Geistig fit bleiben, das wünschen wir uns alle. Und zwar bis ins hohe Alter. Kann man das Gehirn wie einen Muskel trainieren?
Merkfähigkeit Aufmerksamkeit trainieren
Wer seine Merkfähigkeit und Aufmerksamkeit trainieren will, kann Memory spielen, Texte über Kopf lesen oder ein Kreuzworträtsel lösen. - Christin Klose/dpa-tmn
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Das Wichtigste in Kürze

  • Das Gehirn ist ein Muskel, den kann man auf Kraft und Leistung trainieren kann.
  • Reine Gedächtnisübungen gehören dabei der Vergangenheit an.
  • Die Faustregel lautet: weniger Routine, mehr Neugier und Bewegung im und mit dem Geist.
  • Ein angeregtes Gespräch mit anderen Menschen ist laut Experten das beste Gehirntraining.

Ob Liegestütz oder Hanteltraining – wer seine Muskeln stärken will, findet schnell wirkungsvolle Übungen. Will man sein Gehirn trainieren, ist das etwas komplizierter.

«Wir verstehen nicht wirklich, was im Gehirn passiert, wenn wir eine bestimmte Gehirnleistung trainieren», sagt Professor Emrah Düzel, Experte für kognitive Neurologie und Demenzforschung. «Wir wissen im Grunde nicht mal, wo genau die Prozesse ablaufen.»

Was laut Emrah Düzel aber in aller Regel funktioniert: eine bestimmte Fertigkeit zu trainieren. Zum Beispiel, sich Telefonnummern zu merken.

Wie sich das aber auf andere Prozesse oder Teile des Gehirns auswirkt, ist noch weitgehend unklar. Die Forschung hat sich daher das Ziel gesetzt, herausfinden, was die Gehirnleistung generell trainieren könnte.

Das Gehirn zu stimulieren, kann nicht schaden

Auch wenn die Wissenschaft noch viele offene Fragen sieht: Es gibt Trainingsprogramme für das Gehirn auf den Markt – zum Teil mit vollmundigen Versprechungen. Die sieht Neurologe Düzel skeptisch.

Andererseits könne man nichts falsch machen, wenn man das Gehirn stimuliere, glaubt er. Sinnvoll kann das nach einem Schlaganfall sein, bei Konzentrationsproblemen nach einer Narkose, aber auch einfach so im Alltag.

Walnuss Gehirn Neugier stimulieren
Neugier hält den Geist wach, und das kann man stimulieren. Zum Beispiel, indem man sich fragt, wieso die Walnuss dem Gehirn ähnlich sieht. Und welche Frúchte noch mit welchen Organen Ähnlichkeiten aufweisen. - Unsplash

Und es muss gar nicht kompliziert sein. Schon vor 150 Jahren habe ein amerikanischer Arzt einem Politiker mit Gedächtnisproblemen einen Auftrag gegeben: Er sollte jeden Abend seiner Frau erzählen, wen er am Tag alles getroffen habe.

«Das hat der Mann über mehrere Jahre gemacht», sagt Düzel. Dadurch habe er sich besser erinnern können.

Warum das so war, darüber gibt es Diskussionen. «Entweder war sein Gedächtnis besser geworden», sagt Emrah Düzel, «oder er hat über die Zeit Strategien entwickelt, wie er sich auf bestimmte Inhalte konzentrieren konnte, und damit die Informationen besser wahrgenommen und gespeichert.» Letztlich sei das aber egal, solange es helfe.

Gehirntraining stärkt die Strukturen im Gehirn

«Das Kurzzeitgedächtnis kann man trainieren, das Langzeitgedächtnis nicht», sagt der Psychologe Peter Sturm, Fachmann für die Aus- und Fortbildung von Gehirn-Trainern.

Gehirntraining geht für ihn aber über reine Gedächtnisübungen – wie das Merken von Telefonnummern – hinaus. «Modernes Gehirntraining erhöht und stabilisiert die Grundfunktionen der mentalen Leistungsfähigkeit», sagt er.

