In Russland wird für die Freilassung von Alexej Nawalny und gegen den Präsidenten Wladimir Putin protestiert. Bis jetzt gab es mehr als 3500 Festnahmen.
Nawalny
Die Polizei verhaftet einen Mann während eines Protestes gegen die Inhaftierung des Oppositionsführers Nawalny. Foto: Alexander Zemlianichenko/AP/dpa - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • In Russland wird für die Freilassung von Alexej Nawalny und gegen Putin protestiert.
  • Es sind die grössten Proteste der vergangenen zehn Jahre.
  • Es gibt viele Verletzte und bereits über 3500 Festnahmen.
  • Die EU und die USA kritisieren die politische Verfolgung von Menschen stark.

Unter Polizeigewalt haben in ganz Russland Zehntausende Menschen protestiert. Es ging um die Freilassung des Kremlkritikers Alexej Nawalny und gegen den Präsident Wladimir Putin.

«Freiheit für Nawalny!» und «Putin, uchodi!» – zu Deutsch: «Putin, hau ab!», skandierten Menschen.

Die Proteste am Samstag in mehr als 100 Städten gelten als die grössten der vergangenen zehn Jahre. In Moskau und St. Petersburg prügelten und traten Uniformierte auf Demonstranten ein.

Viele Verletzte – mehr als 3500 Festnahmen

Es gab viele Verletzte – und mehr als 3500 Festnahmen. Die USA und die EU kritisierten die politische Verfolgung Andersdenkender in Russland.

Der Kreml hingegen spielte diese bisher so noch nicht gesehenen Massenproteste gegen Putin herunter: Es seien «wenige Menschen» zu den Protesten gegangen.

«Viele Menschen stimmen für Putin.» Dies erklärte Putins Sprecher Dmitri Peskow am Sonntag im Staatsfernsehen. Unabhängige Medien gingen jedoch allein in Moskau von 40'000 Demonstranten aus.

Demonstrationen trotz -56 Grad

Das gilt als viel - angesichts der vielen Festnahmen schon im Vorfeld und der verbreiteten Strafandrohungen der Behörden. In vielen Städten trotzten die Menschen auch extremen Minusgraden. In Jakutsk in Sibirien herrschten um die minus 56 Grad Celsius.

Alexej Nawalny
Der russische Oppositionsaktivist Alexej Nawalny gestikuliert während einer politischen Demonstration in Moskau im Jahr 2019. - Keystone

Die Staatspropaganda wies – wie Kremlsprecher Peskow - darauf hin, dass die Demonstrationen nicht genehmigt waren. Hauptthema der Staatsmedien war, dass angeblich Kinder verleitet wurden zu Protesten. Putins Gegner Nawalny hingegen wurde einmal mehr als «Verbrecher» gebrandmarkt. Tatsächlich waren vor allem viele junge Menschen auf den Strassen, aber nicht im Kindesalter, wie dpa-Reporter vor Ort berichteten.

Sonderpolizei prügelte auf Demonstranten ein

In Moskau prügelten Uniformierte der gefürchteten Sonderpolizei OMON auf Demonstranten ein. In St. Petersburg trat ein Polizist einer Frau so massiv in die Magengrube, dass sie mit dem Kopf auf dem Asphalt aufschlug.

Sie hatte gefragt, warum die Uniformierten einen Demonstranten abführen. Sie kam mit einer Gehirnerschütterung bewusstlos ins Krankenhaus.

Demonstration Russland
Die russische Polizei nimmt eine Frau fest. - AFP/Archiv

Vorübergehend in Polizeigewahrsam kamen in Russland erstmals auch Nawalnys Ehefrau Julia und zum wiederholten Mal seine Mitarbeiterin Ljubow Sobol. Viele von Nawalnys Mitarbeitern waren schon vor den Protesten festgenommen worden.

EU wird zum Handeln aufgefordert

Viele prominente russische Oppositionelle flüchteten aus Sorge um ihr Leben ins Ausland. Sie forderten die EU zu Sanktionen gegen Oligarchen und Freunde von Putin auf. «Jagt sie, verfolgt ihre Geldströme», sagte der frühere Schachweltmeister Garri Kasparow.

Garri Kasparow
Schach-Legende Garri Kasparow - AFP

«Hört auf, mit der Mafia zusammenzuspielen.» Die Sanktionsgesetze in den USA und in der EU lägen bereit. Man müsse die Vermögen von Putins milliardenschweren Freunden im Westen sperren.

«Putin ist ein Dieb»

«Putin wor!» – «Putin ist ein Dieb!», riefen die Menschen in Moskau und vielen anderen Städten. Es war der Satz des Tages, der die vielen Demonstranten im ganzen Land auch über die riesigen Distanzen miteinander verband.

Dabei ging es nicht nur um den «Raub von demokratischen Freiheitsrechten». Viele forderten «Freiheit! Freiheit!» – ein Russland ohne Repressionen.

Dass Putin als Dieb bezeichnet wird, hängt vor allem mit den Korruptionsvorwürfen gegen ihn und seinen Machtapparat zusammen. Putins Gegner Nawalny deckt diese Machenschaften seit Jahren auf. Deshalb hat er besonders viele Feinde in der russischen Führung. Der Clou: In seinem jüngsten Enthüllungs-Video zeigt Nawalnys Team die Bereicherung an der Staatsspitze.

«Ein Palast für Putin»

Unter dem Titel «Ein Palast für Putin» veröffentlichte das Team erstmals Bilder, Augenzeugenberichte und Dokumente zu Russlands grösstem privaten Anwesen. Der 44-Jährige hält es für erwiesen, dass das milliardenschwere «Zarenreich» mit Casino, Eishockey-Arena und Hubschrauber-Landeplatz dem Präsidenten gehört.

