In Stuttgart haben heute mehr als 10'000 Menschen an einer «Querdenker»-Bewegung teilgenommen. Am Rande kam es zu Gewalt – wohl auch gegen Journalisten.
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«Wir müssen die Liveschaltung leider abbrechen»: ARD-Journalist musste vor Steinewerfern aus dem Feld der Querdenker-Demonstration fliehen. - Twitter/Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Mehr als 10'000 Menschen demonstrieren in Stuttgart gegen die Corona-Regeln.
  • Dabei werden die gültigen Corona-Regeln kaum eingehalten.
  • Ein Journalist muss eine Liveschaltung vor Ort wegen Steinwürfen abbrechen.

Über 10'000 Menschen haben sich am Samstag in Stuttgart versammelt, um gegen die aktuellen Corona-Regeln zu demonstrieren. Die gültigen Hygieneregeln wurden dabei nicht eingehalten. Die meisten Teilnehmer der «Querdenker»-Bewegung hatten keine Masken auf. Auch die Abstände seien nicht eingehalten worden, meinte ein Polizeisprecher.

Gewalt gegen Journalisten

Bis auf einige Ausnahmen sei es friedlich geblieben, sagt ein Sprecher. Auf etwas anderes deutet eine Liveschaltung des ARD-Journalisten Thomas Denzel hin. Dieser sah sich mit Steinwürfen konfrontiert und entschied sich deshalb die Liveschaltung abzubrechen, um sich in Sicherheit zu bringen.

«Der Polizei liegt ein Video vor, wonach mutmasslich ein Journalist offenbar von einem Aufzugsteilnehmer geschlagen wurde. Die Ermittlungen hierzu dauern an», hiess es ausserdem in einer Mitteilung. Es scheint also, dass es erneut Gewalt gegen Journalisten, die vor Ort berichteten, gab.

Eine Sprecherin der Polizei sagte am Abend, die Beamten ermittelten noch, welche Angriffe es auf Medienvertreter gegeben habe. Der Deutsche Journalisten-Verband DJV verurteilte die Angriffe. Der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall erklärte, wieder einmal hätten die selbsternannten Querdenker keine Hemmungen, Berichterstatter als Ziel ihrer Wut anzugreifen. «Wütend macht mich die offensichtliche Untätigkeit der Polizeibeamten, die nichts für den Schutz unserer Kolleginnen und Kollegen unternehmen.»

Der Verband wolle wissen, warum Journalisten nicht ausreichend geschützt würden. «Was muss eigentlich noch passieren, bis die Sicherheitskräfte erkennen, dass Journalistinnen und Journalisten in Deutschland nicht mehr frei berichten können?»

Einsatzkräfte griffen kaum ein

Bei der «Querdenker»-Demonstration waren hunderte Beamte im Einsatz. Diese schritten wegen der Verstösse gegen die Corona-Regeln aber kaum ein. Das rief viel Kritik hervor.

Uwe Lahl vom baden-württembergischen Gesundheitsministerium etwa sagte: «Ich verstehe nicht, dass die Stadt sich sehenden Auges in diese Situation manövriert hat.» Sowohl schriftlich als auch in einem Telefonat habe er dem Stuttgarter Ordnungsbürgermeister die Möglichkeiten aufgezeigt, die die Corona-Verordnung hergebe.

Querdenker-Demo Stuttgart coronavirus
Die Teilnehmer bei der «Querdenker»-Bewegung in Stuttgart trugen grösstenteils keine Masken und hielten auch keinen Mindestabstand ein. - Keystone

Die Stadt habe sich dann gegen ein Verbot entschieden. «Das war aus infektiologischer Sicht in dieser Phase der Pandemie falsch», sagte Lahl. Während sich über Ostern nur fünf Menschen aus zwei Haushalten treffen dürften, zögen Tausende Demonstranten durch die Stadt. «Das Demonstrationsrecht ist ein hohes Gut, aber in einer Pandemie gibt es auch dafür Grenzen», sagte Lahl.

