Seit fast sechs Jahrzehnten ist Charlie Watts der Taktgeber der Rolling Stones. Den Rock'n'Roll-Lebensstil hat er eher gemieden. Obwohl er Touren nicht mag, wird Watts wohl auch mit 80 noch in Stadien trommeln.
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Charlie Watts, Schlagzeuger der Rolling Stones, wird 80. Foto: picture alliance / dpa - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Man könnte meinen, Charlie Watts habe sich nur versehentlich in den Rock'n'Roll verirrt.

Der Schlagzeuger der Rolling Stones hat die Aura eines englischen Gentlemans, ist stets dezent und elegant gekleidet.

Er spricht leise, wirkt auch sonst eher unauffällig und zurückhaltend. Zumindest äusserlich treffen die gängigen Rock'n'Roll-Klischees nicht auf ihn zu. Am 2. Juni wird der stoische Drummer, der längst ein Rockopa ist, 80 Jahre alt.

Der nächste Teil ihrer «No Filter»-Tournee ist coronabedingt erstmal auf unbestimmte Zeit verschoben. Eigentlich hätten die Rolling Stones im vergangenen Sommer 15 Stadionkonzerte in den USA und Kanada spielen sollen. «Wir sehen uns sehr bald», teilte die Band auf ihrer Website mit. Die Show soll weitergehen. Ob sich die betagten Rocker überhaupt jemals freiwillig von der Bühne verabschieden? Fraglich.

«Ich dachte ein paar Mal, dass die Band aufhört. Ich hab das früher nach jeder Tournee gedacht», scherzte Watts im «NME»-Interview, bevor die «No Filter»-Tour vor drei Jahren in Grossbritannien Halt machte. «Ich hatte genug davon, das war's.» Dass er die Strapazen langer Tourneen noch nie ausstehen konnte, ist kein Geheimnis. Ob er mal über den Ruhestand nachgedacht habe? «Nein, nicht wirklich.»

Kurz nach der Gründung der Gruppe war der gebürtige Londoner Charles Robert Watts, den alle nur Charlie nennen, im Januar 1963 dazugestossen. Langfristige Pläne hatte er nicht. «Ursprünglich waren die Stones für mich nur eine weitere Band», sagte er der «Süddeutschen Zeitung». «Ich ging davon aus, dass spätestens nach zwei Jahren alles vorbei sein würde.» Inzwischen sind es fast 60.

Jazz und R&B hatten bei ihm als Teenager die Leidenschaft für die Musik geweckt. «Mit 14 habe ich Charlie Parker gehört. Da habe ich gedacht: das will ich auch machen», erzählte er seinem Schlagzeuger-Kollegen Chad Smith, dem Drummer der Red Hot Chili Peppers, in einem Interview für den «Drum Channel» auf Youtube. Allerdings war es nicht so sehr Parkers Saxofon, sondern der Rhythmus der Band, der Watts faszinierte.

Das Trommeln brachte er sich selbst bei. Er spielte in wechselnden lokalen Formationen und trat in der Londoner Clubszene auf. Eine berufliche Laufbahn als Schlagzeuger hatte er nicht im Sinn. Nach der Kunsthochschule stand eigentlich eine Karriere als Grafikdesigner in Aussicht. Doch dann kam ein Anruf von Alexis Korner. Der einflussreiche Bluesmusiker war auf den talentierten, jungen Drummer aufmerksam geworden und konnte ihn überzeugen, seiner Band Blues Incorporated beizutreten, der auch die späteren Stones-Gründer Mick Jagger und Brian Jones zeitweise angehörten.

Nach dem Einstieg bei Blues Incorporated arbeitete Watts anfangs weiter hauptberuflich als Designer. Seine Grafiker-Ausbildung war dem Musiker auch später noch sehr nützlich. Watts entwarf Artwork für Stones-Alben und gestaltete mit Frontmann Jagger die legendären, gigantischen Konzertbühnen der Rockveteranen. Auf dem witzigen Cover des Livealbums «Get Yer Ya-Yas Out!» ist Watts selbst tanzend neben einem Esel zu sehen. Das Design stammt allerdings nicht von ihm.

Neben Jagger und Gitarrist Keith Richards ist Charlie Watts als einziges Bandmitglied auf allen Studioalben der Rolling Stones zu hören. Musikalisch beschränkte er sich in all den Jahren meist auf seine Drums. Er schrieb praktisch keine Songs und wollte möglichst wenig mit der Produktion zu tun haben. In Interviews betonte er oft, es sei ihm völlig egal, was nach den Aufnahmen im Studio mit den Songs passiert. Man könnte sagen: Der will doch nur spielen.

Watts' Privatleben kann man im besten Sinne als bürgerlich bezeichnen. Seit 1964 ist er mit seiner Ehefrau Shirley Ann Shepherd verheiratet, die er schon kannte, bevor die Rolling Stones weltberühmt wurden. Selbst in wilderen Zeiten soll er sich von den vielen Groupies, die die Band umschwärmten, ferngehalten haben. Bei einem Besuch in Hugh Hefners Playboy-Villa zog er sich angeblich in den Billard-Raum zurück. Mit Shirley hat er eine gemeinsame Tochter. Seraphina bescherte dem Paar die Enkeltochter Charlotte.

Anders als seine etwas jüngeren, berühmteren und hedonistischeren Bandkollegen Jagger und Richards ist Charlie Watts nicht unbedingt für Exzesse bekannt. Allerdings hatte auch er in den 80er Jahren zeitweise mit Alkohol- und Drogenproblemen zu kämpfen, die er jedoch rechtzeitig in den Griff bekam. Einen gesundheitlichen Rückschlag musste er 2004 verkraften, als bei ihm Kehlkopfkrebs diagnostiziert wurde. «Ich dachte, ich müsste sterben», erzählte er Jahre später beim Sender BBC. Doch die Behandlung verlief erfolgreich.

Wann die ausstehenden «No Filter»-Konzerte nachgeholt werden, ist offen. Man merkt Watts mittlerweile sein Alter an. Auch Richards und Jagger sind 77, Ronnie Wood mit 73 noch der Jüngste. Ob es womöglich die letzte Tournee der Rolling Stones wird? «Ich habe keine Ahnung», sagte Watts dem «NME» und lachte. «Das haben sie schon 1965 gesagt.» Ausserdem hänge das nicht von ihm ab, meinte der bescheidene Schlagzeuger, die anderen könnten schliesslich ohne ihn weitermachen.

Aus dem Mund seines langjährigen Bandkollegen Ronnie Wood, der seit 1975 Mitglied bei den Rolling Stones ist, klang das ganz anders. In der Dokumentation «Tip Of The Tongue» hob der Gitarrist die Bedeutung von Charlie Watts für die Stones hervor. «Charlie ist unser Motor», sagte Wood. «Und ohne unseren Motor fahren wir nirgendwohin.»

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