Die Morde von Halle waren rechtsextremistischer Terror - das steht für die Bundesanwaltschaft und die Justizministerin fest. Wie viel schlimmer der Angriff auf die Synagoge noch hätte werden können, zeigt sich am Fund von vier Kilo Sprengstoff im Auto des Attentäters.
Das Videostandbild zeigt die Schüsse von Halle. Foto: ATV-Studio/AP/dpa
Das Videostandbild zeigt die Schüsse von Halle. Foto: ATV-Studio/AP/dpa - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Generalbundesanwalt Peter Frank hat die Tat von Halle als Terror bezeichnet.

«Was wir gestern erlebt haben, war Terror», sagte er am Donnerstag in Karlsruhe. Der Täter habe sich zum Ziel gesetzt, in der Synagoge ein Massaker anzurichten.

Im Auto des mutmasslichen Täters von Halle wurden nach Angaben des Generalbundesanwalts insgesamt vier Kilo Sprengstoff in zahlreichen Sprengvorrichtungen sichergestellt. Dem mutmasslichen Täter Stephan B. werde zweifacher Mord und versuchter Mord in neun Fällen vorgeworfen, sagte Frank.

Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) bezeichnete die Tat von Halle als «rechtsextremistischen Terroranschlag» eines Einzeltäters. Der Schütze habe aus antisemitischen und rechtsextremistischen Gründen gehandelt, sagte sie in Karlsruhe.

Nach dem Angriff des Rechtsextremisten auf die Synagoge arbeiten die Ermittler an einem möglichst kompletten Bild der Tathintergründe. Die Wohnung des mutmasslichen Täters, eines 27-Jährigen Deutschen, sei durchsucht und Beweismittel sichergestellt worden, sagte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft. Es werde geprüft, ob es Mittäter gegeben habe.

Das im Internet aufgetauchte Bekennervideo und ein «Manifest» des mutmasslichen Täters sind nach dpa-Informationen authentisch. Die Bundesanwaltschaft will noch heute beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs Antrag auf Erlass eines Haftbefehls gegen den mutmasslichen Attentäter von Halle stellen.

Bei dem hat der Täter selbstgebaute Waffen benutzt. Dies erfuhr die dpa am Donnerstag aus Sicherheitskreisen. Die Waffen waren demnach nicht richtig zusammengesetzt, weswegen es Ladehemmungen gegeben habe. Es werde noch geprüft, ob sich der Täter Waffen aus dem Darknet - einem nicht öffentlich einsehbaren Bereich im Internet - beschafft habe.

Nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft hat die Tat ein rechtsextremistisches und antisemitisches Motiv. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sprach von einer «neuen Qualität des Rechtsextremismus in Deutschland». Er beobachte eine politische Entwicklung, die Rechtsextremismus fördere, sagte Schuster dem Deutschlandfunk.

Zuvor hatte Schuster schwere Vorwürfe gegen die Polizei erhoben: «Dass die Synagoge in Halle an einem Feiertag wie Jom Kippur nicht durch die Polizei geschützt war, ist skandalös.»

Die CSU gibt der AfD eine Mitverantwortung an der Tat. «Das eine sind diese schrecklichen Gewalttäter, vor denen wir uns schützen müssen, das andere sind auch die geistigen Brandstifter, da sind in letzter Zeit auch einige Vertreter der AfD in unverschämter Weise aufgefallen», sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann im Interview mit dem Sender Bayern 2 des Bayerischen Rundfunks.

Namentlich nannte Herrmann in diesem Zusammenhang den Thüringer AfD-Spitzenpolitiker, Björn Höcke: «Höcke ist einer der geistigen Brandstifter, wenn es darum geht, wieder mehr Antisemitismus in unserem Land zu verbreiten. Darüber müssen wir jetzt die politische Auseinandersetzung konsequent führen.»

Die AfD wehrte sich gegen die Vorwürfe. «Wer dieses entsetzliche Verbrechen missbraucht, um die politische Konkurrenz mit haltlosen Diffamierungen zu verleumden, der spaltet die Gesellschaft und schwächt das demokratische Fundament, auf dem wir stehen», erklärte die Fraktionschefin Alice Weidel am Donnerstag.

