Auf der diesjährigen Biennale in Venedig ist Kunst aus der Ukraine in zwei Länderpavillons sowie in der Schau einer oligarchischen Kunstinstitution zu sehen.
Venedig
Boote fahren in Venedig auf dem Canal Grande. (Symbolbild) Foto: Felix Hörhager/dpa - sda - Keystone/dpa/Felix Hörhager

Im Kontext der abnehmenden internationalen Aufmerksamkeit für ihr Land versuchen Ukrainerinnen und Ukrainer auf der diesjährigen Biennale in Venedig mit Kunst auf die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs für die ukrainische Bevölkerung hinzuweisen. Zu sehen ist Kunst aus der Ukraine dabei gleich in zwei Länderpavillons sowie in der Schau einer oligarchischen Kunstinstitution.

Hatten die Verantwortlichen der letzten Kunstbiennale in der Hitze der ersten Kriegsmonate noch 2022 einen zentralen Platz in den Giardini einer ukrainischen Künstlerin zu Verfügung gestellt, kann zwei Jahre später von einem derartigen Sonderstatus keine Rede mehr sein. Eher im Gegenteil: Der aus Brasilien stammende Kurator der diesjährigen Hauptausstellung, Adriano Pedrosa, hat kein Faible für Kunst aus dem Osten Europas. Unter den 330 Künstlerinnen und Künstlern von «Stranieri Ovunque – Foreigners Everywhere» finden sich weder Ukrainer noch Russen.

Dass Kunst aus der Ukraine dennoch in den Giardini vertreten ist, ist daher 2024 ausschliesslich Polen zu verdanken. Der polnische Länderpavillon an diesem Biennale-Ort präsentiert ein Schlüsselprojekt der Open Group aus Lemberg: Für «Sprechen Sie mir nach II» liessen die Künstler Jurij Bilej, Pawlo Kowatsch und Anton Warga geflohene Ukrainerinnen und Ukrainer von ihnen wahrgenommene Geräusche unterschiedlicher Raketen- und Geschosstypen imitieren. Die Ausstellungsbesucher werden in dieser interaktiven Installation dabei aufgefordert, die jeweiligen Geräusche bei Karaoke nachzuahmen. Die Unterscheidung von Waffensystemen stellt für Millionen von Ukrainerinnen und Ukrainern nahezu überlebenswichtiges Wissen dar.

Installation der Künstlerin Kateryna Butschazka

Durch einen ähnlichen Fokus zeichnet sich aber auch der bescheidene, offizielle Pavillon der Ukraine im Arsenal aus. Das Kuratorenduo Wiktorija Bawykuna und Maksym Horbatskyj wählte Positionen aus, die sich mit dem Krieg im Alltag und Flucht beschäftigten. Einen völlig ungeschönten Blick auf das katastrophenartiges Hereinbrechen des Kriegs zeigen Ausschnitte aus 200 Youtube-Videos «einfacher» Bürger, die die Videokünstler Andrij Ratschynskyj und Daniil Rewkowskyj konzise montiert haben. Zu sehen und insbesondere fluchend zu hören sind mehrheitlich russischsprachige Bewohnerinnen und Bewohner der Ostukraine. Ihr Unglück hatte vor allem damit zu tun, dass sie relativ nah an der Grenze zu Russland lebten.

Kontrastiert wird dieses Video mit einer Installation der Künstlerin Kateryna Butschazka, die in Zusammenarbeit mit jungen Ukrainerinnen und Ukrainern mit eingeschränkten Möglichkeiten entstanden ist. Neben einem Video, das ein Egoshooter-Computerspiel mit eigenen Gewaltfantasien als Kontrapunkt zur Arbeit von Ratschynskyj/Rewkowskyj zeigt, konzentriert sich diese Arbeit insbesondere auf Grussformeln und Wünsche. Manch sprachliches Klischee und auch die Sprache insgesamt, so Kuratorin Bawykina zur APA, habe sich kriegsbedingt verändert.

Konstanter sind indes zunehmend wirkungsmächtige Klischees über ukrainische Migranten und Vertriebene, mit denen sich Lija und Andrij Dostlijew beschäftigen: Für ihre Videoinstallation hat das Künstlerehepaar in der EU Schauspielerinnen und Schauspieler ohne ukrainischen Hintergrund engagiert und sie als nur bedingt sympathische Menschen aus der Ukraine inszeniert: Zu sehen ist etwa ein «typischer» Ukrainer, der in der Landwirtschaft arbeitet und sein Äusseres dabei vernachlässigt.

Schlafende und potenziell traumatisierte Kinder

Als deutlich umfangreicher als diese beiden staatlichen Präsentationen erweist sich auch auf der Biennale von 2024 eine Ausstellung des oligarchischen PinchukArtCentre aus Kiew, das erneut keine Kosten gescheut und für «Aus der Ukraine: Wage zu träumen» einen prächtigen Palast am Canal Grande angemietet hat. Auf drei Stockwerken zeigt diese wichtigste private finanzierte Kunstinstitution der Ukraine im Biennale-Begleitprogramm Vertreterinnen und Vertreter der jüngeren Szene des Landes und ergänzt sie mit namhaften internationalen Künstlern aus ihrem Pool an Werken.

Mit raren Ausnahmen, etwa den von biblischen Motiven ausgehenden Wandmalereien – die in Wien lebende Künstlerin Kateryna Lyssowenko will sichtlich eine heile, heilige Welt erschaffen – wählten die Kuratoren Björn Geldhof und Ksenija Malych eher Albträume aus. So zeigen die Videokünstler Roman Chimej und Jarema Malaschtschuk in einer neuen Videoarbeit schlafende und potenziell traumatisierte Kinder: Sie waren jeweils 2022 nach Russland entführt worden und konnten erst nach intensiven internationalen Bemühungen wieder in ihre Heimat zurückkehren.

Eindrucksvoll bringt indes Nikolaj Karabinowytsch ein abnehmendes Interesse an der und Solidarität mit der Ukraine im Westen zum Ausdruck: Der Künstler zeigt banale Videoaufnahmen aus westeuropäischen Städten, in denen die ukrainischen Nationalfarben Gelb und Blau langsam verschwinden und sich alles in Grau verwandelt.

Als Verweis auf die Rolle der russischen Kultur für die Rechtfertigung des Angriffskriegs will indes Schanna Kadyrowa ihre Skulptur verstanden wissen: Die Bildhauerin ergänzte die Pfeifen einer Orgel mit eingesammelten Resten von russischen Geschossen. An den Eröffnungstagen der Biennale bespielt ein Organist das Instrument, das seinen Klang erstaunlicherweise nur marginal verändert hat.

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