der «Scharfschützen» wurden vom Sismi nicht übermittelt, berichtete Gavazzeni.
Ermittlungen in vollem Gang
Die Zeugenaussagen und Dokumente, die nun geprüft werden müssen, stehen im Mittelpunkt der Ermittlungen des Mailänder Staatsanwalts Alessandro Gobbis. In den Militärarchiven von Sarajevo seien die Dokumente zu dem Fall als «Top Secret» eingestuft. Selbst die ehemalige Bürgermeisterin Sarajevos, Benjamina Karic, die bereit ist, vor der Mailänder Staatsanwaltschaft auszusagen, habe erfolglos versucht, über ein Gesuch Zugang zu den lokalen Justizunterlagen zu erhalten, berichtete Gavazzeni.
Laut der Anzeige handelte es sich bei den «Scharfschützen-Touristen» um wohlhabende Personen, teils mit rechten politischen Ansichten und Leidenschaft für Waffen. Die Reise sei als Jagdausflug getarnt gewesen, um die Teilnehmer unauffällig nach Belgrad und in den Einsatzraum zu bringen.
Die dunkle Seite des Kriegstourismus
Die Scharfschützen reisten mit einer «serbischen Fluggesellschaft» und wurden in Belgrad von Personen empfangen, die sie per Hubschrauber zum Einsatzort brachten. Dabei soll es sowohl legale als auch illegale Geldflüsse gegeben haben – Dokumentationen über diese Transaktionen dürften bei den italienischen Diensten vorliegen, berichtete Gavazzeni. Umgerechnet 80'000 bis 100'000 Euro soll so ein «Jagdausflug» gekostet haben, schätzen italienische Ermittler. Auf Kinder zu schiessen, sei noch teurer gewesen.
Die Belagerung von Sarajevo ist eine der blutigsten Episoden des Krieges in Bosnien-Herzegowina, der zwischen 1992 und 1996 tobte. Er kostete rund 11'000 Menschen das Leben.










