Die Hochfrequenztöne der interaktiven Swisscom Beem Werbung geraten weiter in die Kritik: Obwohl unhörbar, könnten sie einen Tinnitus verschlimmern.
Swisscom Beem Tinnitus
Mit Beem von Swisscom können Plakate interaktiv mit Handys kommunizieren. - zvg
Ad

Das Wichtigste in Kürze

  • Mit Swisscom Beem können Werbeplakate via Hochfrequenztönen Handys steuern.
  • Ein Tinnitus-Betroffener klagt: Unhörbare Töne haben das Pfeifen in seinem Ohr verstärkt.
  • Der naheliegende Verdacht: Beem ist dafür verantwortlich.

Manchmal verfolgt einem eine lästige Werbung den ganzen Tag, manchmal verfolgen einem die Jugendsünden ein Leben lang. Bei Daniel Siegenthaler ist es beides. Wegen zu viel «Compüterlen» vor 30 Jahren vor einem alten, pfeifenden Röhrenbildschirm hat er einen Tinnitus bei 15,6 kHz. Und die im Mai getestete, für ihn unhörbare, interaktive Swisscom-Werbung «Beem» habe dieses lästige Ohrgeräusch nun noch verstärkt.

Unhörbar, aber unerhört

«Zwar kann ich die Beem-Signale nicht als Ton wahrnehmen, aber mein Tinnitus ist sehr viel lauter geworden», sagt Siegenthaler. So laut, dass er Mühe habe, seine Gesprächspartner zu verstehen und das Einschlafen noch schwieriger wurde, klagt Siegenthaler.

ShopVille HB Zürich
Das von den SBB betriebene ShopVille unter dem Hauptbahnhof Zürich. - Keystone

Das sei tatsächlich möglich, sagt Akustik-Experte Beat Hohmann, ehemaliger Bereichsleiter Physik bei der Suva, selbst wenn beiden Frequenzen nicht übereinstimmen. Mit einem bereits vorhandenen Tinnitus könnten Beem-Töne stärker wahrgenommen werden: «Es kann sein, dass diese Frequenzen im Innenohr ins gleiche Frequenzband fallen.»

Ins Ohr gestochen sind Daniel Siegenthaler die Beem-Signale im Hauptbahnhof Zürich, wo die Swisscom ihr neues Werbekonzept testete. Seither müsse er den HB meiden, damit sein Tinnitus nicht noch schlimmer werde, oder einen Pamir aufsetzen.

Swisscom Beem könnte für viele störend sein

Swisscom betont, dass alle Grenzwerte eingehalten werden: Die Lautstärke von 60 Dezibel liegt weit unter dem gesetzlich Erlaubten. Auch liegt die Frequenz, mit der die interaktiven Plakate mit Handys kommunizieren, bei über 18 kHz. Die meisten Menschen können solch hohe Töne gar nicht hören.

Swisscom Beem
Das Kästchen der Swisscom, das oberhalb des Plakats montiert ist, mit dem Beem via Bluetooth und hochfrequente Töne Handys steuern kann.
Swisscom Beem
Hier kommen die Hochfrequenztöne aus dem Beem-Kästchen.

«Möglicherweise sind die Töne für Gelegenheitsnutzer ohne vorbelastetes Gehör nicht schädlich», sagt auch Daniel Siegenthaler. Aber mit seinem Bildschirm-bedingten Tinnitus ist er kein Einzelfall: Zahlreiche Arbeitsplätze waren früher mit pfeifenden Geräten ausgerüstet. Beat Hohmann kennt zahlreiche solche Fälle, wo ein Teil der Belegschaft genervt, ein Teil verständnislos war, je nach Gehör.

Pieps-Töne im Vergleich zu Presslufthämmern

Siegenthaler will deshalb auch Leidensgenossen vor den Hochfrequenztönen, wie sie Beem verwendet, warnen. «Wer wie ich bereits ein geschädigtes Gehör hat, für den könnten auch kurze Belastungen bestehende Hörschäden verschlimmern», erklärt Siegenthaler.

Er hat auf eigene Faust am Zürich HB Messungen mit einer Android-App gemacht. Diese seien zwar nicht ultra-genau, vermittelten aber ein gutes Bild, wie die Hochfrequenztöne wirklich einzuordnen sind. Weil im Zürich HB gerade gebaut wird, ist in seinem Messungen ersichtlich: Hier hämmert auch etwas auf sehr hoher Frequenz.

Messung Beem Presslufthämmer
Spektrum der Geräusche im Zürich HB. Links sind die tiefen, rechts die hohen Töne mit einem deutlichen Peak bei knapp 20 kHz. Die rote Kurve zeigt die Maxima, gelb der aktuelle Messwert. In der Grafik rechts sind zusätzlich Presslufthämmer mitgemessen, die vor allem in den tiefen und mittleren Frequenzen sehr laut sind, aber ungefähr ebenso laut wie das hochfrequente Signal.
Messung Beem Presslufthämmer
Im zeitlichen Verlauf von oben nach unten ist das mehr oder weniger konstante Hintergrundgeräusch ersichtlich. Das hochfrequente Geräusch bei fast 20 kHz dagegen ertönt in einem Rhythmus. Je heller, desto lauter sind die Töne – rechts wiederum im Vergleich mit den Presslufthämmern.

«Swisscom Beem ist schwere Körperverletzung»

«Da der HB von sehr vielen Leuten frequentiert wird, ist das Risiko von späteren Hörschäden potentiell sehr gross», befürchtet Siegenthaler. Sein Fazit: «Aus meiner Sicht ist Swisscom Beem schwere Körperverletzung.»

Sorgen macht sich Siegenthaler aber auch um das Personal im ShopVille, das während Stunden dem Hochfrequenz-Gepiepse der Beem-Boxen ausgesetzt wäre. Durchaus berechtigterweise, bestätigt Beat Hohmann: Das müsse man gemäss den Arbeitsplatzvorschriften beurteilen. «Der Suva-Grenzwert für Gehörschäden wird nicht erreicht werden. Aber die Arbeitnehmenden sind auch vor einer Belästigung durch ein solches Schallsignal zu schützen.»

Denn bei längerer Exposition, auch wenn der Piepston nur im Hintergrund wahrgenommen würde, seien Auswirkungen denkbar. «Was wirklich dann passieren kann, ist, dass jemand den Ton auch zuhause immer noch hört. Und nicht mehr los wird.»

Swisscom dementiert

Gemäss der Swisscom sind die Beem-Lautsprecher im Zürcher Hauptbahnhof momentan allerdings stumm. Im Winterhalbjahr habe an einem Bahnhof der Sihltal Zürich Uetliberg Bahn SZU ein bewilligter Test stattgefunden, sagt Medienchef Sepp Huber. «Vorbereitend zum ursprünglich geplanten Launch haben die Sound-Beacons Mitte Mai für einige Tage Signale ausgesendet. Aktuell senden die Beacons keine Signale aus.»

Zudem habe man sich abgesichert: Die Empa habe die Lautstärkemessungen bestätigt mit einem Höchstwert von 56 dB. Der Durchschnitt liege aber wesentlich darunter. «Die Signale entsprechen ungefähr einer Gesprächslautstärke», betont Huber. Eigene Messungen am Zürich HB mit kurzfristig eingeschaltetem Beem-Signal zeigten, dass dieses deutlich tiefer liege und ein anderes Muster aufweist.

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

SwisscomSuvaBahn