Fluglotsen-Prozess in Bülach: Neues Gutachten - neue Zahlen
Pflichten vernachlässigt oder angemessen reagiert?

Das Bezirksgericht Bülach hat sich am Mittwoch erneut mit einem 48-jährigen Fluglotsen befasst, der wegen fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs angeklagt ist. Er soll am Flughafen Zürich einen Beinahe-Crash verursacht haben. Das Urteil wird voraussichtlich erst im März eröffnet.
Klar ist, dass sich am 22. August 2012 zwei Maschinen, ein Sportflugzeug des Typs Sportcruiser und eine Saab 2000 der Darwin Airlines, sehr nahe kamen. Die Sportmaschine flog in einem 90-Grad-Winkel direkt auf die Saab-Maschine zu. Ob das wirklich gefährlich war und wer die Schuld dafür trägt - darüber sind sich Staatsanwaltschaft und Beschuldigter allerdings nicht einig.
Der Fluglotse argumentiert, für ihn sei klar gewesen, dass die Maschinen aneinander vorbeigehen. Als er gemerkt habe, dass es vielleicht trotzdem eng werde, habe er angemessen reagiert und den Sportcruiser angewiesen, steil rechts abzudrehen.
Das Manöver verlief glimpflich, verletzt wurde niemand. Weil die Situation nichts Besonderes gewesen sei, habe er sie nicht den Behörden gemeldet, sagte der Lotse beim Prozessbeginn im September 2018. Gemeldet wurde der Vorfall schliesslich von einem der beiden Saab-Piloten, für den dies der «kritischste Moment seiner vierzig Jahre dauernden Karriere» gewesen sei. Er habe deswegen schlaflose Nächte gehabt.
Abstand war doch etwas grösser
Eine etwas andere Sicht als der Lotse hat auch die Staatsanwaltschaft, die den Schweizer mit einer bedingten Freiheitsstrafe von 14 Monaten bestrafen will. Sie wirft dem Lotsen vor, dass er seine Pflichten vernachlässigt habe.
Es sei grosses Glück gewesen, dass in beiden Maschinen erfahrene Piloten gesessen hätten. Es habe durchaus eine Gefahr für Besatzungen und Passagiere bestanden, immerhin rund 20 Personen.
Nachdem der Schlussbericht der Unfalluntersuchungsstelle Sust bereits viele Daten zum Vorfall lieferte, wurde am Mittwoch ein zusätzlicher Gutachter einvernommen. Er zeichnete die Flugwege anhand der Radardaten neu nach und kam dabei teilweise zu anderen Resultaten als der Sust-Bericht.
So war der Abstand der beiden Maschinen wahrscheinlich doch etwas grösser als im Sust-Bericht angegeben: rund 290 Meter und nicht 205 Meter. Die Situation war also etwas weniger brenzlig als ursprünglich angenommen - aber immer noch gefährlich.
Der Gutachter kam hingegen auch zur Erkenntnis, dass der Fluglotse dem Sportcruiser nicht die beste Anordnung erteilt hatte: Eine sanfte Linkskurve wäre sicherer gewesen als die schliesslich geflogene steile Rechtskurve. Diese Rechtskurve sei wegen Strömungsabrissen eine «nicht zu unterschätzende Gefahr» gewesen.
Für den Anwalt des Lotsen ist es jedoch nicht wichtig, ob die Links- oder die Rechtskurve besser war. «Ihm wird ja gar nicht vorgeworfen, dass er nicht die beste Option wählte.» Seinem Mandanten werde vorgeworfen, dass er seine Pflichten vernachlässigt und die Situation nicht früh genug erfasst habe.
Drei Fälle an Gerichten hängig
Das Bezirksgericht Bülach wird das Urteil voraussichtlich Ende März mündlich eröffnen. Gegenwärtig sind gleich drei solche Fälle an Schweizer Gerichten hängig. Keiner ist bis jetzt rechtskräftig. Alle diese Vorfälle haben gemeinsam, dass niemand zu Schaden kam.
Die Flugsicherung Skyguide kritisiert, dass ihre Mitarbeitenden neuerdings juristisch verfolgt werden, selbst wenn niemand verletzt wurde. Dies schade der Fehlerkultur und führe dazu, dass Beobachtungen nicht mehr gemeldet würden. So verliere man die Chance, Arbeitsabläufe sicherer zu machen.
Die Solidarität unter den Lotsen ist - wie immer bei solchen Prozessen - gross. Auch an diesem Mittwoch musste die Verhandlung per Video in einen zusätzlichen Saal übertragen werden, weil so viele Lotsen ihrem beschuldigten Kollegen beistehen wollten.