Der mutmassliche Attentäter wurde nach Informationen aus Sicherheitskreisen in zwei Krankenhäusern behandelt. Er habe Schussverletzungen am Hals, hiess es. Die Nacht habe er in einer Klinik in Weissenfels in Sachsen-Anhalt verbracht. Am Donnerstag sei er dann für eine Operation in eine Klinik in Halle gebracht worden.

Stephan B. war am Mittwoch festgenommen worden. Er hatte nach Angaben aus Sicherheitskreisen gegen Mittag versucht, die Synagoge mit Waffengewalt zu stürmen. Mehr als 50 Menschen hielten sich zu dem Zeitpunkt in dem Gotteshaus auf und feierten das wichtigste jüdische Fest, Jom Kippur.

Nachdem es ihm nicht gelang, in das Gotteshaus einzudringen, soll er vor der Synagoge und danach in einem nahen Döner-Imbiss zwei Menschen erschossen haben. Ausserdem soll er mindestens zwei weitere Menschen verletzt haben. B. soll die Tat gefilmt und per Helmkamera live ins Internet übertragen haben, bevor er vom Tatort floh.

Nach noch unbestätigten Medienberichten war der Täter nach den Schüssen in Halle mit dem Auto ins etwa 15 Kilometer entfernte Landsberg geflüchtet, hatte dort in einer Autowerkstatt mehrere Menschen bedroht und sich ein neues Fluchtauto besorgt. Ein Mitarbeiter in der Garage wollte sich nicht zu den Vorfällen äussern, weil er Zeuge sei. Das mutmassliche Täter-Auto wurde am Donnerstagmorgen nach Informationen eines dpa-Reporters abgeschleppt.

Mit dem neuen Auto baute der Täter den unbestätigten Berichten zufolge einen Unfall und wurde schliesslich an der B91 südlich von Halle festgenommen. Ungeklärt ist bislang unter anderem die Identität der beiden Todesopfer und der Verletzten.

Das PDF-Dokument zum Bekennerschreiben zeigt nach Angaben einer Expertin Bilder von Waffen und enthält einen Verweis auf das Live-Video, das von der Tat verbreitet worden sei, schrieb Rita Katz, Leiterin der auf die Beobachtung von Extremisten spezialisierten Site Intelligence Group, auf Twitter.

In dem Text wird laut Katz das Ziel genannt, «so viele Anti-Weisse zu töten wie möglich, vorzugsweise Juden». Das Dokument sei anscheinend am 1. Oktober angelegt worden und gebe Hinweise darauf, wie viel Planung und Vorbereitung der Täter in die Attacke gesteckt habe.

Das Bekennervideo wurde nach Angaben der Streaming-Plattform Twitch von rund 2200 Menschen angesehen, bevor es dann nach 30 Minuten gelöscht wurde. Über den vor etwa zwei Monaten erstellten Account sei zuvor nur einmal etwas veröffentlicht worden.

Eine noch höhere Opferzahl wurde möglicherweise von Defekten an mindestens einer Waffe des Täters verhindert. In dem angeblichen Tatvideo ist zu sehen, wie in mindestens zwei Fällen Ladehemmungen das Leben von Menschen zu retten scheinen. Der Täter setzte eine vermutlich im Selbstbau hergestellte Langwaffe, eine Pistole und Sprengsätze ein.

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Halle, Max Privorozki, kritisierte die Polizei. «Bei uns gibt es nie Polizeikontrollen», sagte. Nicht einmal bei der Chanukka-Feier, dem Jüdischen Lichterfest, mit mehreren hundert Menschen gebe es Polizei, «obwohl ich bitte, dass sie kommen.» Anders als beispielsweise in Berlin und München sei die Polizei nicht vor der Synagoge präsent.

Bundespräsident Steinmeier will das jüdische Gotteshaus in Halle besuchen. Geplant ist auch ein Treffen mit Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), wie das Bundespräsidialamt mitteilte. Um 13.30 Uhr wird auch Seehofer an der Synagoge erwartet. Er will um 15.00 Uhr auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Schuster und Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) über die Erkenntnisse informieren.

Nach Einschätzung von Extremismusforscher Matthias Quent wollte der Täter offenkundig eine international verbreitete, rechte Internet-Subkultur erreichen. «Er spricht Englisch, und er greift Verschwörungstheorien auf, zum Beispiel über die angeblich zerstörerische Macht des Judentums. Er äussert sich auch abwertend über Feminismus», sagte Quent der Deutschen Presse-Agentur.

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