Finanziert würde alles mit Schmiergeldern, die Putin von seinen Freunden in Staatskonzernen und Oligarchen erhält. Der Kreml wies das wiederholt als «Unsinn» zurück. Doch bis jetzt hat sich noch immer niemand zum Grundstück am Schwarzen Meer bekannt.

Wladimir Putin Ukraine Krieg
Für den Krieg, den Wladimir Putin führt, will Ekat nicht verantwortlich gemacht werden. Sie ist für Frieden auf der Welt. - Keystone

«Endgültig eine Diktatur»

Das Video dürfte die laut Soziologen inzwischen verbreitete Proteststimmung in Russland noch einmal zusätzlich aufgeladen haben. «In Russland ist endgültig eine Diktatur errichtet worden.» Dies sagte der frühere Ölmanager und Oligarch Michail Chodorkowski, der selbst nach Kritik an Putin jahrelang im Straflager sass.

Michail Chodorkowski
Kremlgegner Michail Chodorkowski. - Keystone

«Der Hauptgrund, um an der Macht zu bleiben, ist ein unvorstellbarer Diebstahl. Zudem kommt der Wunsch, der Verantwortung für die begangenen Verbrechen zu entgehen.»

Ein langer Weg für einen Wandel in Russland

Der ebenfalls in der Vergangenheit schon vergiftete Kremlkritiker Wladimir Kara-Mursa betonten bei einer gemeinsamen Online-Pressekonferenz: Dass es ein langer Weg sei für einen Wandel in Russland. Das System Putin sei zwar stark. Kara-Mursa meinte aber, dass die russische Geschichte mehrfach gezeigt habe, dass revolutionäre Prozesse sich ganz spontan ergeben könnten.

Nawalny sitzt seit seiner Rückkehr nach Russland in Haft. Er macht Kremlchef Putin und den Inlandsgeheimdienst FSB für den Giftanschlag auf ihn im August verantwortlich. Putin und der FSB weisen das zurück.

Russland bestreitet gar, dass es überhaupt einen Anschlag gab. Mehrere Labore, darunter eines der Bundeswehr, haben das Nervengift Nowitschok aber in Nawalnys Organismus nachgewiesen. Die EU hat deshalb Sanktionen gegen Russland verhängt.

Demonstrationen auf der ganzen Welt

Auch in Deutschland und anderen Staaten demonstrierten Menschen für die Freilassung Nawalnys. In Berlin zogen rund 2000 Menschen in einem Protestzug an der russischen Botschaft vorbei. In Düsseldorf demonstrierten auf dem Marktplatz 200 Menschen.

Nawalny
Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Ein Demonstrant hält vor dem Rathaus ein Plakat mit dem Bild des russischen Oppositionsführers Nawalny mit der Aufschrift "#FreeNavalny" in der Hand. - Keystone

In Russland werden wegen der Corona-Pandemie schon seit Monaten keine Kundgebungen mehr genehmigt. Menschenrechtler sehen das als Vorwand, um die Opposition zum Schweigen zu bringen. Sie betonen das Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Experten in Russland kommentierten, viele Menschen hätten sich nicht einschüchtern lassen von den Drohungen der Behörden.

Die Staatsmacht machte Nawalnys zur Heldenfigur

Die Staatsmacht habe zwei Fehler gemacht, meinte die russische Politologin Tatjana Stanowaja: «Die Vergiftung Nawalnys und seine Verhaftung.» Die Proteste hätten ihm nun russlandweit Legitimation verschafft und machten ihn zu einer Heldenfigur.

Nawalny ist «einer von uns»

«Das Bild vom berechenbaren Politiker und Abenteurer hat sich gewandelt. Er wird nun als »einer von uns« und als »unser Mann« angesehen.» Nawalnys Team sprach von einer «grandiosen gesamtrussischen Aktion» - und kündigte eine Fortsetzung der Proteste am nächsten Wochenende an.

Alexej Nawalny
Oppositionspolitiker Alexej Nawalny an einer Demonstration. (Archivbild) - dpa

Nawalny war am Montag bei Moskau in einem umstrittenen Eilverfahren zu 30 Tagen Haft verurteilt worden. Der Oppositionsführer soll gegen Meldeauflagen in einem früheren Strafverfahren verstossen haben, während er sich in Deutschland von dem Giftanschlag erholte.

Nawalny drohen viele Jahre Gefängnis

Der Politiker sieht das Vorgehen der Justiz als politisch motiviert an. Ihm drohen viele Jahre Gefängnis – sowie mehrere Gerichtsverfahren.

Die Freilassung Nawalnys hatten unter anderen auch die EU und Bundeskanzlerin Angela Merkel gefordert. Die EU-Aussenminister beraten an diesem Montag über den Fall Nawalny – und die vom Europaparlament geforderten neuen Sanktionen gegen Russland. Moskau aber verbittet sich eine Einmischung in innere Angelegenheiten.

Kreml ist empört über Vorgehen der US-Botschaft

Der Kreml und das russische Aussenministerium zeigten sich empört über das Vorgehen der US-Botschaft in Moskau. Sie haben im Vorfeld der Demonstrationen genaue Treffpunkte und Uhrzeiten aufgelistet.

Die neue US-Regierung wiederum verurteilte die «harschen Methoden» der russischen Sicherheitskräfte im Umgang mit Demonstranten und Journalisten. Russlands Journalistenverband sprach von um die 40 Festnahmen unter den Reportern am Samstag.

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