Trichotillomanie: Wenn das Zupfen an den Haaren zur Qual wird

Janine Karrasch
Janine Karrasch

Stellen Sie sich vor, Sie können nicht aufhören, sich die Haare auszuzupfen. Das ist kein nervöser Tick, sondern eine ernsthafte Erkrankung: Trichotillomanie.

junge frau reisst haare aus
Trichtotillomanie, das krankhafte Herausreissen der eigenen Haare, fällt unter die Kategorie der Zwangsstörungen. - Depositphotos

Es beginnt mit einem unkontrollierbaren Kribbeln unter der Haut, einem Flüstern im Hinterkopf, das lauter wird, bis Sie buchstäblich Hand anlegen: Menschen mit Trichotillomanie leiden unter dem Druck, sich Haarsträhnen herausreissen zu «müssen».

Zwischen Terminen, Gesprächen und Alltagspflichten wird das Ritual zum heimlichen Begleiter: Die Fingerspitzen suchen tastend nach dem Haaransatz, während innere Anspannung und Scham einen Teufelskreis aus Schuld und Erleichterung antreiben.

Narben auf der Kopfhaut, leere Stellen im Spiegelbild – die sichtbaren Spuren sind nur die Hälfte der Wahrheit. Denn der eigentliche Schmerz sitzt tiefer: in dem Wissen, dass der eigene Körper zum Schlachtfeld wird, und das «selbstverschuldet».

4 Prozent der Bevölkerung betroffen

Schätzungsweise leiden 3 bis 4 Prozent der Menschen unter Trichotillomanie. Die Krankheit beginnt meist vor dem 17. Lebensjahr – am häufigsten tritt sie im Alter von etwa 12 bis 13 Jahren auf.

braune haare
Besonders Mädchen und Frauen sind betroffen. - Depositphotos

Frauen scheinen vier bis neun Mal häufiger betroffen zu sein als Männer, wobei diese Zahl auch damit erklärt werden könnte, dass Frauen tendenziell eher Hilfe suchen und damit sichtbarer sind. Insgesamt gehen viele Betroffene, einschliesslich Frauen, anderen Menschen jedoch eher aus dem Weg und zeigen auch ein vergleichsweise geringes Selbstwertgefühl.

Die Ursachen des Haareausreissens sind vielfältig und reichen von genetischen Faktoren bis hin zu Langeweile, Stress und emotionalen Belastungen. Häufig ist das Haareausreissen ein Versuch vonseiten der Betriffenen, auf diesem Weg Spannungen abzubauen oder unangenehme Gefühle zu regulieren.

Freie Stellen auf dem Kopf und die Folgeerscheinungen

Das auffälligste Symptom bei Trichotillomanie ist die geringe Haardichte bis freie Hautstellen aufgrund wiederholten Zupfens. Am häufigsten sind Kopfhaut, Augenbrauen und Wimpern betroffen, doch prinzipiell ist kein Haar vor dem Zupfdrang gefeit.

Die sichtbaren Lücken im Haar und Narbenbildung können zu sozialer Isolation führen und das psychische Wohlbefinden weiter verschlechtern. Depression und Angstzustände sind dann häufig die Konsequenz, oft geht die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit damit noch einher.

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Folgeerkrankungen wie Depressionen oder Border-Line-Störungen sind möglich. - Depositphotos

Einige Betroffene essen sogar die eigenen Haare – abgesehen davon, dass diese Vorstellung abschreckend klingt, führen die Haare im Verdauungssystem zu schmerzhafter Verstopfung.

Erkennen ist der erste Schritt

Zur Diagnosestellung gehört neben einer körperlichen Untersuchung auch eine psychiatrische Evaluation durch einen Therapeuten oder Psychiater. Dann bestätigt der Mediziner, dass der Betroffene seine Haare bewusst herauszieht, gleichzeitig aber darunter leidet.

Oft genug kommt es jedoch zu Fehldiagnosen, weil Trichotillomanie eine seltene und oft missverstandene Erkrankung. So werden den Patienten gerne auch andere Störungen wie Angstzustände oder körperdysmorphe Störungen zugeschrieben.

Behandlungsmöglichkeiten

Die Behandlung von Trichotillomanie zielt darauf ab, das Zupfverhalten zu reduzieren. Dabei kommen sowohl Verhaltenstherapie als auch Medikamente zum Einsatz.

Bei Kindern unter sechs Jahren verschwindet die Krankheit manchmal sogar ohne Therapie. Zwar gibt es noch keine speziell für Trichotillomanie zugelassenen Medikamente, doch einige Mittel, die bei anderen psychischen Erkrankungen helfen, können auch hier Linderung bringen.

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Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs), die bei Depressionen verschrieben werden, helfen auch bei Trichotillomanie. - Depositphotos

Auch Achtsamkeitstechniken und Stressmanagement erleichtern den Umgang mit der Störung. Unterstützung durch Selbsthilfegruppen oder Beratungsstellen motiviert zusätzlich und verringert das Gefühl der Isolation.

Offenes Sprechen statt versteckter Stigmata

Der Weg zur Besserung erfordert Geduld, Selbstmitgefühl und mehr noch als Medizin, professionelle Begleitung.

Wichtig ist, die Stigmata rund um psychische Erkrankungen zu reduzieren und stattdessen Verständnis zu fördern, also auch offen über Trichotillomanie zu sprechen.

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In Selbsthilfegruppen finden Betroffene oft neuen Mut. - Depositphotos

Mit der richtigen Hilfe können Menschen mit Trichotillomanie ein erfülltes und selbstbestimmtes Leben führen. Der erste Schritt ist oft der schwerste, doch er lohnt sich – für mehr Lebensqualität und Wohlbefinden.

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