Lohnungleichheit: Expertin fordert Neuausrichtung der Debatte

Die Debatte um Lohnungleichheit hat hierzulande jüngst für viel Aufsehen gesorgt: Eine Expertin schlägt sechs Massnahmen vor, um die Lohnschere zu schliessen.

Nadine Hoch, die Geschäftsleiterin der eidgenössischen Kommission für Familienfragen, (EKFF) ist überzeugt, dass die Debatte um Lohnungleichheit eine Neuausrichtung braucht. (Symbolbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Debatte um Lohngleichheit und Diskriminierung hat jüngst reichlich Schwung erhalten.
  • Nadine Hoch von der Eidgenössischen Kommission für Familienfragen schlägt Massnahmen vor.
  • Die gesellschaftliche Wertehaltung müsse sich verändern, um die Lohnschere zu schliessen.
  • Sie möchte die Debatte neu ausrichten: Weg von «Gender Pay Gap», hin zu «Child Penalty».

Die Debatte um die Lohnungleichheit hat hierzulande jüngst reichlich Schwung erhalten: Neue Grafiken des BFS zeigen auf, dass Frauen in Lohnfragen nicht systematisch diskriminiert werden. Die Lohnschere zwischen den Geschlechtern scheint sich bei der Berufswahl und insbesondere nach der Geburt des ersten Kindes zu öffnen. Ferner legt eine kontroverse neue Umfrage den Schluss nahe, dass viele Studentinnen andere Karriereambitionen haben als ihre männlichen Kommilitonen.

Nadine Hoch ist die Geschäftsleiterin der eidgenössischen Kommission für Familienfragen. Sie vertritt die Ansicht, die Debatte um Lohnungleichheit müsse neu geführt werden. (Archivbild) - keystone

Nadine Hoch von der Eidgenössischen Kommission für Familienfragen (EKFF) ist überzeugt: Die Debatte um Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern müsse eine andere Stossrichtung erhalten. Sie würde es begrüssen, wenn in einem ersten Schritt die Variable «Elternschaft» in die Untersuchung von Lohnungleichheit einfliessen würde. Auf diese Weise könne der damit verbundene Ausstieg aus der Erwerbstätigkeit und die daraus resultierenden Lohn- und Altersvorsorgeeinbussen untersucht werden.

Hauptproblem Gesellschaft: «Beginnt schon bei Farben von Kinderklamotten»

Ferner schlägt die Expertin sechs Massnahmen vor, um die Lohnschere zwischen Müttern und allen anderen («Child Penalty») zu schliessen: Als Erstes empfiehlt Hoch eine gesellschaftliche Wertediskussion über das Rollenverständnis von Eltern und die partnerschaftliche Teilung von Erwerbs- und Betreuungsarbeit.

«Die Hauptproblematik liegt in der gesellschaftlichen Wertehaltung», erklärt die Geschäftsleiterin der EKFF. Heute würden Wertehaltungen, welche Lohnunterschiede befeuern, früh zementiert: «Das beginnt bei den Farben von Kinderklamotten.» Längerfristig sei darauf hinzuarbeiten, dass sich Männer und Frauen paritätischer auf alle Berufsgruppen verteilen und Erwerbs- und Betreuungsarbeit egalitärer aufteilen.

Individualbesteuerung, Kinderbetreuungsangebote und Tagesschulen

Als weitere Massnahme schlägt die Expertin eine Individualbesteuerung vor: «Heute lohnt es sich aufgrund der Steuerprogression für viele Paare schlicht nicht, wenn beide Partner hochprozentig arbeiten.» Basierend auf vorherrschenden Rollenbildern seien es dann meist die Frauen, die beruflich zurückstecken. Ein System der Individualbesteuerung könne hier Abhilfe schaffen, erläutert Hoch.

Aufgrund bestehender Rollenbilder seien es meist die Frauen, die beruflich zurückstecken, erklärt Nadine Hoch. (Symbolbild) - keystone

In einem weiteren Schritt schlägt Hoch die Verbesserung der Verfügbarkeit von qualitativ guten und bezahlbaren Kinderbetreuungsangeboten vor: «Diese Angebote sind hierzulande ein riesiger Flickenteppich.» So unterscheiden sich deren Verfügbarkeit und Kosten von Kanton zu Kanton und Wohnort zu Wohnort.

Überdies müsse sich auch bezüglich der Betreuungsarbeit die gesellschaftliche Wertehaltung verändern, um die Lohnungleichheit zu bekämpfen. «Erwerbstätigkeit mit Elternschaft zu kombinieren, sollte für beide Elternteile zur Selbstverständlichkeit werden.»

Kinder und Betreuungspersonal einer Kita beim gemeinsamen Mittagessen. Die Verfügbarkeit von qualitativ guten und bezahlbaren Kinderbetreuungsangeboten müsse verbessert werden. (Symbolbild) - keystone

Als vierte Massnahme schlägt Hoch die Umwandlung von Schulen in Tagesschulen vor: «Berufstätige Eltern stehen oftmals erneut vor einem Betreuungsdilemma, sobald ihre Kinder schulpflichtig werden.» Wenn Schulen flächendeckend eine Ganztagsbetreuung anbieten würden, könne die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nachhaltig verbessert werden.

Mit Elternzeit und Aufklärungsarbeit gegen Lohnungleichheit

An fünfter Stelle nennt die Geschäftsleiterin der EKFF die Einführung einer Elternzeit: «Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist nach der Geburt nicht lange genug gewährleistet.» Nur 18 Prozent der Mütter kehren nach 14 Wochen Mutterschaftsurlaub an den Arbeitsplatz zurück. Diejenigen, die es sich leisten könnten, verlängern die Zeit zu Hause mit dem Familienzuwachs. Mit dem von der EKFF vorgeschlagenen Elternzeitmodell könne die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familie für beide Elternteile verbessert werden.

Beispiel einer Aufteilung der 38 Wochen Elternzeit zwischen zwei Elternteilen. - EKFF / Positionspapier Elternzeit

Schliesslich schlägt die Expertin ein Umdenken bei der Altersvorsorge, insbesondere bei der Pensionskasse vor. Da diese einzig auf der Erwerbstätigkeit aufbaue, hätten Menschen mit reduziertem Arbeitspensum einen klaren Nachteil.

Davon sind Frauen stärker betroffen als Männer: «Rund 70 Prozent der Ergänzungsleistungen werden von Frauen beansprucht.» Auch hier brauche es Aufklärungsarbeit. Die Bevölkerung müsse wissen, wie lange und wie viel gearbeitet werden muss, damit das Geld im Alter zum Leben reicht.

Fokus auf «Child Penalty» statt «Gender Pay Gap»

Die Geschäftsleiterin der EKFF ist überzeugt, dass sich die Debatte um die Gleichstellung der Geschlechter und Lohnungleichheit verändern müsse: Anstelle von Lohndiskriminierung müsse über die paritätische Aufteilung von Erwerbs- und Betreuungsarbeit diskutiert werden. Anstatt des «Gender Pay Gap» müsse der Fokus auf die «Child Penalty» gelegt werden.

Umfrage

Sollten Erwerbs- und Betreuungsarbeit in Partnerschaften paritätischer aufgeteilt werden?

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Nein.
62%

Frauen und Männer fällen unterschiedliche Entscheidungen und setzen unterschiedliche Karriere- und Lebensschwerpunkte. Gesellschaftlich müsste folglich die Frage gestellt werden, wie damit umzugehen sei: Wie ändern sich Rollenbilder und Präferenzen mit Blick auf eine egalitäre Gesellschaft, ohne Zwang auszuüben?