Nachdem es in Chemnitz am Dienstag erneut Ausschreitungen gab, verspricht die Regierung, entschieden zu reagieren. Mehr Polizisten sollen eingesetzt werden.
Chemnitzer Polizisten stehen in der Innenstadt bei einer Kundgebung der rechten Szene vor dem Karl-Marx-Denkmal, um ein Aufeinanderprallen von rechten und linken Gruppen zu verhindern.
Chemnitzer Polizisten stehen in der Innenstadt bei einer Kundgebung der rechten Szene vor dem Karl-Marx-Denkmal, um ein Aufeinanderprallen von rechten und linken Gruppen zu verhindern. - dpa
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Das Wichtigste in Kürze

  • Das Bundesland Sachsen will entschieden auf die Ausschreitungen in Chemnitz antworten.
  • Bundeskanzlerin Angela Merkel verurteilt die «Hetzjagden» scharf.

Nach den neuerlichen Ausschreitungen in Chemnitz hat Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) entschiedene Antworten der Behörden angekündigt. «Der sächsische Staat ist handlungsfähig - und er handelt», sagte er am Dienstag in Dresden. Die Polizei kündigte an, angesichts der neuen Lage zahlreiche weitere Beamte in die Stadt zu schicken.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verurteilte «Hetzjagden» und «Zusammenrottungen» scharf, Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) bot der sächsischen Regierung Unterstützung durch die Bundespolizei an. Die Grünen hatten es zuvor als «skandalös» bezeichnet, dass er sich zu den Vorgängen nicht äussere.

Im sächsischen Chemnitz gibt es seit Tagen Ausschreitungen. Auslöser war ein Tötungsdelikt an einem 35-jährigen Deutschen in der Nacht zum Sonntag. Zwei junge Männer aus Syrien und dem Irak sitzen seit Montag in Untersuchungshaft, die Ermittlungen laufen. Erste Demonstrationen gab es am Sonntagabend, dabei wurden auch Ausländer angegriffen.

Am Montagabend nahmen nach Polizeiangaben 6000 Menschen an einer Demonstration der rechten Pro-Chemnitz-Bewegung teil. Gegenüber standen ihnen 1500 linke Demonstranten. Bei Zusammenstössen und direkten Angriffen auf die Gegenseite wurden 20 Menschen verletzt. Unter den Rechten befanden sich laut Behörden aus anderen Bundesländern angereiste gewaltbereite Rechtsextreme, Hooligans und andere Angehörige der Fussballszene.

Nach den neuen Ausschreitungen geriet die Polizei wegen des Vorwurfs mangelnder Einsatzplanung in die Kritik. Den eingesetzten 600 Beamten standen laut Polizei überraschend weit mehr Demonstranten gegenüber als angenommen. Landesregierung und Polizeiführung verteidigten den Einsatz dennoch als erfolgreich.

Nach Angaben von Landespolizeipräsident Jürgen Georgie hatten die Beamten aufgrund der ihnen vorliegenden Lageerkenntnisse zu einer bundesweiten Mobilisierung sowie Erfahrungswerten die von den Anmeldern genannten Teilnehmerzahlen verdoppelt. Die Prognosen seien aber überraschend noch einmal bei weitem übertroffen worden.

Kretschmer und Landesinnenminister Roland Wöller (CDU) sprachen von einem «erheblichen Mobilisierungspotenzial», das durch das Internet dramatisch beschleunigt und durch die Verbreitung von Gerüchten und Lügen in sozialen Netzwerken intensiviert worden sei. «Es ist ein Test, dem wir hier unterzogen werden», sagte der Ministerpräsident. Der Staat werde sein Gewaltmonopol verteidigen.

Landesregierung und Polizei kündigten die Entsendung zusätzlicher Einheiten der Bereitschaftspolizei nach Chemnitz an, um weitere Vorfälle zu verhindern. Die Präsenz der Beamten werde sich in den kommenden Tagen und Wochen «deutlich erhöhen», betonte Georgie.

Kretschmer kündigte an, Täter «auf allen Seiten» würden «dingfest gemacht». Angesichts der Mobilisierung von rechter Seite müsse «ein Ruck» durch die Gesellschaft gehen, das Problem könne die Polizei nicht allein lösen. Minister Wöller nannte die Szenen aus Chemnitz «alarmierend». Sie hätten das Bild Sachsens «beschädigt».

Aus der Bundespolitik kamen besorgte Reaktionen. «Es darf auf keinem Platz und auf keiner Strasse zu solchen Ausschreitungen kommen», sagte Merkel. «Hass darf nirgendwo freie Bahn haben in unserem Land», erklärte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Justizministerin Katarina Barley (SPD) warnte im «Handelsblatt» vor rechtsfreien Räumen und forderte ein Durchgreifen der Behörden in Sachsen. «Jagdszenen und Selbstjustiz darf es in Deutschland nie wieder geben.»

Nach Angaben der Polizei wurden nach den Ereignissen vom Montag bisher 43 Strafanzeigen gestellt, unter anderem wegen Zeigens des verbotenen Hitlergrusses. Das sächsische Landeskriminalamt und die Generalstaatsanwaltschaft zogen alle Ermittlungen an sich, sie werden von deren Terrorabwehr- und Extremismusexperten geführt.

Die Fraktion der Grünen im sächsischen Landtag beantragten wegen der Vorgänge eine Sondersitzung des Innenausschusses. Es müsse geklärt werden, warum «gewaltbereite Neonazis zu Tausenden nahezu unkontrolliert eine ganze Stadt in Angst und Schrecken versetzen können». Die Gewerkschaft der Polizei warnte am Dienstag, Personalknappheit bei der Polizei verstärke das Risiko von Selbstjustiz.

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