Wer mit der berühmten Berninabahn unterwegs ist, sollte unbedingt in Poschiavo aussteigen: Neugierige Reisende werden hier mit architektonischen Meisterwerken, geschichtlichen Besonderheiten und kulinarischen Höhepunkten belohnt.
Blick auf Poschiavo, mitten in der prächtigen Südbündner Natur gelegen.
Blick auf Poschiavo, mitten in der prächtigen Südbündner Natur gelegen.
Poschiavos elegante Palazzi aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Poschiavos elegante Palazzi aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Der Dorfkern Poschiavos mit dem geschichtsträchtigen Hotel Albrici.
Der Dorfkern Poschiavos mit dem geschichtsträchtigen Hotel Albrici.

Natürlich ist schon die Bahn allein eine Reise wert; nicht ohne Grund wurde der Bernina Express der Rhätischen Bahn ins Unesco-Verzeichnis des Welterbes aufgenommen. Er führt aus dem Oberengadin hinauf auf die Bernina und dann hinunter ins lombardische Tirano, «von den Gletschern zu den Palmen», wie es im zutreffenden Werbeslogan heisst. Der Reisende fährt, womöglich im Panoramawagen, ab St. Moritz vorbei an Pontresina und am Morteratschgletscher, der weit oben am Berg gleisst. Weiter geht es über Brücken und Viadukte, entlang den Bergflanken der mächtigen Massive des Piz Bernina und des Piz Palü, vorbei an kleinen Seen, stotzigen Feldern und Dörfern.

Durch Galerien und Tunnel schlängelt sich der Zug in die Valposchiavo hinunter, ins Puschlav. In Poschiavo, dem Hauptort des Tals, sollte man unbedingt aussteigen und ein paar Tage bleiben. Das Unerwartete in diesem Ort, der sich selbst - stark untertreibend – «Borgo» oder «Dorf» nennt, ist eine pittoreske kleine Altstadt mit Häusern aus dem 16. bis 19. Jahrhundert. Das Ensemble gilt als Ortsbild von nationaler Bedeutung und wirkt fast zu kosmopolitisch in diesem landwirtschaftlich geprägten Tal. Um die Plazza da Cumün, den Dorfplatz, gruppieren sich die gotische Kirche San Vittore mit einem romanischen Turm, das alte Frauenkloster mit einer barocken Kapelle, das Oratorium Sant’Anna mit Beinhaus und das Rathaus mit einem ehemaligen Wehrturm. Der Turm birgt düstere Geschichten, wie uns Kasper Howald, Direktor von Valposchiavo Turismo, verrät. Hier wurden ab dem 15. Jahrhundert bis 1750 die berüchtigten Hexenprozesse geführt, von denen 124 dokumentarisch belegt sind – und das in einem Tal mit damals wie heute rund 3500 Einwohnern.

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Das Wichtigste in Kürze

  • Poschiavo, Hauptort des Bündner Südtals Puschlav, bietet nebst pittoresker Altstadt eine breite historische Vielfalt.
  • Das prämierte Projekt «100% Valposchiavo» macht den Wert der lokalen Produkte den Gästen und Konsumenten schmackhaft.

Goethe und die Illuminati

Eine besonders gute Sicht den Turm hat man vom Hotel Albrici aus. Es wurde 1682 von Bürgermeister Bernardo Massella als luxuriöses Wohnhaus an den Dorfplatz gestellt und 1848 zum ersten Hotel des Ortes umfunktioniert, nachdem es schon als Zentrum für die Anhänger des Illuminati-Ordens gedient hatte. Im Palazzo war zudem eine Druckerei installiert worden, die 1782 die erste italienische Übersetzung von Goethes «Werther» herausgab. Die zehn Gästezimmer sind geglückte Synthesen von modernem Komfort und antiken Möbeln, und der Rest des Hauses wirkt wie ein urgemütliches Museum. Ein Aufenthalt hier wird zum Erlebnis, zumal auch die Küche hohen Ansprüchen genügt.

Noch kosmopolitischer als der Dorfkern wirkt das sogenannte Spaniolenviertel am südlichen Dorfrand, eine intakte Zeile eleganter Palazzi aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit grossen Gärten. Erbaut hatten sie Puschlaver, die einst mausarm ausgewandert waren und in der Ferne ihr Glück gemacht hatten, und die, zurück in der Heimat, stolz ihren neuen Reichtum zur Schau stellten.

Hundertprozentig lokal

Kasper Howald weiss noch mehr zu erzählen als von der alten Bausubstanz. Er ist massgeblich am mehrfach ausgezeichneten Projekt «100% Valposchiavo» beteiligt. Innovative Landwirte nutzen die Geografie dieses südlichen Bündner Tals und sein spezifisches Klima, um eine breite Palette erstklassiger Agrarprodukte zu erzeugen: von Wurst und Fleisch, Milch und Käse über Tee und Kräuter bis zu Obst, Gemüse, Getreide und Wein. Von Bio-Suisse zertifizierte Betriebe machen fast 90 Prozent der Landwirtschaftsfläche aus – ein Weltrekord. Zu den Vertretern dieser naturnahen Landwirtschaft gehört Reto Raselli aus Le Prese, der schon 1981 mit der Produktion von Medizinalkräutern begann. Mit Erfolg: Ricola-Bonbons etwa setzen auf die hochwertigen Kräuter aus dem Puschlav.

Tourismusorganisation, Bauern- und Gewerbeverbände haben «100% Valposchiavo» 2015 gemeinsam lanciert, um den Wert der lokalen Produkte zu unterstreichen und diese für Gäste und Konsumenten schmackhaft zu machen. Auch ein gutes Dutzend Gastbetriebe im Tal verpflichten sich, lokalen Spezialitäten einen bevorzugten Platz einzuräumen: Mindestens drei Gerichte auf der Menükarte müssen aus Zutaten bestehen, die im Tal angebaut und verarbeitet werden. Das Projekt passt zur Initiative das Puschlav, sich als authentisch gebliebenes Tal für den behutsamen Tourismus zu positionieren.

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