Eine Untersuchung der Schule Gossau zeigt, dass die Lehrpersonen der Unterstufe durch zusätzliche Aufgaben im Bereich „Sondermassnahmen“ zunehmend gefordert sind.
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Blick in ein Klassenzimmer. (Symbolbild) - Keystone
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Der Schulrat nimmt dies ernst und hat verschiedene Massnahmen aufgegleist.

 Die Zeiten ändern sich und mit ihnen auch die Schule. „Wo es früher einfach darum ging, Wissen zu vermitteln, hat die heutige Schule den Auftrag, unsere Kinder fit fürs berufliche und persönliche Leben zu machen“, erklärt Markus Giger, Schulleiter der Gossauer Schulhäuser Büel und Haldenbüel. Zudem seien die Ansprüche der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Eltern an die Schule gestiegen. „Heute gibt es kaum mehr eine Berufsausbildung, die nur wenig schulische Bildung verlangt. Und die Eltern erwarten von der Schule, dass sie allfällige Defizite ihrer Kinder ausgleicht.“ Giger ist innerhalb der Schule Gossau zuständig für den Bereich fördernde Massnahmen.

 Die Kinder sind nicht anders wie früher

Geänderte Anforderungen, andere Kinder? „Nein“, meint Markus Giger. „Die Kinder sind die gleichen wie früher. Sie haben alle ihre Stärken und Schwächen. Verändert hat sich nur die Art und Weise, wie die Schule damit umgeht.“ Habe man früher lernschwache oder verhaltensauffällige Kinder in den Grossklassen „einfach mitgenommen“, so schaue man heute genauer hin und versuche, festgestellte intellektuelle und kognitive Defizite professionell zu beheben.

Das Resultat: Die Schule wendet heute viel Zeit und auch viel Geld auf für Gespräche, Beratungen und schulpsychologische Abklärungen. Und für zusätzlichen Deutschunterricht oder fördernde Sondermassnahmen bei Defiziten in der Bewegungskompetenz (Psychomotorik), beim Lesen und Schreiben (Legasthenie), Rechnen (Dyskalkulie) und Sprechen (Logopädie).

 Abklärungen auf der Unterstufe

Die Abklärungen und die Sondermassnahmen sind zu einem grossen Teil auf die Unterstufe konzentriert. Markus Giger: „Die Arbeitsteilung ist klar. Im Kindergarten sind allfällige Defizite noch schwer zu erkennen. Hier geht es vor allem darum die Kinder spielerisch auf die Besonderheiten des Schulalltags vorzubereiten und bei fremdsprachigen Kindern fehlende Deutschkenntnisse zu vermitteln." In den ersten beiden Jahren der Primarschule werde die Basis für die weitere Beschulung gelegt. Mit der Vermittlung erster Lerninhalte sowie dem Erkennen und Korrigieren allfälliger kognitiver Defizite. "Es ist unser erklärtes Ziel, bis spätestens in der vierten Klasse alle erkannten Defizite behoben zu haben, damit die restliche Schulzeit konzentriert zur Vermittlung von Wissen und Kompetenzen genutzt werden kann“, so Giger. Das System scheint erfolgreich zu sein, sind doch heute auf der Oberstufe kaum mehr Therapien notwendig.

 Mehr Aufwand als im Berufsauftrag vorgesehen

Das „genaue Hinschauen“ in der Unterstufe führe jedoch dazu, dass es für die Lehrpersonen dieser Stufe zu einer nicht zu unterschätzenden zusätzlichen Belastung kommt. Der Schulrat will dem entgegen steuern. Eine Projektgruppe „Unterstufe“ unter der Leitung von Schulrat Andreas Strübi und Schulleiter Markus Giger hat im Juni 2018 die Situation der Lehrpersonen analysiert. In ihrem Bericht, der jetzt dem Schulrat unterbreitet wurde, stellt die Arbeitsgruppe fest, dass „auf der Unterstufe eine sehr hohe Aktivität an Abklärungen und flankierenden Massnahmen herrscht“.

Über ein Viertel der Schüler befänden sich in Abklärungen beim Schulpsychologischen Dienst. Und vergleichbar viele Schüler befänden sich im Therapieprozess. Insgesamt seien „die Lehrpersonen der ersten und zweiten Primarklassen durch Schüler mit erhöhtem Förder- und Betreuungsaufwand“ mit bis zu 170 Betreuungsstunden „in besonders hohem Masse zusätzlich gefordert“. Im Berufsauftrag der Lehrpersonen sind diese Aufgaben mit 134 Stunden für die ganze Klasse dotiert.

 Rest der Klasse darf nicht zu kurz kommen

Der Bericht stellt zudem fest, dass in stark belasteten Klassen die Schüler mit normaler oder hoher Begabung zu kurz kommen. Es fehlten schlichtweg die Ressourcen, einzelnen Kindern mit ihren individuellen Kompetenzniveaus die nötige Aufmerksamkeit zu schenken. Dazu heisst es im Bericht: „Unter dem Aspekt der „Leistungsschule“ stellt die Tendenz der „Defizitorientierung“ für die Unterrichtsqualität eine grosse Belastung dar.

Um die Schulqualität auch für die leistungsstarken Schüler aufrecht zu erhalten, braucht es in einzelnen Klassen einen sehr grossen zusätzlichen Aufwand, welcher auch mit Unterstützung durch Heilpädagoginnen und Klassenassistenzen kaum mehr geleistet werden kann, da die wesentliche Arbeit zum grössten Teil im Auftrag und in der Verantwortung der Klassenlehrperson liegt.“

 Weiteres Vorgehen

Um Gegensteuer zu geben, beantragt die Projektgruppe „Unterstufe“ beispielsweise die Erhöhung des Pools der Klassenassistenz oder eine Optimierung der zusätzlichen personellen Ressourcen für anspruchsvolle Klassen. Auch sollen die erhöhten Ansprüche beim Berufsauftrag der Lehrerinnen und Lehrer berücksichtigt werden. Der Schulrat hat diese Massnahmen zur raschen Weiterbearbeitung ausgewählt.

Wie Schulpräsident Urs Blaser einräumt, dürfte die Realisierung auch mit Mehraufwendungen von schätzungsweise 50‘000 Franken verbunden sein. Blaser betont aber: „Man darf solche Mehrausgaben nicht als zusätzliche Kosten verstehen, sondern als sinnvolle Investition in die Bildung, in unsere Kinder. Und sie führen zur Vermeidung höherer Kosten in der Zukunft.“

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