Trotz eines massiven Polizeiaufgebots haben in Belarus erneut mehr als 100.000 Menschen gegen den autoritär regierenden Staatschef Alexander Lukaschenko demonstriert.
Protestzug in Minsk am Sonntag
Protestzug in Minsk am Sonntag - TUT.BY/AFP
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Das Wichtigste in Kürze

  • Massives Polizeiaufgebot in Minsk und rund 250 Festnahmen.

In Minsk liessen die Behörden am Sonntag Soldaten aufmarschieren, Wasserwerfer und gepanzerte Fahrzeuge auffahren und U-Bahnstationen schliessen - dennoch versammelten sich Anhänger der Opposition wieder zu Massenprotesten im Zentrum der Hauptstadt. Rund 250 Demonstranten wurden nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Viasna festgenommen.

Mit rot-weissen Fahnen und Plakaten zogen die Demonstranten, darunter Familien mit Kindern, Studenten, katholische Priester und Sportler, durch die Strassen der Hauptstadt. Eine Band sorgte für Musik, einige Demonstranten tanzten.

In zwei riesigen Demonstrationszügen zogen die Menschen zu Lukaschenkos Residenz im schwer bewachten Palast der Unabhängigkeit. «Wie viel zahlen sie euch?», riefen sie den Sicherheitskräften zu. Einige Demonstranten liessen sich zu spontanen Picknicks vor Polizeiabsperrungen und Wasserwerfern nieder.

Zuvor hatte Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja aus ihrem Exil in Litauen ihre Anhänger dazu aufgerufen, am «Marsch der Einheit» teilzunehmen. «Denkt daran, dass wir stark sind, solange wir vereint sind», sagte sie in einer Videobotschaft.

Seit der umstrittenen Präsidentschaftswahl am 9. August demonstrieren die Menschen in Belarus gegen den seit 26 Jahren autoritär regierenden Lukaschenko. An den drei Sonntagen zuvor gingen in Minsk jeweils mehr als 100.000 Menschen auf die Strasse. An diesem Sonntag war die Menschenmenge nach Einschätzung von Korrespondenten der Nachrichtenagentur AFP sogar noch grösser.

«Trotz des Regen, des Drucks und der Repression sind viel mehr Menschen als am vergangenen Sonntag nach Minsk gekommen», sagte auch die Tichanowskaja-Vertraute Maria Kolesnikowa. Auch in vielen anderen Städten in Belarus gab es am Sonntag wieder Proteste. In Grodno an der Grenze zu Polen kam es dabei zu Zusammenstössen mit der Polizei.

Die Demonstranten werfen der Regierung massiven Betrug bei der Wahl vor, die Lukaschenko nach offiziellen Angaben mit 80 Prozent der Stimmen gewonnen hatte. Die Sicherheitsbehörden gingen hart gegen die Proteste vor, in den Wochen nach der Wahl wurden tausende Menschen festgenommen.

Am Sonntagabend gab es wieder Bilder von vermummten und mit Schlagstöcken bewaffneten Männern, die im Stadtzentrum von Minsk Jagd auf Demonstranten machten. Nach Angaben von Viasna wurden rund 250 Menschen festgenommen, davon fast 175 in Minsk. Das Innenministerium wollte die Angaben nicht bestätigen.

Bereits am Samstag waren etwa 4000 Demonstranten durch Minsk gezogen. Dabei wurden nach Angaben des Innenministeriums über 90 Menschen festgenommen.

Unterdessen musste die belarussische Oppositionspolitikerin Olga Kowalkowa nach Polen fliehen. Kowalkowa, die dem Wahlkampfteam von Tichanowskaja angehört hatte, sagte am Samstag in Warschau, sie sei nach ihrer Festnahme in der vergangenen Woche von belarussischen Sicherheitskräften bedroht und dann zur polnischen Grenze gebracht worden.

Nach eigenen Angaben wurde Kowalkowa mit einem Auto des belarussischen Geheimdienstes KGB vom Gefängnis zur polnischen Grenze gebracht. Sie habe in dem Auto am Boden liegen müssen und sei am Grenzübergang Kusnica Bialostocka freigelassen worden. Dort habe sie ein polnischer Busfahrer mitgenommen.

Bundesaussenminister Heiko Maas (SPD) forderte in einem Interview Lukaschenko auf, sich endlich bereit für einen Dialog mit der Opposition zu zeigen. «Ich fordere von Lukaschenko, dass er mit der Opposition verhandelt, dass die Wahl wiederholt wird, dass Lukaschenko sofort damit aufhört, friedliche Demonstranten einzusperren und zu misshandeln, dass er die Menschenrechte und die Pressefreiheit achtet», sagte Maas der «Bild am Sonntag».

Mit Blick auf die von der EU beschlossenen Sanktionen gegen Belarus sagte der Aussenminister: «Diese setzen wir jetzt um. Wenn Lukaschenko nicht reagiert, wird es weitere Sanktionen geben.»

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