Was tun gegen die Einsamkeit im Alter?
Jede vierte Person über 55 fühlt sich einsam. Sozialarbeiterin Mandana Trucco erklärt, warum ältere Menschen oft unsichtbar werden – und was ihnen Halt gibt.

Das Wichtigste in Kürze
- Einsamkeit trifft viele ältere Menschen – oft unbemerkt.
- Mandana Trucco von der Kirchgemeinde Bern-Nord, erklärt, warum Betagte sich zurückziehen.
- Die Sozialarbeiterin zeigt, wie schon kleine Gesten im Alltag grosse Wirkung haben können.
BärnerBär: Mandana Trucco, wie zeigt sich Einsamkeit bei älteren Menschen?
Mandana Trucco: Sehr leise. Viele ziehen sich zurück, bleiben in ihrer Wohnung und gehen nur noch für das Nötigste hinaus. Kontakte brechen weg, weil Partner, Freunde oder Nachbarn sterben oder umziehen.
Manchmal merkt man die Einsamkeit erst im Gespräch – wenn jemand erwähnt, dass er tagelang mit niemandem gesprochen hat.

BärnerBär: Was bietet die Kirchgemeinde Bern-Nord, um dem entgegenzuwirken?
Trucco: Wir haben verschiedene offene Angebote: den Mittagstisch mit gemeinsamem Essen, Spaziergänge von April bis Oktober und kulturelle Nachmittagsangebote unter dem Titel «Zäme sy».
Die Anlässe kosten nichts, man muss sich nicht anmelden, und alle sind willkommen – auch Menschen ohne Kirchenbezug. Viele Teilnehmende sind über 80 und gesundheitlich eingeschränkt. Für sie sind solche Treffen wichtige Fixpunkte im Alltag.

BärnerBär: Trotzdem erreichen Sie längst nicht alle Menschen, die einsam sind.
Trucco: Genau. Die, die zu uns kommen, haben bereits einen ersten Schritt gewagt. Viele andere sind stark isoliert. Deshalb setzen wir auf Vernetzung: mit Spitex, Pro Senectute, Quartierarbeit und anderen Stellen. Sie kommen zu den Menschen nach Hause und merken, wenn jemand völlig zurückgezogen lebt. Gemeinsam versuchen wir, Wege zu finden, wie Betroffene Zugang zu Angeboten oder Beratung erhalten können.
BärnerBär: Wer ist besonders gefährdet, im Alter einsam zu werden?
Trucco: Menschen, die ihr Leben lang keinen grossen Freundeskreis hatten, psychisch Erkrankte, Menschen mit Migrationserfahrung. Und solche mit wenig finanziellen Ressourcen. Wer kaum Geld hat, verzichtet schnell auf kleine Dinge wie Kaffee trinken oder kulturelle Veranstaltungen. Das schliesst zusätzlich aus. Wichtig ist ein Freundeskreis in verschiedenen Altersstufen. Wenn alle gleich alt sind, besteht im hohen Alter die Gefahr, dass viele wegfallen.
BärnerBär: Haben Sie das Gefühl, das Thema nimmt auch in Bern zu?
Trucco: Ja, tendenziell schon. Unsere Gesellschaft wird schneller und anonymer, klassische Begegnungsorte wie Postfilialen, Dorfläden oder Beizen verschwinden. Gleichzeitig werden viele Zugänge digital: Tickets, Formulare, Bankgeschäfte. Wer da nicht mithalten kann oder will, ist rasch ausgeschlossen. In England gibt es ein schönes Beispiel: Dort verschreiben Ärztinnen und Ärzte nicht nur Medikamente, sondern auch soziale Aktivitäten. Solche Ideen bräuchte es hier viel öfter.

BärnerBär: Gibt es auch in Bern Angebote, die besonders gut funktionieren?
Trucco: Ja, solche, die niederschwellig und offen sind. Wir haben zum Beispiel im Sommer einmal im Monat «Grill & Bier»: Wir stellen den Grill auf, Tische und Stühle, und alle, die möchten, bringen etwas mit. Dort kommen auch Menschen, die sehr einsam sind und kaum Kontakte haben, aber regelmässig erscheinen. Diese einfachen Formen, in denen man einfach zusammensitzen kann, tun enorm gut – und zwar allen Generationen.
BärnerBär: Und wo sehen Sie Lücken?
Trucco: Bei der aufsuchenden Altersarbeit. Viele Besuchsdienste wurden abgebaut, weil die Situationen zu Hause immer anspruchsvoller geworden sind. Menschen bleiben heute länger zu Hause, oft mit schweren Erkrankungen. Freiwillige können das nicht mehr ohne gute Begleitung leisten. Aus meiner Sicht bräuchte es mehr Ressourcen, um Freiwillige professionell zu schulen und zu begleiten. Nur so können solche Angebote bestehen bleiben.
BärnerBär: Was können Nachbarinnen und Nachbarn tun, um Einsamkeit im Umfeld zu verhindern?
Trucco: Achtsam sein. Einsamkeit ist selten selbstverschuldet, sie kann uns alle treffen. Ein kurzer Schwatz im Treppenhaus, einmal einen Kaffee anbieten, fragen, ob man etwas mitbringen kann. Das wirkt oft stärker, als man denkt. Man muss nicht beste Freunde werden, aber zeigen: «Du wirst gesehen.» Und als Prävention würde ich sagen: Freundschaften pflegen und Beziehungen über das ganze Leben hinweg ernst nehmen. Das trägt im Alter enorm.

BärnerBär: Rund um die Weihnachtszeit ist das Thema besonders spürbar. Was erleben Sie in dieser Zeit?
Trucco: Weihnachten verstärkt bei vielen das Gefühl der Einsamkeit. Darum sind gemeinsame Rituale so wichtig: Adventsnachmittage, Konzerte, Gottesdienste, Kerzenziehen. Besonders berührend ist bei uns «Weihnachten für alle» am 24. Dezember. Letztes Jahr waren über siebzig Menschen da – Alte, Junge, Familien, Alleinstehende. Gemeinsam Weihnachten zu feiern, macht für viele einen riesigen Unterschied.
BärnerBär: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Trucco: Noch mehr niederschwellige Angebote, in denen Menschen einfach zusammen sein können. Und dass wir wieder stärker zu den Menschen hingehen können – dafür braucht es allerdings mehr Ressourcen.
Zur Person
Mandana Trucco arbeitet seit drei Jahren als Sozialarbeiterin in der Kirchgemeinde Bern-Nord im Bereich Gemeinwesen- und Quartierarbeit mit Schwerpunkt Altersarbeit. Zuvor war sie viele Jahre im Migrationsbereich tätig.