Buchstabensuppe Alphabet Scrabble kreativ
Kein Scrabble zur Hand? Die Buchstabensuppe tut's auch, wenn man mit dem Alphabet kreativ werden will. - Unsplash

«Das ist der Langzeiteffekt, kurzzeitig macht uns das Training schneller und aufmerksamer.»

Zumindest bis zum Alter von 80 bis 85 Jahren sei das durch Studien belegt. Demenz werde mit Gehirntraining zwar nicht aufgehalten, aber die verbleibenden Strukturen im Gehirn würden gestärkt.

Und wie genau gelingt das? «Alles, was neu ist, weckt das Gehirn auf», sagt der Psychologe. «Sie können Dinge, die Sie im Alltag tun, einfach mal ein bisschen anders machen.»

Versuchen Sie zum Beispiel einmal, einen Text zu lesen, wenn Sie ihn falsch herum halten. Oder eine Handvoll Zeilen darauf durchgehen, wie oft der Buchstabe «n» auf ein «e» folgt. Ausserdem können Sie das Radio leiser stellen und versuchen, sich das Gesagte zusammenzureimen.

Bewegung tut dem Gehirn gut

«Das Gehirn mag keine Routine», sagt Peter Sturm. Neue Wege zu erkunden fordert heraus – auch ganz wörtlich in einer fremden Stadt oder beim Waldspaziergang.

Körper Geist Anregungen Umgebung
Sich in einer neuen Umgebung zu bewegen und zu orientieren, ist für den Körper und für den Geist gut und bietet wichtige Anregungen. - Christin Klose/dpa-tmn

Und sowieso scheint Bewegung für das Gehirn wesentlich zu sein. «Die körperliche Anstrengung, verbunden mit der Neuheit von etwas, ist ein wichtiger Reiz», sagt Neurologe Emrah Düzel.

Wichtig ist aber auch ein langer Atem. «Genau wie beim Sport bringt es nichts, zehn Tage im Fitnessstudio für jeweils fünf Stunden zu trainieren», so Düzel. «Der Körper braucht Erholungsphasen und die braucht das Gehirn auch.»

Über die Dauer der Verarbeitung und Reorganisation im Gehirn ist aber ebenfalls noch wenig bekannt.

Neugier und Kontakt mit anderen

«Wer neugierig ist, braucht im Grunde kein Gehirntraining», sagt Peter Sturm. «Gehirntraining ist eine Hilfe, wenn man im Alltag zu wenig gefordert ist.»

Das kann zum Beispiel Menschen betreffen, die länger in eine Reha müssen. Oder Ältere, die nicht mehr so mobil sind. Der Psychologe bildet auch Mitarbeiter in Reha-Kliniken und Seniorenheimen weiter.

Für ältere Menschen eignen sich Übungen mit einem grossen Blatt Papier und einem Stift gut. «Schon durch das Schreiben wird die Durchblutung des Gehirns angeregt», sagt Peter Sturm.

neugierig Gespräche Gehirntraining Menschen
Interessante Gespräche mit anderen Menschen wirken anregend und wer neugierig ist, braucht im Grunde kein Gehirntraining. - Christin Klose/dpa-tmn

Ein Beispiel: auf einem Blatt verteilt stehen viele Buchstaben, sie müssen in alphabetischer Reihenfolge durchgestrichen werden. Mit solchen einfacheren Übungen geht es los.

Danach darf es auch etwas anstrengender werden, wenn etwa eine einfache Skizze aus dem Gedächtnis nachgezeichnet wird. «Der Spass kommt mit der Übung», sagt Sturm. Er bricht ausserdem eine Lanze für gemeinsames Spielen, das könne schon ein simples Memoryspiel sein.

«Auch gegenseitiger Kontakt aktiviert das Gehirn», betont er. Letztlich ist ein interessantes Gespräch das beste Gehirntraining. «Man hört hin und reagiert auf das Gesagte. Das erfordert Kreativität, Flexibilität, Merkfähigkeit», sagt Peter Sturm.

«Und das kann man auch mit Leuten machen, die stark eingeschränkt sind. Dann stellt man halt Fragen, die sie mit Ja oder Nein beantworten können.»

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