«Altersarmut ist weiblich»

Es ist Zeit, dass die Politik handelt: Frauen müssen im Alter besser abgesichert werden. Jessica King berichtet über das traditionelle Problem im Gastbeitrag.

Vorsorge wird immer wichtiger: Ein betagtes Ehepaar. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Renten sind für viele Frauen in der Schweiz ein allgegenwärtiges Problem.
  • Jessica King weist im Gastbeitrag auf die Benachteiligung der Frau in der Schweiz hin.
  • Der Politik stünden viele Optionen zu Verfügung, um die Situation zu verbessern.

Das grosse Thema dieser Wintersession? Die Renten.

Das Parlament soll die AHV-21-Reform bereinigen, zudem kommt die Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) in den Nationalrat. Die Rentenfrage ist unfassbar wichtig, löst aber in meinem Bekanntenkreis oft einen Abwehrreflex aus: «Zu weit weg, zu kompliziert und mag mich nicht damit beschäftigen.»

Ein Fehler, vor allem für Frauen. Ich kenne viele Pensionierte, die sich wünschen, sie hätten sich früher mit ihrer Rente beschäftigt. Mütter, die von Ergänzungsleistungen leben, weil sie jahrelang die Kinder betreut haben. Dazu eine bittere Scheidung hinter sich haben.

Rentnerinnen bekommen heute 20'000 Franken weniger

Bekannte, die Teilzeit gearbeitet haben und überrascht waren, als sie nach der Pensionierung kaum einen Rappen aus der Pensionskasse erhielten. Eine Freundin von mir muss ihrer pensionierten Mutter sogar finanziell unter die Arme greifen. Sie hätte sonst aus ihrer geliebten Wohnung ausziehen müssen, in der sie seit 25 Jahren lebt.

Diese Erfahrungen widerspiegeln sich in allen Statistiken: Rentnerinnen erhalten heute pro Jahr knapp 20‘000 Franken weniger als Rentner. Sie beziehen auch doppelt so häufig Ergänzungsleistungen. Altersarmut ist in der Schweiz sehr oft weiblich.

Das Bundesamt für Statistik geht von einem weniger starken Wachstum der Bevölkerung im Rentenalter aus. - Keystone

Der Grund: Wir leben in einem System, das gewisse Erwerbsbiografien in der Rente brutal bestraft. Geahndet werden vor allem jene, die weniger als 70 Prozent einer Lohnarbeit nachgehen, wenig verdienen oder die Erwerbsarbeit unterbrechen. Etwa, weil sie die Care-Arbeit zu Hause übernehmen und die Kinder betreuen. Das betrifft heute deutlich mehr Frauen als Männer.

Politik kann einiges machen, um die Situation zu verbessern

Die Entscheidung, auf die Lohnarbeit zu verzichten, geschieht nicht immer freiwillig: Meist verdienen Frauen weniger (weil Frauen seltener in Kaderpositionen sind, weil Jobs mit einem hohen Frauenanteil traditionell niedrigere Löhne haben, weil Lohnungleichheit immer noch nicht ausgemerzt wurde), weshalb es nach der Geburt von Kindern logisch scheint, dass sie reduzieren. Frauen sind seltener in Kaderpositionen, Jobs mit hohen Frauenanteiler sind niedriger ausgezahlt und die Lohngleichheit ist immer noch nicht ausgemerzt.

Die Lohnungleichheit ist in der Schweiz noch immer gross. - Pixabay

«Es nervt mich zu Tode, dass die Rollenverteilungen bei uns so traditionell sind», gab eine Freundin zu. Die kleine Tochter lag friedlich dösend im Kinderwagen neben uns. «Ich würde gerne mehr arbeiten, mein Freund gerne mehr zu den Kindern schauen. Aber er verdient derart deutlich mehr als ich, dass das bei uns finanziell keinen Sinn ergibt.»

Die Politik kann einiges machen, um diese triste Situation zu verbessern – auch in dieser Wintersession. Sie kann die BVG-Rente so gestalten, dass auch bei Teilzeitarbeitenden einen fairen Anteil in die Pensionskasse fliesst. Ab Dienstag berät der Nationalrat, ob der Koordinationsabzug endlich fällt.

Sie kann Rentenalter 65 für Frauen erst dann einführen, wenn sie nicht mehr durch ein System benachteiligt werden. Ein System, dass sie nicht zur Teilzeitarbeit drängt. Oder wie es meine Freundin mit der kleinen Tochter formuliert: «Wenn die Kitas endlich bezahlbarer wären, würde ich verdammt gerne mehr arbeiten.»

Zu den Autoren

In der Kolumne «gleichgestellt» schreiben Jessica King vom überparteilichen Frauendachverband «alliance F» und Jean-Daniel von «männer.ch», dem Dachverband der progressiven Männer- und Väterorganisationen, abwechslungsweise über Themen rund um die Gleichstellung.