In den nächsten Jahrzehnten soll das Konzept Thur+ umgesetzt werden. Bis dahin gilt es, das bestehende Bauwerk so gut wie möglich zu unterhalten.
Thurgau: Das Bauwerk Thur hat seine Grenzen
Regierungsrat Dominik Diezi erklärte auf dem Thurdamm bei der SBB-Brücke in Eschikofen, dass ein Kraftakt notwendig sei, um das Bauwerk Thur zum Schutz von Land und Bevölkerung zu erneuern. Links hinter ihm Martin Eugster, Chef Amt für Umwelt. - Kanton Thurgau
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Wie der Kanton Thurgau berichtet, rief Regierungsrat Dominik Diezi in Erinnerung, dass das Bauwerk Thur vor 150 Jahren nur in Zusammenarbeit von Kanton, Gemeinden und Bevölkerung gestemmt werden konnte.

Das Bauwerk stosse nun an seine Grenzen.

«Um es für die zukünftigen Herausforderungen zu ertüchtigen, ist wiederum ein gemeinsamer Kraftakt notwendig», sagte Diezi.

Nur mit der Umsetzung von Thur+ könnten die Hochwassersicherheit wiederhergestellt, die Infrastruktur und landwirtschaftlichen Nutzflächen im Thurtal geschützt, die Sohlenerosion gestoppt und die Biodiversität gefördert werden.

Starke Sohlenerosion bei der Autobahnbrücke

«Das Bauwerk Thur mit seinem Mittelgerinne, den Vorländern und den Hochwasserdämmen zwängt die Thur in ein enges, zu enges Korsett», erklärte der Leiter Wasserbau und Hydrometrie, Tim Wepf.

Die Thur hat sich deshalb über weite Strecken in ihrem Mittelgerinne eingegraben.

Dies kann eindrücklich bei der Autobahnbrücke in Müllheim beobachtet werden.

Die Sohle ist so weit erodiert, dass die Bohrpfähle der Autobahnbrücke zum Vorschein kamen.

Brückenpfeiler mussten gesichert werden

Die Brückenpfeiler mussten durch das Bundesamt für Strassen aufwändig gesichert werden, um die Standfestigkeit zu gewährleisten.

«Auch Schwellen im Flussbett lösen das Problem der Sohlenerosion nicht vollständig», sagte Tim Wepf.

Eine Schwelle liegt ungefähr 400 Meter flussaufwärts der Autobahnbrücke. Sie wurde in den 1970er Jahren gesetzt.

Gravierende Folgen

«Wie man heute von Auge feststellen kann, konnte auch die Schwelle die Sohlenlage nicht stabilisieren», erläuterte Wepf.

«Schreitet die Absenkung weiter voran, speist nicht die Thur das Grundwasser – so wie es sein sollte –, sondern das Grundwasser die Thur».

Dies verringert das Volumen des Grundwasserstroms unter dem Thurtal, von dem circa 100'000 Thurgauer mit Trinkwasser und die Landwirtschaftsbetriebe mit Brauchwasser versorgt werden.

Schreitet der Prozess weiter fort, werden auch die Uferverbauungen des Mittelgerinnes unterspült und instabil, mit weitreichenden Folgen.

Fuchs und Dachs schädigen die Dämme

Auch die grundsätzliche Stabilität der gut 150 Jahre alten Dämme wird von den Wasserbauern als nicht mehr genügend eingeschätzt.

Wo möglich werden die Hochwasserdämme deshalb lokal im Rahmen des Unterhalts instand gestellt.

Dabei bereiten etwa Fuchs und Dachs den Thurgauer Wasserbauern Sorgen.

Die Tiere graben gerne ihre Wohnhöhlen in den Hochwasserdamm.

«Bei der Dammsanierung in Eschikofen haben wir deshalb ein Netz in den Damm eingebaut, das die tierischen Baumeister am Graben hindern soll», sagte der Gesamtprojektleiter Thur, Rolf Maag.

Blumenwiese auf dem Damm verhindert Erosionsschäden

Auf dem Damm wurde danach eine Blumenwiese eingesät.

Neben der Förderung der Biodiversität hat diese den Vorteil, dass die Grasnarbe bei Hochwasser Erosionsschäden am Damm verhindert.

Eine nachhaltige Sanierung der Hochwasserdämme ist jedoch erst mit der umfassenden Neugestaltung der Thur in den nächsten Jahrzehnten möglich.

Die Hochwassersicherheit nimmt wegen Auflandungen ab

Ein weiteres ungelöstes Problem sind die Auflandungen im Thurvorland.

Mit jedem Hochwasser lagert die Thur auf den Vorländern eine feine Sedimentschicht ab.

Seit der zweiten Thurkorrektion, die vor gut 20 Jahren abgeschlossen wurde, sind wieder mehrere hunderttausend Kubikmeter aufgelandet.

Dadurch wird das Abflussprofil der Thur verkleinert und die Abflusskapazität und damit die Hochwassersicherheit des Bauwerks Thur nehmen laufend ab.

Für die Hochwassersicherheit braucht es Thur+

«Mit Unterhaltsarbeiten alleine können wir die Hochwassersicherheit des Bauwerks Thur nicht gewährleisten», betonte Martin Eugster, Leiter des Amts für Umwelt, «denn die Sohlenerosion und die Auflandungen der Vorländer bekommen wir dadurch nicht in den Griff.»

Das Konzept Thur+ sieht vor, dass die Schutzdämme grundsätzlich an Ort und Stelle verbleiben.

Sie werden nach heutigen Standards saniert. Zwischen den bestehenden Dämmen wird das Flussbett aufgeweitet.

Das Abflussprofil wird vergrössert.

Dadurch stabilisiert sich die Sohlenlage, die Auflandungen der Vorländer entfallen, die Thur gewinnt an Dynamik und kann gleichzeitig verschiedene neue Lebensräume für Pflanzen und Tiere schaffen.

Das Bauwerk Thur in Zahlen

Das Bauwerk hat eine Länge von 45 Kilometern; 44,4 Kilometer lang sind die Hochwasserdämme insgesamt.

Das Bauwerk schützt Infrastruktur im Gegenwert von 1,3 Milliarden Franken (Schadenausmass berücksichtigt) und 3750 Hektaren Landwirtschaftsland vor Überflutung.

Die Schadenssumme bei einem Extremereignis wird auf 570 Millionen Franken geschätzt.

Ein Hochwasser, das statistisch gesehen alle 100 Jahre auftritt, entspricht 1240 Kubikmetern Wasser pro Sekunde.

Die Mitwirkung wird Ende August 2023 fortgesetzt

Das Konzept Thur+ wurde im Dezember 2022 vom Grossen Rat zustimmend zur Kenntnis genommen.

Der Mitwirkungsprozess, an dem Gemeinden, Bürgergemeinden, Verbände, Parteien und kantonale und eidgenössische Fachstellen teilnehmen, startete am 8. Mai 2023 und wird am 24. August 2023 fortgesetzt.

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