Scotland Yard steht wegen eines Einsatzes bei einer nicht genehmigten Mahnwache für die entführte und getötete Sarah Everard heftig in der Kritik. Die Wut wächst.
Sarah Everard
Eine Frau spricht während der Mahnwache für die getötete Sarah Everard in London mit einer Polizistin. Foto: Victoria Jones/PA Wire/dpa - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Hunderte Menschen haben am Sonntag in London gegen einen robusten Polizei-Einsatz bei einer Mahnwache für die getötete Sarah Everard demonstriert.

Die Teilnehmer versammelten sich zunächst vor dem Hauptquartier der Polizei, New Scotland Yard, und zogen später vor das Parlament. Ihr Protest richtete sich auch gegen einen von der Regierung eingebrachten Gesetzentwurf, der künftig die Möglichkeiten der Polizei zur Einschränkung von Demonstrationen vergrössern soll und am Montag in die zweite Lesung im Unterhaus geht.

Auslöser für die Auseinandersetzungen ist der gewaltsame Tod der 33 Jahre alten Sarah Everard, die auf ihrem Nachhauseweg im Süden Londons entführt und getötet wurde. Der Fall hatte zu einem landesweiten Aufschrei gegen Belästigungen und Gewalt an Frauen geführt. Selbst Herzogin Kate (39) hatte es sich nicht nehmen lassen, am Samstag Blumen an dem improvisierten Gedenkort für Everard niederzulegen.

Stunden später war es zu hässlichen Szenen gekommen, als die Polizei unter Verweis auf die Corona-Massnahmen mit Gewalt Teilnehmerinnen einer Mahnwache von dem Musikpavillon in dem Park Clapham Common im Londoner Süden wegzerrte. Nun steht Scotland Yard heftig in der Kritik. Ausgerechnet am britischen Muttertag und der Woche des Internationalen Frauentags fühlen sich viele Frauen in Grossbritannien von Staat und Gesellschaft im Stich gelassen.

Erst am Freitag war der in einem Waldstück in der Grafschaft Kent gefundene leblose Körper der zuvor als vermisst gemeldeten Everard identifiziert worden. Damit wurde aus Befürchtungen über ihr Schicksal traurige Gewissheit. Zuletzt gesehen wurde sie am 3. März in der Nähe von Clapham Common, als sie in der Dunkelheit auf dem Heimweg von einer Freundin war. Ein 48 Jahre alter Polizist steht unter Verdacht, sie entführt und ermordet zu haben.

Trotz fehlender Genehmigung hatten sich bereits am Samstagabend Hunderte Menschen an dem Musikpavillon in Clapham zusammengefunden. Ein offizieller Aufruf zu der Mahnwache von der Initiative «Reclaim these Streets» (etwa: Erobert diese Strassen zurück) war von den Organisatorinnen zwar zurückgenommen worden, nachdem Gespräche mit der Polizei über eine Durchführung unter Beachtung der Corona-Massnahmen gescheitert waren. Doch davon liessen sich viele nicht abhalten.

Auf Videos von dem Polizeieinsatz am Samstagabend war zu sehen, wie Polizisten mehrere Frauen gewaltsam abführten. Eine Frau wurde auf den Boden gedrückt. «Die Beamten vor Ort waren mit einer sehr schwierigen Entscheidung konfrontiert», rechtfertigte eine Scotland-Yard-Sprecherin den Einsatz später, bei dem es vier Festnahmen gegeben hatte. Die Menschen hätten am Abend eng zusammengestanden, dabei sei das Risiko von Übertragungen des Coronavirus sehr hoch gewesen. Keine Bedenken habe es den Tag über gegeben, als viele Menschen - wie Kate - Blumen an dem improvisierten Gedenkort niederlegt hatten.

«Reclaim these Streets» teilte mit, Frauen im ganzen Land seien «zutiefst traurig und wütend über die Szenen, die Polizisten beim Überwältigen von Frauen während einer Mahnwache gegen männliche Gewalt zeigen». Sie machten die Beamten für die Eskalation verantwortlich. Die Mahnwache hätte wie geplant mithilfe von Ordnerinnen im Rahmen der Corona-Regeln durchgeführt werden können. Doch das habe die Polizei abgeblockt, hiess es in der Mitteilung.

Der Chef der Liberaldemokraten im britischen Parlament, Ed Davey, forderte die Londoner Polizeichefin Cressida Dick zum Rücktritt auf. Die Szenen des Polizeieinsatzes seien eine Schande für die Metropolitan Police, so Davey auf Twitter.

Auch Londons Bürgermeister Sadiq Khan zeigte sich unzufrieden mit dem Vorgehen der Polizei. Er nannte die Szenen des Polizeieinsatzes «inakzeptabel». Auch in einem Gespräch mit Dick habe er keine zufriedenstellende Erklärung dafür erhalten, teilte er am Sonntag mit. Der Labour-Politiker kündigte an, eine unabhängige Untersuchung einzuleiten.

Dick zeigte Verständnis für die Teilnehmerinnen der Mahnwache. Sie hätte selbst daran teilgenommen, wenn es legal gewesen wäre, sagte sie in einer Erklärung am Sonntag. Einen Rücktritt lehnte sie jedoch ab.

Innenministerin Priti Patel bezeichnete die Aufnahmen des Polizeieinsatzes als teilweise verstörend. Sie habe einen «vollständigen Bericht» von Scotland Yard dazu angefordert.

Bei der Bewegung «Reclaim these Streets» gingen unterdessen bis Sonntagfrüh knapp 500.000 Pfund (rund 582.000 Euro) an Spenden ein. Ursprünglich sollten damit Strafen bezahlt werden, mit denen die Veranstalterinnen hätten rechnen müssen, wenn sie die Mahnwache wie geplant durchgeführt hätten.

Jamie Klingler, eine der Organisatorinnen von «Reclaim these Streets» sagte der britischen Nachrichtenagentur PA, es fühle sich an, wie im Zentrum einer Flutwelle zu stehen, bei der die halbe Bevölkerung (an die Männer gerichtet) sage: «Das ist euer Problem, ihr müsst es in den Griff bekommen, und zwar jetzt, wir werden es nicht länger hinnehmen.»

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