Die katholische Kirche bemühte sich zu Beginn der Krise in Nicaragua um einen Dialog – ohne Erfolg. Seither gerät sie immer mehr ins Visier der Regierung.
Pater Edwin Román steht in der Kirche San Miguel.
Pater Edwin Román steht in der Kirche San Miguel. - dpa
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Das Wichtigste in Kürze

  • Seit April protestieren Hunderte Nicaraguaner gegen die Regierung.
  • Die katholische Kirche versuchte sich bereits als Vermittler – jedoch ohne Erfolg.

Die Gemeindemitglieder in der Kirche San Miguel halten den Atem an, als eine Silhouette in der Tür erscheint. Dann brandet Beifall auf. Manche haben Tränen in den Augen, als Pater Edwin Román in die Kirche in der nicaraguanischen Stadt Masaya tritt. Er ist wieder da. Mehrere Wochen lang konnte der 58-Jährige keine Messen halten – bewaffnete Schlägertrupps hatten ihn daran gehindert. Die weisse Wand hinter ihm ist von Kugeln durchlöchert. Die Regierung des mittelamerikanischen Landes hat die katholische Kirche zum Feind erklärt.

«Wir leben in Zeiten, in denen der soziale Frieden gebrochen wurde», sagt Pater Román. «Aber wir dürfen niemals die Hoffnung verlieren. Um welche Wunder bittet ihr?», fragt der Geistliche mit ruhiger Stimme. «Dass es Frieden gibt in Nicaragua», antwortet eine Frau. «Frieden und Gerechtigkeit», sagt eine andere. «Für die, die gerade gefoltert werden», fügt ein Gemeindemitglied hinzu.

Vom Vermittler zum Feind

Pater Román macht aus seinem Widerstand gegen die Regierung des autoritären Präsidenten Daniel Ortega keinen Hehl. Die Fürbitten gelten den entführten Jugendlichen, Inhaftierten und allen, die unter der Unterdrückung leiden. Am Ende des Gottesdienstes wird der Priester umarmt und geherzt. Er ist wieder da.

Pater Román wird in der Kirche San Miguel von Gemeindemitgliedern nach dem Gottesdienst umarmt.
Pater Román wird in der Kirche San Miguel von Gemeindemitgliedern nach dem Gottesdienst umarmt. - dpa

Vor einem Monat flüchtete der 58-Jährige wegen Morddrohungen in die Hauptstadt Managua. Sonntags kam er zurück in das rund 30 Kilometer entfernte Masaya, um dort die Messe zu halten – zweimal stellten sich ihm Paramilitärs in den Weg und verwehrten ihm den Zutritt zur Stadt.

Román hat sein Land noch nie in einem solchen Zustand erlebt. Mehr als 450 Menschen sind seit Ausbruch der politischen Krise Mitte April nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen ums Leben gekommen. In dem Konflikt stehen sich Regierung und zivile Opposition gegenüber. Alles begann mit einer geplanten Sozialreform, die später zwar zurückgezogen wurde. Doch seit Demonstranten von regierungsnahen Gruppen angegriffen wurden, eskaliert die Lage immer weiter.

Kirche als Rebellin?

Die katholische Kirche und der Glaube spielen in Nicaragua eine grosse Rolle. 56 Prozent der rund 6,3 Millionen Einwohner sind katholisch, rund 34 Prozent gehören protestantischen Religionsgemeinschaften an. Als das Chaos ausbrach, versuchte die Bischofskonferenz Managuas zu vermitteln. Zweimal lud sie die Regierung und Vertreter der zivilen Opposition zu einem Friedensdialog ein. Zweimal scheiterten die Gespräche.

Die Kirche fördere die Gewalt zwischen den Menschen, berichtete die Staatsplattform «El 19 Digital». Sie habe eine Rechnung mit Ortega zu begleichen und wolle den Präsidenten loswerden. Der Einfluss der erzkonservativen Kirchenführung störte die Regierung bereits in den 80er Jahren. Schon damals warf sie der Kirche vor, Gläubige gegen den Staat aufzuhetzen.

Nicaragua
Der Präsident von Nicaragua Daniel Ortega spricht an einer Gedenkfeier. - keystone

Zum 39. Jahrestag der Revolution gegen die Somoza-Diktatur im Juli erklärte Ortega, die Kirche sei Teil eines Putschplans. «Ich dachte, sie wären Vermittler, aber sie sind den Putschisten verpflichtet.» Gewalt gegen Geistliche gebe es nicht, sagte der 72-Jährige. «Es gibt keinen einzigen Priester, der sagt, dass er verfolgt wird.» Auch zwei Tote bei einem Angriff auf eine Kirche in Managua, in der Demonstranten Zuflucht fanden, seien erfunden.

«Ortega muss verschwinden»

Die Lage für Pater Román änderte sich dramatisch in einer Nacht im Mai. Die Bereitschaftspolizei stürmte Masaya. Stundenlang verteilte er Brot und Wasser aus einem Schlauch an Demonstranten, die vor den Tränengasbomben der Polizei und Paramilitärs in seine Kirche flüchteten. Auf der Strasse wurde bis in die Morgenstunden geschossen – dann errichteten die Bewohner Masayas erste Barrikaden.

Die Stadt wollte sich nicht ergeben. Nachdem die Regierung den verletzten Demonstranten medizinische Behandlung im Krankenhaus verwehren liess, wurde die Kirche Románs erst zur Klinik – dann auch noch zum Lebensmittellager, Anlaufstelle für Beschwerden und später zum Leichenschauhaus. Menschen spendeten Essen, Wasser und Särge.

Am 17. Juli fiel Masaya den regierungsnahen Gruppen in die Hände. Präsident Ortega sprach von einem Sieg über einen terroristischen Putsch. Polizei und Paramilitärs suchten nach dem Pater. «Heutzutage in Nicaragua ein Priester zu sein, bedeutet, ein Feind zu sein. Für die Regierung sind wir gefährlich, weil wir die Wahrheit sagen», so Román. Nicaragua warte auf ein Wunder – «dass Daniel Ortega endlich verschwindet».

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