Kanton Graubünden muss Sozialhilfekosten von Fahrenden tragen
Der Kanton Graubünden trägt ab nächstem Jahr die Sozialhilfekosten von Fahrenden auf Bündner Standplätzen.
Der Kanton Graubünden muss ab kommendem Jahr die Sozialhilfekosten von Fahrenden auf Bündner Standplätzen tragen. Dies hat der Grosse Rat am Montag entschieden. Damit soll für die Gemeinden kein finanzielles Risiko entstehen, wenn sie einen Standplatz anbieten.
Aktuell gibt es fünf Standplätze für Fahrende in Graubünden: Zillis-Reischen, Bonaduz, Domat/Ems, Chur und Cazis. Der Letztere profitierte seit 1997 von einer Sonderregelung und bekam alle angefallenen Unterstützungsleistungen von Fahrenden durch den Kanton bezahlt. Dies lagen gemäss Angaben aus dem Parlament bei durchschnittlich rund 54'000 Franken pro Jahr.
Auch für Bonaduz bestand dieser Deal. Dort fielen bisher aber keine Sozialhilfekosten von Schweizer Fahrenden an. In Domat/Ems lassen sich vorwiegend ausländische Fahrende nieder, die keinen Anspruch auf solche Leistungen haben.
Vereinheitlichte Kostenübernahme
Chur und Zillis-Reischen mussten bisher die Leistungen selber finanzieren und konnten sie anschliessend über den Lastenausgleich Soziales (SLA) abrechnen. Es verblieben jedoch Restkosten zu Lasten der Gemeinden.
Mit der vollständigen Übernahme der Kosten durch den Kanton wird die Situation nun vereinheitlicht. Weiter soll so gemäss den Befürwortern aus dem Mitte-Links-Lager kein finanzielles Risiko für eine Gemeinde entstehen, wenn sie einen Standplatz anbietet.
Historischer Hintergrund und Debatte
Die Debatte zur Übernahme der Kosten zog sich im Parlament auch wegen des geschichtlichen Hintergrunds hin. Regierungsrat Marcus Caduff (Mitte) appellierte an die Verantwortung Graubündens zum solidarischen Umgang mit den Fahrenden. Die einst stigmatisierte Bevölkerungsminderheit habe im Kanton viel Leid erlebt.
So seien ab 1926 beim unterstützten Projekt «Kinder der Landstrasse» von Pro Juventute insgesamt 586 Kinder von Familien mit fahrender Lebensweise entwendet und fremdplatziert worden. 294 dieser Fälle seien alleine in Graubünden begangen worden, so Caduff. Es sei deshalb wichtig, ein solidarisches Zeichen zu setzen und die «niedrigen anfallenden Kosten» gemeinsam zu tragen.
Kritik am Vorgehen
Die Regierung wollte demnach auch die Kosten gemessen an der Bevölkerung auf alle Gemeinden verteilen, unabhängig davon, ob sie Standplätze anbieten oder nicht. Sie unterlag aber schliesslich mit 38 zur 75 Stimmen der Mehrheit, welche die Finanzierung durch die kantonalen Behörden wünschte.
Dies sei ein falsches Zeichen, sagte Caduff im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Es sei gesetzlich festgelegt, dass Sozialhilfekosten von den Gemeinden getragen würden. Für Schweizer Fahrende würde hier aber wieder eine Sonderregelung gemacht.
Stigmatisierung und Klischees
Die Stigmatisierung finde so nach wie vor statt. Dies habe er auch bei Standortevaluationen mit den Gemeinden gemerkt. In den Köpfen vieler herrsche immer noch das Klischee, dass Fahrende nur Probleme verursachen würden. Dabei sei die Sozialhilfequote der Fahrenden auf dem gleichen Niveau wie jene der übrigen Bevölkerung.
Auch das bürgerliche Lager scheiterte mit dem Antrag, die Kosten weiterhin über den SLA abzurechnen. Jan Koch (SVP) argumentierte erfolglos, die Kosten da auszugleichen, wo sie anfallen würden.
Folgen des Entscheids
Er kritisierte das Vorgehen, trotz des SLA einen Sondermechanismus einzuführen. Gleichzeitig warnte er vor der Wirkung dieses Entscheids, der sich auch auf andere Bereiche auswirken könnte. Schliesslich unterlag der bürgerliche Antrag jenen von Mitte-Links mit 54 zu 61 Stimmen.