ESC 2022: Die Ukraine nach Sieg im Freudenrausch

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Italien,

Vor den Augen von fast 200 Millionen Zuschauern nutzt die Ukraine den Eurovision Song Contest für einen dramatischen Appell gegen Russlands Krieg.

Das Kalush Orchestra aus der Ukraine triumphiert beim ESC.
Das Kalush Orchestra aus der Ukraine triumphiert beim ESC. - Luca Bruno/AP/dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Ukraine gewinnt den Eurovision Song Contest 2022.
  • Der Anlass war aufgrund des Ukraine-Kriegs so politisch wie noch nie zuvor.
  • Für die Ukraine ist es nach 2004 und 2016 bereits der dritte Sieg am ESC.

«Slawa Ukrajini!» – Ruhm der Ukraine! – ruft Sänger Oleh Psjuk überglücklich, als sein Land zum dritten Mal als Sieger des ESC ausgerufen wird.

Der Rapper aus dem Westen der Ukraine, der an diesem Montag seinen 28. Geburtstag hat, und seine Band Kalush Orchestra triumphieren in Turin mit dem Lied «Stefania». Bei einem Wettbewerb, der wegen Russlands Angriffskrieg gegen das Land so politisch wie nie zuvor gewesen ist. Am Ende ist es ein grosser Triumph für die Ukraine in Kriegszeiten.

Grosse Euphorie

Die Euphorie in der ukrainischen Hauptstadt Kiew ist am Sonntag mit den Händen greifbar. Zum Final des Eurovision Song Contest und zur Siegerehrung herrscht schon wieder Sperrstunde wegen des Kriegs. Ein Zug der ukrainischen Eisenbahn soll künftig «Stefania Express» heissen - nach dem Siegersong, den Psjuk seiner Mutter gewidmet hat. Präsident Wolodymyr Selenskyj nimmt den Erfolg als Omen für den Kampf gegen Russlands Invasion: «Ich bin überzeugt, dass unser siegreicher Akkord in der Schlacht mit dem Feind nicht mehr fern liegt.»

Der Moderator des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, Timur Miroschnytschenko, heult vor Glück Rotz und Wasser, ihm bricht die Stimme weg beim Reden.

«Wir siegen an der musikalischen Front, und wir siegen auch an dieser jenen Front. Streitkräfte der Ukraine, dieser Sieg ist für Euch, für jeden, der heute unser Land verteidigt», schluchzt er. «Haltet die Emotionen nicht zurück. Wenn Ihr weinen wollt, weint.»

«Slawa Ukrajini!», der Spruch von Eurovision Song Contest Sieger Oleh Psjuk, ist längst ein geflügeltes Wort, ein Schlachtruf. Als der letzte Ton beim Auftritt am Samstagabend in Italien verklungen ist, ist für den Ukrainer Schluss mit lustig: «I ask all of you: Please help Ukraine, Mariupol, help Asovstal - right now.» Auf Deutsch heisst das: «Ich bitte Euch alle: Helft der Ukraine, Mariupol, Azovstal.»

In dem Asow-Stahlwerk haben sich rund 1000 Verteidiger von Mariupol verschanzt, die auf ihre Rettung warten. Psjuk bittet auch bei einer Pressekonferenz nach seinem Sieg um internationale Vermittlung, die zwar läuft, aber bisher keinen Durchbruch bringt.

Ein historisches Ergebnis beim Eurovision Song Contest

Es sind die zwei Sätze des Abends, der Hilferuf an ein Millionen-Publikum in Turin, in ganz Europa, sogar in Australien. Und das Publikum antwortet: In 28 der 39 anderen Länder geben die Zuschauer den Ukrainern die Höchstwertung: douze points - 12 Punkte.

Auch das deutsche Publikum vergibt die Bestnote an die Ukrainer. Am Ende siegen die ukrainischen Teilnehmer in der Nacht zu Sonntag haushoch mit 631 Punkten. Ein historisches Ergebnis.

Damit steht eine Frage im Raum: Wo wird der Eurovision Song Contest 2023 ausgetragen? In der Ukraine herrscht derzeit Krieg, was eine Austragung stand jetzt nicht möglich macht. Präsident Wolodymyr Selenskyj will den grössten Musikwettbewerb trotzdem unbedingt im Land:

«Unser Mut beeindruckt die Welt, unsere Musik erobert Europa! Im nächsten Jahr empfängt die Ukraine den Eurovision Song Contest! Zum dritten Mal in unserer Geschichte», sagt Selenskyj. Er glaube daran, dass dies nicht der letzte Sieg sei.

Bereits dritter Sieg für die Ukraine

2004 gewann die ukrainische Sängerin Ruslana mit «Wild Dances»; 2016 siegte Jamala mit dem Song «1944», ebenfalls ein politisches Lied. Schon damals sah sich die Ukraine mit Russland im Krieg um den Osten des Landes. Aber seit fast drei Monaten ergreift das Blutvergiessen nun weite Teile des Landes.

Vergessen ist das Leid der Menschen bei Party und Show nicht. Aber für die Ukraine ist der neue ESC-Sieg auch Grund, sich als mächtige europäische Musiknation zu feiern. Da das osteuropäische Land erst seit 2003 teilnimmt und auch mal aussetzte, gilt es als erfolgreichster Teilnehmer überhaupt.

Der russische Krieg aber stellt auch für die ukrainische Musikindustrie einen klaren Bruch dar. Viele Künstler haben ihr Geld bisher vor allem im russischsprachigen Raum verdient.

Der Grossteil von ihnen bekennt sich jetzt offen zu ihrer Herkunft. Und unterstützt mit Botschaften und mit Benefizkonzerten die Ukraine und ihre Armee. Nur wenige, wie beispielsweise die ESC-Kandidatin von 2008, Ani Lorak, haben sich komplett zurückgezogen und warten ab.

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