Corona-Verordnung schränkt Versammlungen nicht ein

Der Sprecher der Stadt Stuttgart, Sven Matis, erklärte, man habe sich an die geltende Corona-Verordnung des Landes gehalten. Diese schränkt das Grundrecht auf Versammlungen während der Pandemie nicht ein. «Das war unser Gradmesser», so Matis.

Das Konzept von Stadt und Polizei sei gewesen, dass sich alle Demo-Teilnehmer am Ende auf dem Cannstatter Wasen sammeln. Dadurch würden sie nicht unkontrolliert durch Stuttgart ziehen, erläuterte Matis. Die Stadt hatte im Falle von Verstössen gegen die Maskenpflicht und die vorgeschriebenen Abstände angekündigt, Versammlungen aufzulösen.

Schwierige Situation für Polizei

Der Stuttgarter Polizeisprecher Stefan Keilbach sagte: «Das ist keine befriedigende Situation für uns als Polizei.» Auf der einen Seite stehe die Versammlungsfreiheit, auf der anderen der Infektionsschutz. Damit sich nicht noch mehr Menschen auf dem Gelände drängten, seien die Beamten nicht eingeschritten.

Querdenker-Demo Stuttgart
Die Polizei versuchte die «Querdenker»-Demo in Stuttgart soweit wie möglich im Zaum zu halten. Aktiv eingegriffen hat die Polizei aber eigentlich nicht. - Keystone

Die Polizei war seit dem Vormittag mit Hunderten Kräften an verschiedenen Orten in der Innenstadt im Einsatz. Während des Aufzuges gab es erhebliche Verkehrsbehinderungen.

Polizei hatte Hooligans gestoppt

«Querdenken»-Gründer Michael Ballweg teilte mit, dass aus einer zuverlässigen, anonymen Zuschrift hervorgehe, dass 100 gewaltbereite Hooligans versuchen, sich einzuschleusen. Nach Angaben der Polizei wurden am Mittag vor dem Rathaus 20 Menschen, die mutmasslich dem Rockermilieu angehören, kontrolliert. Es seien Quarzhandschuhe, pyrotechnische Gegenstände und Sturmhauben beschlagnahmt worden. Dabei sei eine Polizeibeamtin leicht verletzt worden.

Wenig später sei ein pyrotechnischer Gegenstand in einen Aufzug geworfen worden, wobei niemand verletzt worden sei, teilte die Polizei mit. Ein Tatverdächtiger sei kontrolliert worden.

Deutlich mehr Teilnehmer als erwartet

Die Behörden waren zunächst von 2500 Teilnehmern in Stuttgart-Bad Cannstatt ausgegangen, die Anmelder von 6000. Die Sieben-Tage-Inzidenz in Stuttgart pendelt seit Tagen um einen Wert von 100 Neuinfektionen je 100 000 Einwohnern binnen einer Woche.

Coronademo
Weltweit gibt es immer wieder Demonstrationen gegen die jeweiligen Corona-Massnahmen. - Keystone

Auf die Frage, ob Menschen, die auf dem Weg zum Wasen waren, Masken trugen, sagte Sprecher Keilbach: «Ich sehe hier 20 Leute mit Masken, und das sind Polizisten.» Polizeihubschrauber waren zur Dokumentation des Geschehens im Einsatz. In einem Tweet der Polizei hiess es: «Masken- und Abstandsverstösse werden von uns beweissicher dokumentiert.» Ein Fotograf der Deutschen Presse-Agentur berichtete von einer Volksfeststimmung bei den Teilnehmern.

Im vergangenen Sommer hatten auf dem Wasen bis zu 10'000 Menschen demonstriert. Zuletzt hatte am 20. März eine Demonstration in Kassel mit mehr als 20'000 Menschen für Schlagzeilen gesorgt - erlaubt waren nur 6000. Es kam zu teils gewalttätigen Auseinandersetzungen.

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